Auf den ersten Blick sieht er aus wie ein ganz normaler Einkaufswagen mit einem Drahtkorb oben und einer Ablagefläche für Getränkekisten unten. Was den Wagen unterscheidet, sind zwei technische Aufrüstungen. Die erste befindet sich direkt hinter dem Griff: eine Box mit großem Display und angeschlossenem Handscanner, die fest installierte Scanbox, mit der die Kunden die Artikel während des Einkaufs einscannen. Die zweite technische Aufrüstung befindet sich im unteren Teil des Wagens, direkt über den Rädern: drei mit Sensoren verbundene Wägezellen, die den Inhalt des Drahtkorbs sowie die Artikel auf der unteren Ebene wiegen – und das permanent während des Einkaufs, immer wenn der Kunde einen Artikel aus dem Regal entnommen und in den Einkaufswagen abgelegt hat.
„Das entscheidende Argument, warum wir an unseren Scanbox-Einkaufswagen die Waage nachgerüstet haben, ist die Kontrolle“, sagt Robert Aschoff, der mit seinem Sohn Max einen rd. 2.000 qm großen Edeka-Markt in Kassel betreibt. Der Scanbox-Einkaufswagen, eine Entwicklung des Start-ups KBST GmbH aus Kaufungen bei Kassel, ist bei Edeka Aschoff schon seit zwei Jahren im Einsatz. Die ersten Wagen mit der integrierten Wiegetechnologie kamen im Frühjahr dieses Jahres hinzu.
Wie funktionieren die Scanbox und die Wiegetechnologie? Der Kunde berührt den Button „Einkauf starten“ auf dem Display und begibt sich auf die Shopping-Tour. Er nimmt einen Artikel aus dem Regal und scannt den Barcode. In dem Moment, wo der Artikel im Einkaufswagen abgelegt ist, registriert die Wägetechnik das Gewicht des Artikels. Dieser Prüfvorgang dauert weniger als eine Sekunde. Der Abgleich mit den Artikeldaten auf dem Markt-Server erfolgt, WLAN-Verbindung vorausgesetzt, blitzschnell. Legt ein Kunde einen Artikel in den Einkaufswagen ab, ohne ihn zu scannen, weist ein Warnsignal ihn auf das Versäumnis hin.
Wägetechnik kontrolliert Korbinhalt
Wichtig ist, dass jeder Artikel separat gescannt wird. Werden beispielsweise zwei Artikel aus dem Regal entnommen und beide im Einkaufskorb abgelegt, nachdem vorher nur ein Artikel gescannt wurde, gibt die Scanbox eine akustische Fehlermeldung, und auf dem Display erscheint die Aufforderung, den Artikel aus dem Einkaufswagen herauszunehmen. Auch bei gewichtsabhängigen Artikeln lässt sich das Kontrollsystem nicht überlisten. Beispiel Frischfleisch: Nimmt der Kunde eine SB-Verpackung Hackfleisch mit 420 g aus dem Kühlregal, scannt diese ein und legt stattdessen eine Packung mit 490 g in den Korb, registriert die Wägetechnik, dass Scan- und Gewichtsdaten nicht übereinstimmen. Erst wenn das „richtige“ Produkt im Wagen liegt oder die Erfassung durch erneutes Scannen storniert wurde, schaltet das Display in den Normalmodus um, und der Einkauf kann fortgesetzt werden.
Robert Aschoff schätzt an der Scanbox vor allem die Tatsache, dass die Bestände im Warenwirtschaftssystem immer korrekt abgebildet sind. Wenn der Kunde mit dem Smartphone oder einem Industrie-Handheld scannt, kann es vorkommen, dass er zum Beispiel bei Tütensuppen, die alle denselben Preis haben, eine Sorte einscannt, dann fünfmal die Plustaste drückt, anschließend aber 5 verschiedene Sorten auswählt. „Danach stimmen die Bestände am Regal nicht mehr mit den Daten im Warenwirtschaftssystem überein“, sagt Aschoff. Die Scanbox fordert den Kunden auf, jeden Artikel einzeln zu scannen, andernfalls gibt das Display die Fortsetzung des Einkaufs nicht frei.
Am Checkout berührt der Kunde den Bezahl-Button auf dem Display und wählt aus, an welcher Kasse er bezahlen möchte. Bei Edeka Aschoff gibt es 3 bediente Kassen und 4 Selfcheckouts. Nach dem Scannen des Barcodes an dem ausgewählten Kassenplatz wird der Einkauf an die Kasse übertragen und der Bezahlvorgang eingeleitet.
Bezahlen an der Scanbox-Kasse
Für Kunden mit der Scanbox stehen darüber hinaus zwei kompakte Selfscanning-Zahlstationen zur Verfügung, die über eine am Boden angezeigte „Überholspur“ direkt angesteuert werden können. Eine Station akzeptiert nur Kartenzahlung, die andere auch Bargeld. Bei den Selfcheckout- Kassen beträgt das Verhältnis von Bargeld- und Kartenanteil am Umsatz laut Aschoff 70:30, bei den Scanbox-Kassen verhält es sich genau umgekehrt. Nach dem Bezahlen an einer der SB-Kassen erhält der Kunde einen Kassenbon mit aufgedrucktem Barcode. Diesen hält er unter ein Lesegerät am Exit-Gate, die Schranken öffnen sich und der Kunde verlässt den Markt.
Kontrollen werden bei den Scanbox-Wagen, ob mit oder ohne Wiegefunktion, nach dem Zufallsprinzip durchgeführt. „Wir haben in den Boxen eine Kontrollwahrscheinlichkeit von 0,5 Prozent eingestellt“, sagt Max Aschoff, der Sohn des Seniorchefs. Was bedeutet, dass rechnerisch nur jeder 200. Einkaufswagen kontrolliert wird – die Händler setzen also großes Vertrauen in die Wägetechnik. Max Aschoff: „Fehler sind praktisch ausgeschlossen.“
Es ist vor allem die Einfachheit im Handling, die den smarten Einkaufswagen für die Kunden attraktiv macht. Robert Aschoff: „Die Bedienung muss selbsterklärend sein, und der Kunde muss sich immer selber helfen können. Daher haben wir auf eine Hilfe-Taste am Display verzichtet.“ Die Anonymität bei der Anwendung ist laut Aschoff ein Hauptgrund für die hohe Nutzungsrate. Etwa die Hälfte des Marktumsatzes entfällt auf die 50 smarten Einkaufswagen, die seit Anfang November alle mit Wiegefunktion ausgestattet sind.
Außer den Aschoffs setzen derzeit noch 9 weitere Edeka-Händler den Scanbox-Wagen ein, aber noch ohne Wiegefunktion. Die meisten von ihnen wollen die Wagen in naher Zukunft mit der Wiegetechnologie nachrüsten, berichten Niels Becker und Jan Mario Kraus vom Start-up KBST, die den Wagen in Zusammenarbeit mit dem Transportsystem-Anbieter Expresso entwickelt haben. Teilelieferant ist der Metallwaren- und Einkaufswagenhersteller Geck aus Altena.
Selbstlernender Algorithmus
Der Edeka-Markt hat ca. 26.000 verschiedene Artikel gelistet. Fast alle Stamm- und Gewichtsdaten werden von der Scanbox erkannt. Wenn ein neuer Artikel 3 oder 4 Mal gescannt und das Gewicht von der Waage registriert wurde, wird dieser Artikel vom System akzeptiert. „In diesem Moment ist die Kontrolle scharf“, erklärt Max Aschoff den selbstlernenden Algorithmus. Es sei aber auch möglich, neue Artikel händisch einzupflegen. Mit der „Managementkarte“ kann ein autorisierter Mitarbeiter darüber hinaus verschiedene Parameter an der Box einstellen wie die Kontrollwahrscheinlichkeit am Checkout.
Vor allem Kunden mit größeren Einkäufen schätzen die Vorteile des Scanbox-Wagens, weil sie nicht jeden einzelnen Artikel auf das Kassenband legen müssen. Scanbox-Kunden kaufen im Durchschnitt für 40 Euro ein. Kunden, die einen normalen Einkaufswagen nutzen, haben einen Durchschnittsbon von 14 Euro. Robert Aschoff sagt, dass sich die Investition in den smarten Einkaufswagen bereits nach 3 Monaten amortisiert. Eine Box kostet rd. 1.500- 1.600 Euro. Der Wartungsvertrag für monatlich 10 Euro pro Wagen beinhaltet den Austausch bzw. die Reparatur innerhalb von zwei Tagen. Aufgeladen werden die Akkus der Boxen über Nacht mit Magnetsteckern. Die Ladeinfrastruktur befindet sich im Markt und benötigt nur eine Steckdose. Nach 6 Stunden Ladezeit sind die Akkus voll und für 36 Betriebsstunden nutzbar.
Die Entwickler beschäftigen sich bereits damit, welche Art der Zahlungsabwicklung künftig mit der Scanbox möglich sein soll. So könnte der Edeka-Kunde in Zukunft seine bevorzugte Zahlungsmethode über die Edeka-App hinterlegen oder sich über die Deutschlandcard an der Scanbox vor dem Einkauf anmelden. Dann kann der Bezahlvorgang am Checkout vollautomatisch abgewickelt werden. Auch die Übertragung des Einkaufs an die Kasse kann automatisch erfolgen, wenn der Scanbox-Einkaufswagen am Checkout über Beacons identifiziert wird. Die Kasse meldet dann an den Wagen, dass die Bezahlung erfolgt ist, sendet den Beleg auf das Smartphone, und der Kunde verlässt den Markt. „Wenn Sie jetzt an Amazon denken, liegen Sie richtig“, so Robert Aschoff schmunzelnd.
Keine Anmeldung, keine App
Robert Aschoff, Inhaber von Edeka Aschoff in Kassel, ist sehr offen für smarte Technologie. Diese sollte aber so unkompliziert und barrierefrei wie möglich sein.
Herr Aschoff, was unterscheidet den Einkaufswagen mit der Scanbox von anderen smarten Einkaufswagen?
Vor allem die einfache Handhabung – keine Anmeldung, keine App, keine Kundenkarte. Die Anonymität bei der Anwendung ist mit ein Grund für den hohen Nutzungsgrad. Ein großes Display-Feld, das gut ablesbar und selbsterklärend ist. Und natürlich der Vorteil für die Kunden, dass sie ihren Einkauf nicht mehr auf das Kassenband legen müssen.
Anonymität beim Selfscanning bedeutet aber auch ein erhöhtes Diebstahlsrisiko.
Das ist der Grund, warum wir die Hersteller der Scanbox mit der Entwicklung einer intelligenten Wiegetechnik beauftragt haben. Zufallskontrollen am Checkout hatten ergeben, dass sich die Zahl der Fälle häufte, bei denen wir nicht mehr nur von vergessenen Artikelscans ausgehen konnten. Um gegenzusteuern, hätten wir die Kontrollfrequenz so stark steigern müssen, dass die Anwendung für die Kunden uninteressant geworden wäre, weil die Artikel doch wieder an der Kasse ausgepackt werden müssen.
Ihr Unternehmen ist an dem Start-up, das die Scanbox mit der Wiegetechnik entwickelt hat, beteiligt. Was versprechen Sie sich von diesem Engagement?
Ein Einkaufsprozess wie bei Amazon Go, aber ohne Hightech-Kameras und Sensoren, ist unser langfristiges Ziel. Durch die Beteiligung an der KBST GmbH können wir Einfluss nehmen auf den Vertrieb der Scanbox im Lebensmittelhandel. Zurzeit ist diese Technologie nur für Händler der Edeka Hessenring verfügbar. Der nächste Schritt wird sein, die Implementierung allen Edeka-Händlern bundesweit zu ermöglichen.
Auch die Edeka Minden-Hannover hat smarte Einkaufswagen im Einsatz. Beim „Easyshopper“ handelt es sich nicht um Wagen mit Drahtkorb, sondern um einen Wagen, der zwei Abstellflächen hat, auf denen der Kunde die gescannten Waren direkt in seine eigenen Taschen und Kisten verpacken kann.
Der Wagen des Herstellers Pentland Firth hat einen an der Seite hoch aufragenden Bügel, in dem sich der Scanner befindet. Am Griff befindet sich, dem Kunden zugewandt, das Display. Gestartet wird der Wagen über das Scannen entweder eines Codes in der App oder der Deutschlandcard, die Benutzung ist also nicht anonym. Eine Einkaufsliste kann der Kunde schon zuhause in der App machen und in das Display übertragen. Obst und Gemüse muss in der Abteilung selbst abgewogen und etikettiert und danach eingescannt werden. Zur Kontrolle gegen Missbrauch ist der Wagen mit einer Kamera und einer Waage ausgestattet.
Zum Bezahlen geht der Kunde an eine spezielle bediente „Easyshopper“-Kasse, wo dann nur noch die Endsumme ohne Auspacken bezahlt werden muss. Besonders schnell kann der Einkauf abgeschlossen werden, wenn der Kunde in der App seine Kontodaten hinterlegt und direkt über das Smartphone bezahlt. Dann muss nur noch ein Bon an der „Easyshopper“-Kasse abgeholt werden. Edeka Minden-Hannover setzt den „Easyshopper“ aktuell in rund 40 Edeka- und Marktkauf-Märkten ein – schwerpunktmäßig in Regiebetrieben, aber auch bei einigen selbstständigen Händlern. Die „Easyshopper“- Märkte starten, je nach Größe, jeweils mit rund 50 Wagen. Edeka Minden-Hannover plant, den Wagen nach und nach in weiteren Märkten einzusetzen.