Im Modehandel regiert allzu oft der Rotstift. Seit Abschaffung des Rabattgesetzes wird die Ware nur noch wenige Wochen im Jahr zu regulären Preisen verkauft. Befeuert wird diese „Rabatteritis“ durch die Preistransparenz im E-Commerce und durch Sale-Aktionen der großen Player. Irgendwann greifen notgedrungen auch die Fachhändler zum Rotstift. Und zwar nicht selten nach dem Gießkannenprinzip. „20 Prozent auf alles“, heißt es dann schnell.

Wie verkaufsfördernd sind Deko-Points? Das Projekt „Kiepo“ soll es herausfinden.
Foto: Ebbers Modeerlebnis
Christoph Berger, Inhaber des Warendorfer Modehauses Ebbers Modeerlebnis, ärgert dies: „In unserer Branche ist die Abschriftenquote mit durchschnittlich 25 Prozent viel zu hoch. Wir reduzieren meistens in viel zu großen Schritten und zu undifferenziert.“ Als studierter Betriebswirt und Informatiker ist der 45-Jährige ein Fan von Entscheidungen, die auf Fakten basieren und nicht aus dem Bauchgefühl heraus getroffen werden. Und genau dies passiert seiner Einschätzung nach zu häufig. „Wir reduzieren den Preis eines Artikels, ohne zu wissen, welchen Einfluss dieser konkret auf die Kaufentscheidung der Kundinnen und Kunden hat. Und ignorieren gleichzeitig alle anderen Faktoren.“
Mit dem Projekt Kiepo (Künstliche Intelligenz im Einzelhandel zur Produkt-Platzierungs-Optimierung) will er Licht ins Dunkel bringen und untersuchen, wie sich Preis und Positionierung eines Artikels tatsächlich auf die Conversion Rate auswirken. Projektpartner sind der Einkaufsverbund EK/Servicegroup, Bielefeld, das Unternehmen Panther Pricing, Frankfurt, sowie das Retail Artificial Intelligence Lab (retAIL) an der Universität Duisburg-Essen. Ziel ist es, herauszufinden, ob es möglich ist, eine KI-basierte Lösung zu entwickeln, die auf Basis ausreichender Daten den Händlern konkrete Empfehlungen für den richtigen Preis und die optimale Positionierung geben kann.
Susanne Sorg, Mitglied des Vorstands der EK/Servicegroup, verspricht sich viel von dem Projekt: „Wir erhoffen uns ein objektiviertes Steuerungsinstrument, mit dem Umsatz und Ertrag unserer Händler signifikant gesteigert und damit deren Wettbewerbsfähigkeit gesichert werden können.“
Die Erwartungen von Nils Streitbürger, Geschäftsführer von Panther Pricing, sind ebenfalls hoch: „Projekte mit unserer Dynamic-Pricing-Software im Mode-, Schuh- und Sportfachhandel haben gezeigt, dass allein durch eine datenbasierte Preissetzungsstrategie der Rohertrag um bis zu fünf Prozent gesteigert werden kann. Wenn es uns gelingt, zusätzlich die Positionierung automatisiert zu optimieren, ist eine Verbesserung von bis zu zehn Prozentpunkten realistisch.“
In unserer Branche ist die Abschriftenquote mit durchschnittlich 25 Prozent viel zu hoch.
Christoph Berger
Erste Praxisphase ausgebremst
Im vergangenen Oktober wurde die erste Praxisphase von Kiepo gestartet: Auf einer 260 qm großen Testfläche im stark frequentierten Eingangsbereich des Modehauses Ebbers wurden ca. 2.500 Artikel mit elektronischen Preisetiketten von SES-Imagotag ausgerüstet. Gleichzeitig wurde die Abteilung, in der modische Damenbekleidung angeboten wird, mit Funkantennen ausgestattet. Diese können die Funksignale der Etiketten empfangen und damit deren Positionierung orten.

Über die Ortungsfunktion der Lösung werden auch Picking-Prozesse fürs Online-Business effizienter
Foto: Panther Pricing
Mithilfe mehrerer Szenarien sollten die Auswirkungen unterschiedlicher Preise sowie eben auch verschiedener Platzierungen über einen Abverkaufszeitraum von ca. drei Monaten gezielt untersucht werden. Dabei standen insbesondere Präsentationsmodule wie Rückwände, Deko-Podeste, Sale-Ständer oder Display-Mannequins im Fokus. Die Corona-Pandemie mit all ihren Einschränkungen von Maskenpflicht bis Lockdown hat das Projekt jedoch zunächst eingeschränkt und dann komplett ausgebremst. Christoph Berger hofft auf eine baldige Normalisierung der Verhältnisse, damit das Projekt, das auf drei Jahre angesetzt ist und vom NRW-Wirtschaftsministerium gefördert wird, fortgesetzt werden kann.
Potenzial für andere Branchen
Im Verlauf sollen weitere Pilotpartner aus dem Kreis der EK/Servicegroup hinzukommen, da die Leistungsfähigkeit der zu entwickelnden KI-basierten Lösung umso größer ist, je umfangreicher das gesammelte Datenvolumen ist. Im Fokus steht dabei zunächst der Modehandel, obwohl in dieser Handelsbranche die Herausforderungen angesichts des saisonalen Rhythmus, der kurzen Produktlebenszyklen, der begrenzten Artikelverfügbarkeit und der vielfältigen Einflüsse auf das Kaufverhalten bis hin zum Wetter am größten sind. „Gerade deshalb ist die Branche für Kiepo so interessant. Wenn es uns hier gelingt, allgemeingültige Muster zu erkennen auf deren Basis die KI-basierte Software Empfehlungen zu Preis und Platzierung geben kann, ist die Adaption auf andere Branchen vergleichsweise einfach“, weiß Nils Streitbürger von Panther Pricing.

Mithilfe der elektronischen Preisetiketten können die Preise auf Knopfdruck verändert werden.
Foto: Panther Pricing
Ein wesentlicher Erfolgsfaktor des Projekts ist für Susanne Sorg von der EK/Servicegroup, „dass die automatisiert ausgespielten Empfehlungen für die Händler auf ihrer Fläche einfach umzusetzen sind. Und zwar ohne, dass sie sich dabei mit den Daten und Analysetools auseinandersetzen müssen.“
Allen Beteiligten ist bewusst, dass es auch zukünftig insbesondere im Modehandel darum geht, der Klientel sorgfältig kuratierte Sortimente, leicht verständliche Lifestyle-Welten und eine inspirierende Warenpräsentation zu bieten. Von kompetenter persönlicher Beratung ganz zu schweigen. „Wir wissen alle, dass diese Faktoren weiterhin eine große Rolle spielen. Aber wenn es uns gelingt, innerhalb dieser Rahmenbedingungen gezielt an den Stellschrauben Preis und Platzierung zu drehen, können wir schon viel Ertragspotenzial realisieren“, ist sich Christoph Berger von Ebbers Modeerlebnis sicher.