In den Verträgen mit Handelsunternehmen müssen sich IT-Dienstleister üblicherweise zum Stillschweigen über die jeweiligen Projekte und deren Intentionen verpflichten. Da geht es in erster Linie um die Wahrung strategischer Wettbewerbsvorteile. Manchmal aber auch schlicht darum, den eigenen Namen nicht in Zusammenhang mit unschönen Entwicklungen zu bringen – etwa den zunehmenden Problemen durch Diebstahl und Betrug an den SB-Kassen. Im deutschen Lebensmittelhandel werden Umsatzrenditen zwischen einem und zwei Prozent erzielt. Der durchschnittliche Inventurverlust liegt bei 0,5 bis 0,6 Prozent vom Umsatz. Da tut jeder Zehntelprozentpunkt, der an den SBKassen zusätzlich verlorengeht, extrem weh. Also muss der Handel in mehr Sicherheit am SCO investieren. Im Fokus steht dabei die Computer-Vision-Technologie. Künstliche Intelligenz gegen kriminelle Energie: Die Technik zielt darauf ab, per Video und über KI-gestützte Auswertung der Videosequenzen eine automatisierte Detektion von Fehlbedienungen und Diebstahlsversuchen zu installieren.
Tests und Pilotprojekte laufen an
Man darf getrost davon ausgehen: Weltweit alle großen Händler mit SB-Kassen befassen sich intensiv mit dieser noch relativ jungen Technik. „Vision Recognition am SelfCheckout gehört derzeit zu den absoluten Top-Themen des Handels, denn SelfCheckouts können nur dann flächendeckend eingesetzt werden, wenn das Thema Loss Prevention sicher beherrscht wird“, erklärt Christian Graumüller, Head of Presales bei der GK Software SE. Größere Roll-outs und Live-Anwendungen aber sind bisher nur aus Nordamerika und einigen asiatischen Ländern bekannt. SCO-Dienstleister Toshiba zum Beispiel verweist auf die USFoodHändler Wegmans (109 Filialen) und Weis Markets (200 Filialen), die zusammen mehr als 2.000 Kassenterminals von der Loss PreventionAnwendung von Toshiba überwachen lassen.
Europäische Händler dagegen befinden sich noch im Eruierungsstadium bzw. in ersten Testund Pilotprojektphasen. „UK, Frankreich, die nordeuropäischen Länder liegen hier vorne, Deutschland hängt eher zurück“, beobachtet Ralf Landa-Noël, Senior Project Manager bei ITAB. Ob NCR, Diebold Nixdorf, Toshiba, Fujitsu, Pan Oston oder eben Itab: Alle SCO-Dienstleister bieten dem Handel (teilweise in Kooperation mit SoftwarePartnern) inzwischen entsprechende KIbasierte Lösungen an. Alle berichten von laufenden Feldversuchen bei verschiedenen Handelskunden. Alle aber haben sich auch verpflichtet, keine Namen zu nennen.
Self-Checkouts können nur dann flächendeckend eingesetzt werden, wenn das Thema Loss Prevention sicher beherrscht wird.
Christian Graumüller
Erster Roll-out bei Intermarché
Entsprechend wenige Aktivitäten sind öffentlich bekannt. In Frankreich zum Beispiel plant die Groupement Mousquetaires (dazu gehören unter anderem die Unternehmen Intermarché und Netto sowie die Baumarktfilialisten Bricomarché, Brico Cash und Bricorama) den Roll-out einer von Diebold Nixdorf zusammen mit UKSoftwarepartner See Change entwickelten Anwendung. „Es ist damit zu rechnen, dass schon im Laufe dieses Jahres die ersten Filialen der Marken Intermarché oder Netto mit dieser Technologie ausgestattet werden“, sagt Nino Hörttrich, Head of Global Marketing Retail bei Diebold Nixdorf. Hierzulande testet DrogeriemarktFilialist Rossmann die Technik ausführlich.
SCO-Dienstleister ITAB berichtet, dass seine Lösung von einem norddeutschen EdekaHändler geprüft wird. Einen Schritt weiter ist der EdekaKollege Florian Jäger in Stuttgart: Laut Diebold Nixdorf läuft momentan die Implementierung der Technik im JägerMarkt am Flughafen Stuttgart. „Der erste deutsche Händler, bei dem die Kunden die Lösung im Live-Betrieb erleben werden“, sagt DN-Experte Nino Hörttrich.
Die Anwendung sollte so effektiv sein, dass der zurückgewonnene Wert spätestens bis Juni eines Jahres die jährlichen Kosten deckt.
Konstantin Heiller
Generell setzt der Handel große Hoffnung in die neue KI-gestützte Anwendung. Die Migros Schweiz zum Beispiel sieht in der Kombination von Kameras und datengetriebenen Analysen „eine neue Dimension der Diebstahlprävention.“ Ob sich diese Erwartung erfüllt, muss sich erst noch erweisen. Erste Erfahrungsberichte können nur mit Vorsicht zu genießende Anhaltspunkte liefern. Fujitsu zum Beispiel berichtet auf Basis verschiedener Praxisanwendungen, dass die Technik „auffälliges Fehlverhalten an den SCO-Kassen mit einer Trefferquote von durchschnittlich 95 bis 97 Prozent identifizieren kann.“
Während der Testphase bei der Groupement Mousquetaires konnten die fehlerhaften Transaktionen an den Selbstbedienungskassen laut Diebold Nixdorf „von drei auf unter einem Prozent“ gesenkt werden. Quoten, mit denen der Handel höchst zufrieden wäre, sollten sie sich als flächendeckend erreichbar erweisen. Denn damit würden sich Investitionen in geeignete Kamerasysteme und in die Miete einer KI-Software recht schnell auszahlen. Konstantin Heiller, Geschäftsführer des Wiener Software-Entwicklers Checklens Technologies Ltd., ist davon überzeugt. „Wir wollen unsere Anwendung so kostensparend und effektiv gestalten, dass der zurückgewonnene Wert spätestens bis Juni eines Jahres die jährlichen Kosten deckt und der Rest des Jahres einen Reingewinn für den Einzelhändler darstellt“, so Heiller.
Zentrales Thema
Die EuroCIS 2025 lieferte dazu weitere Erkenntnisse. Alle relevanten Anbieter rund um den Self-Checkout haben dort ihre Lösungen präsentiert. GK Software zum Beispiel arbeitet schon seit Längerem mit dem Berliner Tech-Start-up Nomitri zusammen, hat das Unternehmen im Januar 2025 übernommen und die von Nomitri entwickelte KI-gestützte Computer-Vision-Anwendung in seine Plattform „GK Cloud4Retail“ integriert. Laut GK setzen internationale Unternehmen des Handels die Nomitri- Software bereits in ersten Pilotprojekten in mehreren europäischen Ländern ein. Auch das Partnerunternehmen Fujitsu hat im Rahmen seiner Profit-Protection-Produktfamilie eine KI-basierte Anwendung zur Verlust- und Schadensprävention im Programm. Sie ist bei führenden globalen und nationalen Händlern im Einsatz, wobei die KI-Komponenten laut Fujitsu „derzeit vornehmlich im asiatischen Raum verwendet werden.“
Die Toshiba Global Commerce Solutions zeigte auf der EuroCIS das zur Verlustprävention an Self-Checkout eigenentwickelte Modul „Loss Prevention“. Dagegen arbeiten Itab und der niederländische SCO-Anbieter Pan Oston in Sachen Computer Vision mit externen Software-Häusern zusammen. Bei Itab sind dies Signatrix und Rapitag, während Pan Oston mit Nomitri, Checklens und dem australischen Software-Entwickler Rocketboots kooperiert.
Und schließlich Diebold Nixdorf: Die „Vynamic Shrink Reduction“-Lösung des Paderborner IT-Dienstleisters basiert auf der KI- und Machine-Learning-Plattform des UK- Softwarehauses See Change. Diebold Nixdorf gibt an, mit weltweit mehr als 60 Händlern zusammenzuarbeiten, um individuelle Use Cases zu definieren und Pilotprojekte zu initiieren. Auf dem DN-Messestand war zu begutachten, wie KI-basierte Betrugsprävention durchgängig vom Regal bis hin zur Checkout-Zone umgesetzt werden kann, indem Fläche und Regalbereiche mit den SB-Kassen wie auch mit den bedienten Kassen vernetzt werden.