Amazon hat es vorgemacht, andere ziehen nach: Der kassenlose Supermarkt elektrisiert die Branche und revolutioniert den Handel. Immer mehr Retailer testen vollautomatische Hightech-Läden, die komplett ohne Kassen auskommen. Mit Amazon Go hat der weltgrößte Online-Händler Anfang 2018 neue Maßstäbe und den stationären Handel unter Druck gesetzt. Angesichts der Corona-Pandemie und den geltenden Beschränkungen gewinnt Digitaltechnik zusätzlich an Bedeutung. Technik, die Kontakte minimiert, Rund-um-die Uhr-Shopping ermöglicht, den Einkauf entzerrt und beschleunigt.
Auch die Schwarz Gruppe, zu der die Lebensmittelfilialisten Lidl und Kaufland gehören, beschäftigt sich derzeit intensiv mit dem Thema. Das berichtete Nikolaus Blümlein, Innovationsmanager bei den Neckarsulmern, kürzlich in einem Webinar zu autonomen Stores. Veranstaltet haben das die IT-Dienstleister und Technologie-Partner Intel, Cloudpick und UST Global; Blümlein war Panel-Teilnehmer und Sprecher aus dem Handel.
Die drei Tech-Firmen haben eine Lösung entwickelt, die stark an Amazon Go erinnert. Sie funktioniert ebenfalls vollautomatisch: reingehen, einkaufen, rausgehen. „Walk in, Walk out“ (WiWo) nennen die Unternehmen das. Dank einer Kombination aus Computer Vision, Machine Learning und Internet of Things (IoT) muss der Kunde weder die Wunschartikel per Smartphone-App, Handgerät oder SB-Kasse selber scannen noch an der klassischen Kasse anstehen und bezahlen. Nötig ist nur ein QR-Code-Scan per Handy-App, um sich am Eingang auszuweisen und den Laden zu betreten. Nach dem Einkauf erscheint der Kassenbon direkt auf dem Handy.
Zum Einsatz kommen Deckenkameras und Sensoren, die den Kunden im Laden orten und dessen Laufwege verfolgen. Darüber hinaus „merken“ smarte Regale, wenn ein Produkt entnommen oder wieder zurückgestellt wird. Eine Software analysiert die Daten und ordnet dem jeweiligen Kunden den richtigen Warenkorb zu.
Ob Schwarz die Technik bereits testet, wollte das Unternehmen auf Anfrage von stores+shops nicht kommentieren. Schwarz-Manager Blümlein lobte jedoch die Lösung und hob die Möglichkeit hervor, unabhängig von der Tageszeit shoppen zu können sowie das im Vergleich zu Wettbewerbern attraktive Pricing. Amazons Go-Technologie gilt in der Branche gemeinhin als zu teuer und deshalb nicht rolloutfähig. Ein Hemmschuh, insbesondere im margenschwachen Lebensmitteleinzelhandel.
Händler tüfteln an Läden ohne Kasse
Der Handelskonzern Ahold Delhaize hat den unbemannten Mini-Markt von Intel, Cloudpick und UST Global bereits seit Ende 2019 in den USA im Einsatz. Der „Lunchbox“ genannte Convenience Store steht auf dem Firmengelände und versorgt die Mitarbeiter dort mit Lebensmitteln, Snacks, Salaten, frischem Obst und Getränken.
Vorbild und Vorreiter dieser Entwicklung ist zweifelsohne Amazon mit Amazon Go. Inzwischen betreibt der Internet-Riese 26 Amazon-Go-Convenience-Stores in Seattle, New York, San Francisco und Chicago sowie zwei größere Amazon-Go-Grocery-Supermärkte in Seattle und Redmond.
Neben der Schwarz Gruppe beschäftigen sich hierzulande auch etliche andere Händler mit Kassenlos-Konzepten und unbemannten Stores. Die Ladentechnik ist derweil oft weniger komplex. Anders als bei den vollautomatischen Checkout-Systemen, bei denen Videokameras und Sensoren einen lernenden Algorithmus mit Daten füttern, um Kunden und Produkte eindeutig zu orten und zuzuordnen, müssen Kunden dabei meist noch selbst Hand anlegen – und die gewünschten Artikel mit dem eigenen Smartphone scannen. Zuletzt hat Tegut („tegut teo”) mit einem solchen Self-Scan-Mini-Markt von sich Reden gemacht.