Im Rahmen der Studie wurde analysiert, inwieweit Supply-Chain-Prozesse aus einer gesamthaften Betrachtung gesteuert werden können – einer Betrachtung von der Rampe des Lieferanten bis zum Regal in der Filiale. Ebenfalls betrachtet wurde dabei der dem Warenfluss entgegengesetzt verlaufende Informationsfluss. 16 Unternehmen nahmen an der Studie teil, gut die Hälfte davon hat ihren Firmensitz in Deutschland. Diese Unternehmen decken gut 40 Prozent des Umsatzes der Top 10-Lebensmittelhändler in Deutschland ab. Projekte zur Optimierung der Supply Chain wurden nach ihrem Umfang sowie nach den verschiedenen Projektzielen „Performanceverbesserung“, „Reduzierung von Supply-Chain-Kosten“ und „Umsetzung von Geschäftsstrategien“ differenziert. Nachfolgend eine Kurzbeschreibung der 3 Typen von Supply-Chain-Projekten:
Typ 1: Optimierungen innerhalb einzelner Stufen der Supply Chain, zum Beispiel Optimierung von innerbetrieblichen Transportwegen
Typ 2: Optimierung mit einer ganzheitlichen Supply-Chain-Perspektive, jedoch ohne Einbezug von Auswirkungen auf die Verbraucher, zum Beispiel optimierte Zeitfenster für die Filialbelieferung
Typ 3: Optimierung aus einer gesamthaften Supply-Chain-Perspektive inklusive der direkten Auswirkungen auf Verbraucher, zum Beispiel Verringerung von Durchlaufzeiten im Frischebereich
Beispiele für Zielrichtungen im Supply Chain Management sind u.a.:
Performance: Verbesserung der Supply-Chain-Leistung, zum Beispiel Verfügbarkeit im Regal
Kosten: Reduzierung von Supply-Chain-Kosten
Strategie: Schaffung der Voraussetzungen für die Umsetzung einer Geschäftsstrategie, zum Beispiel Aufbau eines Omnichannel-Systems
Die Untersuchung des Ist-Zustandes ergab, dass knapp die Hälfte der Projekte der an der Studie teilnehmenden Händler dem Projekt-Typ 1 zuzuordnen ist. Lediglich bei einem Viertel aller derzeitigen Projekte steht eine ganzheitliche Supply-Chain-Betrachtung inklusive Auswirkungen auf den Endkunden (Typ 3) im Mittelpunkt. Um die Kundenperspektive in die Supply-Chain-Planung einzubeziehen, ist allerdings eine übergreifende Koordination zwischen Vertrieb, Marketing und Supply Chain Management notwendig.
Performance-Steigerung
Bei den Zielsetzungen von Supply-Chain-Projekten steht aktuell die Performance-Steigerung im Vordergrund. Für fast die Hälfte aller Projekte trifft dies zu. Nur knapp jedes fünfte Projekt verfolgt derzeit ein stärker strategisches Ziel wie die Errichtung eines Omnichannel-Systems.
Im Rahmen einer Reifegrad-Analyse wurden die Prozessschritte in 13 einzelne „Dimensionen“ kategorisiert. Ziel der Kategorisierung war eine möglichst detaillierte Auswertung, um Stärken und potenzielle Handlungsfelder innerhalb der einzelnen Abschnitte zu identifizieren. Während die Dimensionen (1) bis (7) die grundlegenden Funktionsbereiche des Supply Chain Managements abbilden, stellen die übrigen Dimensionen (8 bis 13) die unterstützenden Funktionen dar (s. Abb.). Dabei wurde deutlich, dass Lebensmittelhändler noch nicht in allen Bereichen die letztemögliche Ausbaustufe erreicht haben.
Lebensmittelhändler planen, in Zukunft einen stärkeren Fokus auf die gesamthafte Optimierung entlang der Lieferkette zu legen.
Robert KlinglerIm Durchschnitt wenden die befragten Lebensmittelhändler rund 8,5 Prozent des Nettoumsatzes für ihre Logistik auf. Dabei entfallen auf die Lagerkosten rund 2,9 Prozent, auf die Transportkosten rund 1,4 Prozent, auf die Zentrallogistik rund 0,8 Prozent und auf die Filiallogistikkosten rund 3,4 Prozent. Abschriften von Warenverlusten machen bei den Händlern im Schnitt rund 1,6 Prozent des Nettoumsatzes aus.
Damit entfallen auf die durch die Supply Chain des Händlers direkt beeinflussbaren Kosten durchschnittlich mehr als 10 Prozent des Nettoumsatzes. Es hat sich gezeigt, dass Händler mit niedrigeren Logistikkosten in der Vergangenheit verstärkt auf Projekte mit stufenübergreifendem Charakter gesetzt haben.
Die befragten Händler nannten eine hohe Warenverfügbarkeit von durchschnittlich 96-98 Prozent. Teilweise wird dies aber durch hohe Bestandskosten erreicht. Die Reichweiten der Bestände in der Supply Chain der Händler liegen im Schnitt zwischen 16 und 18 Tagen. Eine weitere Verbesserung der Verfügbarkeit auf über 98 Prozent wäre nur mit höheren Warenverlusten und deutlich höheren Logistikkosten zu „erkaufen“.
Kriterium Reifegrad
Der Reifegrad einer Lieferkette wird eindeutig von der Art der Supply-Chain-Managementprojekte in der Vergangenheit beeinflusst. Händler, die verstärkt Projekttypen 2 und 3 durchgeführt haben, erreichen einen höheren durchschnittlichen Reifegrad ihrer Logistik-Aktivitäten als bei einer Fokussierung auf funktional isolierte Projekte des Typs 1. Ein hoher Reifegrad zahlt sich insbesondere bei der Regalverfügbarkeit aus. Positive Effekte bei Kosten-KPIs lassen sich auch schon durch isolierte Projekte in den einzelnen Abschnitten der Lieferkette realisieren. Diese können dann aber durch eine gesamthafte Herangehensweise noch weiter verbessert werden.
Händler realisieren eine höhere Warenverfügbarkeit, wenn Bedarf und Nachschubsteuerung stärker funktionsübergreifend geplant werden. Eine übergreifende Optimierung der Filiallogistik führt ebenfalls zu einer höheren Warenverfügbarkeit und geringeren Verlust-Kosten in der Filiale.
Grundsätzlich kann man sagen, dass Lebensmittelhändler die in der Reifegradanalyse identifizierten Defizite teilweise erkannt haben und planen, in Zukunft einen stärkeren Fokus auf die gesamthafte Optimierung entlang der Lieferkette zu legen. Die Unternehmen werden ihr Supply Chain Management verstärkt an Auswirkungen für die Verbraucher ausrichten.
Die Händler gaben an, dass sie planen, ihren Anteil an integrierten, stufenübergreifenden Projekten des Typ 3 zu verdoppeln und Projekte, die auf eine Optimierung einzelner Stufen der Lieferkette oder auf eine Optimierung der Logistik ohne Verbrauchereinflüsse abzielen, wesentlich seltener durchführen werden. Lag der Anteil an Typ 3-Projekten bisher nur bei rund einem Viertel, so wird dieser voraussichtlich auf fast die Hälfte steigen. Händler setzen dabei auf eine stärkere strategische Ausrichtung entlang der gesamten Lieferkette, denn nur noch 24 Prozent statt bislang 41 Prozent der Projekte sollen einer reinen „Silo-Optimierung“ dienen. Daraus wird sich voraussichtlich ein stärker ausbalanciertes Bild zwischen den drei Zielsetzungen Performance, Kosten und Strategie ergeben. Zukünftige Möglichkeiten der Supply-Chain-Optimierung werden vom Handel besonders in den Dimensionen „Bedarfsplanung und Nachschubsteuerung“, „Optimierung von Distributionssystemen“ sowie „Filiallogistik“ gesehen.
Einigkeit herrscht bei den Händlern, dass vor allem auch ein steigender Kostendruck in Zukunft gemanagt werden muss. Neun von zehn Händlern sehen dieses als wichtig bis sehr wichtig an. Steigende Anforderungen an die Leistung der Supply Chain aufgrund eines veränderten Konsumentenverhaltens sowie die Integration neuer Technologien folgen als weitere wichtige Trends.
Co-Autoren: Prof. Dr. Alexander Hübner und Robert Klingler
Foto: istockphoto.com/OJO_Images
Grafiken (2): EHI, BCG, KU Eichstätt-Ingolstadt
Kontakt: kempcke@ehi.org
EHI-Studie
Ganzheitliches Supply Chain Management im LEH
Reifegrad, Erfolgsfaktoren und Entwicklungsansätze
ISBN 978-3-87257-459-6
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