In Großbritannien wird so viel online gekauft wir nirgendwo sonst auf der Welt. Das Online-Bestellvolumen in Großbritannien legte 2012 im Vergleich zum Vorjahr um 16 Prozent zu. Der britische Einzelhandel hat die Herausforderung angenommen, von Drive-Thru-Click-and-Collect-Konzepten bis hin zu Schaufenstern mit Augmented-Reality-Technologien.
Eine der jüngsten Innovationen des Lebensmitteleinzelhändlers Asda besteht beispielsweise darin, dass das Unternehmen dem Kunden die Möglichkeit bietet, Online-Bestellungen im Geschäft bar zu bezahlen. Dieser sogenannte „Pay with Cash“-Service, den Walmart auch in den USA anbietet, bedeutet, dass Kunden, die nicht bereit sind, ihre Kreditkartendaten oder ihre Bankverbindung online einzugeben oder die weder über eine Debit- noch über eine Kreditkarte verfügen, dennoch nicht auf Online-Bestellungen verzichten müssen.
Der stationäre Handel
Darüber hinaus hat Asda vor Kurzem einen Click-and-Collect-Service an verschiedenen U-Bahn-Stationen eröffnet: Dort können Kunden, die mit den öffentlichen Verkehrsmitteln unterwegs sind, dieselben Services nutzen wie Kunden, die mit dem Auto fahren. So hat der Kunde beispielsweise die Möglichkeit, bis mittags seine Einkäufe online zu bestellen und diese dann nach 16.00 Uhr auf dem Weg nach Hause auf dem Bahnhofsvorplatz abzuholen.
Der Ausbau des Click-and-Collect-Service ist ein wesentlicher Bestandteil der Unternehmensstrategie von Asda. So sind 1.000 neue Click-and-Collect-Standorte geplant. Außerdem ist Asda dabei, Drive-Thru-Click-and-Collect für alle seine Geschäfte einzuführen. Momentan kommen pro Woche 10 Filialen hinzu; letztlich soll der Service in allen 568 Supermärkten des Unternehmens angeboten werden.
Auch Tesco setzt auf das Drive-Thru-Konzept. Der Service kann inzwischen in 200 Tesco-Filialen genutzt werden. Im Oktober gab das Unternehmen seine Pläne bekannt, Click-and-Collect auch außerhalb seiner Filialen an Standorten wie Schulen, Bibliotheken und Sportzentren anzubieten. Der Lebensmittelhändler führt in York ein Pilotprojekt mit dem neuen Service durch und bietet seinen Kunden die Möglichkeit, ihre Einkäufe an einem von drei Standorten (einer Schule und zwei Parkhäusern) abzuholen.
Multichannel stationär
Die großen Lebensmittelketten sind nicht die einzigen, die das Thema Multichannel-Retailing aufgegriffen haben und vorantreiben. Im August 2012 eröffnete Marks & Spencer eine Filiale in Cheshire Oaks (Ellesmere Port), die mit zahlreichen Innovationen aufwarten kann. Zu den vielen neuen Elementen, die 2012 eingeführt wurden, gehören kostenloses Wlan sowie 12 sogenannte„ Browse & Order“-Terminals, an denen der Kunde Artikel auswählen kann, die die Filiale nicht auf Lager hat.
Die „Browse & Order“-Punkte sind von dem mit einem eigenen Tresen ausgestatteten Click-and-Collect-Bereich getrennt und „weniger emotional gehalten“, wie Chief Executive Marc Bolland erläutert. Außerdem stehen mehrere mit iPads ausgestattete Verkäufer bereit, um den Kunden bei der Artikelauswahl zu unterstützen. In der Abteilung für Kosmetik- und Pflegeprodukte im Erdgeschoss kann sich die Kundin auf einem großen Touchscreen einer „virtuellen Schönheitsberatung“ unterziehen.
Seitdem hat M&S sein IT-Team verstärkt und lässt seine Website demnächst nicht mehr auf einer Amazon-Plattform hosten. Die neue Internetpräsenz des Unternehmens wird voraussichtlich im Frühjahr 2014 fertiggestellt werden. Zurzeit baut M&S ein Team aus 100-150 Software-Experten auf, deren Aufgabe darin bestehenwird, das Multichannel-Konzept mit Innovationen voranzutreiben. „Dadurch, dass wir ein eigenes Expertenteam aufbauen, können wir uns das geistige Eigentum an allen Innovationen sichern und werden sicherlich auch produktiver arbeiten“, meint Darrell Stein, IT -Leiter bei M&S. Die Software-Experten sollen mit Mitarbeitern aus anderen Unternehmensbereichen zusammenarbeiten. Mehrere große Unternehmen, darunter Tesco, arbeiten verstärkt an ähnlichen Konzepten.
Die Online-Händler
Doch nicht nur Unternehmen aus dem klassischen Filialeinzelhandel versuchen sich im Multichannel-Retailing, sondern auch reine Online-Händler, denen bewusst geworden ist, dass die Möglichkeit, seine Einkäufe sowohl virtuell als auch physisch zu erledigen, so manchen Kunden dazu bringen könnte, sich vom reinen Online-Handel abzuwenden.
Ebay hat dies früh erkannt und bereits mehrere Läden in der realen Welt eröffnet. In diesem Jahr ließ Ebay in London ein bekanntes Märchen im Theater aufführen, wobei den Zuschauern während des Stücks auf einem zur Verfügung gestellten Tablet-PC Geschenkideen präsentiert wurden. Damit huldigte Ebay einem der in diesem Jahr wichtigsten Multichannel-Trends, dem so genannten Dual Screening. Dual Screening bezeichnet das Phänomen, dass die Kunden auf ihrem Tablet-PC oder Smartphone im Internet einkaufen, während sie fernsehen.
Die Kunden verwenden Tablets, Smartphones und Desktop-PCs jeweils für ganz bestimmte Tätigkeiten. Mit dem Tablet suchen Sie beispielsweise im Internet etwas Bestimmtes, sehen sich hoch auflösende Bilder an oder nehmen eine Bestellung vor, während sie das Smartphone zum Beispiel für die Suche nach einer Filiale verwenden, die sie von ihrem momentanen Standort aus zu Fuß erreichen können. Den Desktop-PC setzen sie für Tätigkeiten ein, die sie weder mit dem Tablet noch mit dem Smartphone erledigen. Der Einzelhandel erkennt diese Verhaltensmuster. So lud Ebay die Zuschauer in einer anderen Aktion zu einem pantomimischen Theaterstück ein und stellte jedem Zuschauer einen Tablet-PC zur Verfügung. Zu bestimmten Zeitpunkten während der Vorstellung wurden die Zuschauer dazu ermuntert, sich durch die Pantomime inspirieren zu lassen und ein Geschenk für Schwester, Bruder, Mutter oder Vater auszusuchen. Am Ende des Stücks hatten die Besucher eine vollständige Geschenkeliste zusammen.
Der Online-Modehändler Net-a-Porter erprobte 2011 ein etwas anderen Konzept und baute in London ein Pop-up-Schaufenster mit Augmented Reality auf. Hier konnten die Kunden ihre iPads an Bilder im Schaufenster richten, woraufhin auf dem iPad Videos, Produktinformationen sowie die entsprechende Website angezeigt wurden.
Der zweite große Bereich, in dem sich zurzeit interessante Entwicklungen vollziehen, sind Versand und Auslieferung. Etliche Online-Händler überlegen sich, wie sie das Filialnetz anderer Handelsunternehmen für die Auslieferung ihrer eigenen Bestellungen nutzen können. Beispiel dafür sind die Paketstationen, die Amazon in Großbritannien betreibt. Ebay hat einen Vertrag mit dem britischen Nonfoodhändler Argos abgeschlossen, der vorsieht, dass Ebay-Kunden künftig Bestellungen in den Argos-Filialen abholen können. Zu dem Filialnetz, das den Ebay-Kunden offensteht, gehören 150 Argos-Geschäfte, an die sich die Kunden Artikel von etwa 50 Ebay-Händlern senden lassen können.
Ursache für alle diese Veränderungen sind die sich wandelnden Kundenbedürfnisse. Eine 2013 von Ofcom durchgeführte Marktstudie ergab, dass 51 Prozent aller Erwachsenen in Großbritannien ein Smartphone besitzen; vor zwei Jahren lag dieser Anteil bei nur 27 Prozent. Außerdem hat sich im vergangenen Jahr der Anteil der Kunden, die einen Tablet-PC besitzen, mit einem Anstieg von 11 Prozent auf 24 Prozent mehr als verdoppelt. Das bedeutet, dass die Kunden die Möglichkeiten des Online-Handels intensiver nutzen.
Der Kunde
Die Kunden gewöhnen sich immer mehr an Services, die auf ihre Bedürfnisse, also die Bedürfnisse der Kunden und nicht auf die Bedürfnisse des Einzelhandels ausgerichtet sind. Die beste Strategie für die Händler dürfte darin bestehen, sich experimentierfreudig zu zeigen und die Entstehung einer Innovationskultur zu fördern. Jeder Einzelhändler bemüht sich intensiv darum herauszufinden, wie er am besten den Kontakt zu seinen Kunden herstellen kann und welche Vertriebswege diese am liebsten nutzen.
Die Herausforderungen
Dieser Veränderungsprozess ist für den Einzelhandel nicht einfach. So gibt es etliche Hürden in der Unternehmenskultur. Manchmal müssen Kommunikations- und IT-Verantwortliche eines Unternehmens Manager, die bislang stets erfolgreich waren, davon überzeugen, dass ein radikaler Wandel erforderlich ist.
Die Leiterin des Bereichs Multichannel bei M&S, Laura Wade-Gery, erklärte, dass es in der Vergangenheit Probleme mit Altsystemen sowie einer mangelnden Systemintegration gegeben habe. M&S will schmale Zeitfenster für Auslieferungen, späte Bestellschlusszeiten und das Konzept der Lieferung am Tag der Bestellung einführen, stößt dabei momentan jedoch noch an die Grenzen der bestehenden Infrastruktur sowie der Amazon-Plattform, von der sich das Unternehmen gerade trennt.
In eine ähnliche Richtung gehen auch die Äußerungen von Paul Coby, Chief Information Officer des Warenhausbetreibers John Lewis: „Wir wollen eine technische Infrastruktur schaffen, die die verschiedenen Systeme miteinander verknüpft. Doch so weit sind wir noch nicht. Wir führen ein neues EPOS ein, eine neue Web-Plattform und wir haben mit der Entwicklung eines neuen Bestellmanagementsystems begonnen. Wir arbeiten zurzeit an der grundlegenden Architektur unseres künftigen Multichannel-Retailing- Systems.“
Fotos: Asda (1), Ebay (1), Marks & Spencer (1), Net-a-Porter (1)