Zusammen den Zalandos & Co. Paroli bieten und vom Boom des virtuellen Verkaufskanals profitieren, statt vor ihm zu kapitulieren, darum geht es, wenn stationäre Händler im Verbund statt im Alleingang Online-Shops eröffnen. Davor sind allerdings auch Hürden zu meistern. Eine erste ist die Wahl des Domain-Namens.
Für einen Händler wie Intersport (Start im März 2013) mit hohem Bekanntheitsgrad war dies kein Problem. Andere Händler hingegen müssen erst eine Marke aufbauen. Die Anwr Group, die nur in Fachkreisen geläufig ist, entschied sich für die eingängige Adresse schuhe.de (ebenfalls seit März 2013 online). Der Modeverband Katag setzt auf das Potenzial seiner Eigenmarken und ging im April 2012 statt mit dem Gruppennamen mit Onlineshops der Label „Basefield“ und „Staccato“ live.
Das Händlernetzwerk im Rahmen einer Multichannel-Strategie als Wettbewerbsvorteil ausspielen.
Prof. Dr. Dirk Morschett„Die speziellen Strukturen der Verbundgruppen erfordern auch verschiedene Ansätze bei der Implementierung. Einen Königsweg gibt es nicht“, sagt Prof. Dr. Dirk Morschett. Der Verbundgruppen- und Multichannel-Spezialist von der Schweizer Universität Fribourg hat im Auftrag des Mittelstandsverbund ZGV (siehe Interview) eine Studie zum Thema „Erfolgreicher Online-Handel von Verbundgruppen“ erstellt. Die zunächst wichtigste Entscheidung ist die zwischen einem zentral gesteuerten Onlineshop, bei dem die Verbundgruppe bzw. ein Tochter- oder Partnerunternehmen den Shopbetrieb übernimmt oder einer dezentralen Lösung, bei der jedes Mitglied eigenständig agiert und die Zentrale lediglich Unterstützung leistet.
Zentrale oder dezentrale Lösung?
Beide Formen, zwischen denen es auch Hybride gibt, haben aus Sicht des Wissenschaftlers Vor- und Nachteile: „Bei dezentralen Modellen sammeln die Händler selbst Erfahrungen in diesem wichtigen Zukunftsfeld und sind freier in ihren Entscheidungen vom Auftritt bis zur Preisgestaltung. Andererseits sind die Mitglieder vieler Verbundgruppen zu klein, um einen Onlineshop professionell betreiben und permanent pflegen zu können.“
Bei Hagebau, seit Juli 2007 online, ist man überzeugt: „Bei einem durchgängigen Multichannel-Ansatz ist nur eine zentrale Lösung sinnvoll, auch um Endkunden einen einheitlich professionellen Auftritt und Service bieten zu können. Zusätzlich erhöht eine zentrale Lösung die Schlagkraft in puncto Traffic und (Weiter-) Entwicklung.“
Fakt ist aber auch: Eine große Anzahl selbstständiger Unternehmer mit zum Teil heterogener Struktur im Hinblick auf Größe, Sortiment, Preisgestaltung und IT-Ausstattung ist schwer „unter einen Hut zu bringen“. „Filialisierte Handelsunternehmen haben im Gegensatz zu Verbundgruppen meist einheitliche Kassen- und Warenwirtschaftssysteme, und die Zentralen verfügen über die Datenbestände. Das gestaltet den Start ins Online-Business systemseitig meist leichter“, erläutern Sonja Stingel und Julia Römer, E-Commerce-Consultants des Stuttgarter E-Commerce-Dienstleisters und Systemhauses dmc digital media center sowie des Beratungsunternehmens dmc commerce consultants. Trotz dieser Herausforderungen setzte dmc mit seinem Klienten Intersport in knapp zweijähriger Entwicklungsarbeit ein komplexes Multichannel-Projekt um und integrierte mithilfe von Middelware unterschiedliche Systeme.
Zentral oder dezentral – wie auch immer die Entscheidung fällt, für Prof. Morschett ist wesentlich, „dass die wichtigste Stärke einer Verbundgruppe, das Händlernetzwerk, im Rahmen einer Multichannel-Strategie als Wettbewerbsvorteil ausgespielt wird“. Auch Benedict Kober, Vorstandssprecher von Euronics, sagt: „Einen reinen Onlineshop ohne direkte Verbindung zum stationären Handel zu betreiben, ist nicht unsere Zielsetzung als Verbundgruppe. Unser aktueller Trendmonitor zum Kundenverhalten 2013 zeigt, dass der stationäre Handel mit seinem Leistungsportfolio eine unverzichtbare Anlaufstelle bleibt, die ein reines Online-Geschäft nicht kompensieren kann.“ Euronics verfolgt bereits seit 2006 eine weitgehende Multichannel-Strategie: Ein Kunde kauft online ein und die Ware wird wahlweise bei einem Euronics-Mitglied in seiner Nähe bereitgestellt oder direkt zu ihm nach Hause geliefert.
Auch bei Intersport greift der Multichannel-Ansatz. Ein Viertel aller Online-Eingänge sind Produktreservierungen bei einem Handelspartner. Mehr als ein Drittel der bestellten Waren werden auf Wunsch der Kunden an Intersport-Handelsgeschäfte ausgeliefert. Die Verbundgruppe profitiert dabei sehr von ihrem dichten Händlernetz. In Deutschland müssen Kunden im Durchschnitt rd. 9 Kilometer zurücklegen, um das nächste Intersport-Geschäft zu erreichen. Weitere Multichannel-Bausteine von Intersport sind mögliche Retouren über die Anschlusshäuser und die sogenannte Regalverlängerung: Am POS nicht verfügbare Teile werden via iPads der Mitarbeiter online bestellt.
Wer erhält, wer zahlt was?
Wie werden die Händler an den Umsätzen beteiligt – oder, umgekehrt, was müssen sie an Kosten bezahlen? Auch hier gibt es unterschiedliche Lösungen. Katag-Anschlusshäuser können ihre individuellen Homepages mit den Shops von Basefield und Staccato verlinken und profitieren im Fall einer Kundenbestellung von einer 5-prozentigen Umsatzbeteiligung. Klickt ein Kunde die Basefield- oder Staccato-Seite direkt an, so entscheidet dessen Postleitzahl, welchem Händler eine Vergütung gutgeschrieben wird.
Im zentralen Intersport-Shop setzen die Kunden vor Abschluss des Bestellvorgangs ein Häkchen bei ihrem Lieblingshändler aus der Umgebung, der daraufhin eine Provision erhält. Die Hagebau-Anschlusshäuser wiederum werden durch eine Kombination aus Provision und Gewinnanteilen am Joint-Venture „Baumarkt direkt“ beteiligt. Hagebau hat dieses Joint Venture zur Betreuung des Onlineshops gemeinsam mit dem Versandhandels-Profi Otto gegründet.
Die Anwr Group hat sich für eine dezentrale Onlineshop-Variante entschieden. Die Händler sind auf eigene Rechnung aktiv und zahlen für die Einbindung in die Plattform eine monatliche Pauschale zuzüglich Umsatzprovision an Anwr. „Visitenkarten“ mit Hinweisen zu Standort, Öffnungszeiten, geführten Marken etc. können die Händler kostenlos einstellen.
Das Team des E-Commerce-Dienstleisters dmc ist auch im Nachhinein mit dem Ablauf des Projekts Intersport sehr zufrieden: „Wir waren als Dienstleister von Beginn an dabei und konnten so den Verbund, das Business und die Anschlusshäuser kennenlernen sowie an der Strategie und am Anforderungsprofil mitwirken. Das erleichterte die Implementierung. Das Gesamtvorhaben wurde in überschaubare Teilprojekte gegliedert. Die Händler wurden früh eingebunden und auf dem Weg mitgenommen. Bei verschiedenen Anschlusshäusern fanden Tests statt, zudem gab es umfassende Schulungen. So erfolgte der Rollout pünktlich, und die Technik lief von Anfang an stabil“, resümieren Sonja Stingel und Julia Römer.
Foto: Intersport
Kooperations-Intelligenz
Jörg Glaser, Geschäftsführer Organisation und IT bei Der Mittelstandsverbund – ZGV e.V., dem Spitzenverband der Verbundgruppen, über die Herausforderung Multichannel.
Der Mittelstandsverbund engagiert sich stark für das Thema Multichannel. Warum erachten Sie dies für die Verbundgruppen als wichtig?
Das Thema kam recht plötzlich auf die Verbundgruppen zu. Zunächst baten die Anschlusshäuser ihre Zentralen, sich aus diesem Thema herauszuhalten, sie fürchteten eine Kannibalisierung. Dann setzte sich die Erkenntnis durch, dass online zusätzliche Kundengruppen erreicht werden können, man bei einem Online-Marktvolumen von inzwischen knapp 30 Milliarden Euro und zweistelligen Wachstumsraten mitspielen sollte und Mittelständlern dies wahrscheinlich am besten gemeinsam gelingt.
Wie sieht Ihr Engagement konkret aus?
Wir bieten unter anderem Seminare, Arbeitskreise und Kongresse an. Unsere Schwestergesellschaft ServiCon hat Rahmenverträge mit spezialisierten Dienstleistungsunternehmen geschlossen. Zudem zeigen wir politisch Flagge, beispielsweise, wenn es um überzogene Datenschutzbestimmungen geht.
Wie intensiv wird Sie das Thema weiter beschäftigen?
Es wird uns nachhaltiger beschäftigen als das Thema Social Media, um das es nach einem Hype vor zwei Jahren recht still geworden ist. Wie lassen sich Vorzüge zentraler und dezentraler Onlineshop-Lösungen miteinander verbinden? Wie lassen sich Händler-Identitäten unter einem gemeinsamen Dach bewahren? Wie können die POS eingebunden werden? Welche Leistungen können Verbundgruppen selbst übernehmen, wozu werden – Stichwort Fulfillment – Dienstleister benötigt? Es ist Kooperationsintelligenz gefragt, an der wir mit unseren Mitgliedern weiter feilen werden.