Innerhalb der beiden Coronajahre verlor der stationäre Einzelhandel rund vier Prozent seines Umsatzes und setzte insgesamt nur noch 430 Mrd. Euro um. Ferner hatte sich die Zahl der Einkaufsvorgänge binnen zwei Jahren von 20 Mrd. auf 16,6 Mrd. reduziert.

Mit dem Ende der Pandemie im Jahr 2022 normalisierten sich die Handelsaktivitäten zwar wieder, aber die Unsicherheiten durch den Ukrainekrieg, die Inflation und die Energiekrise führten wiederum zu einem veränderten Kundenverhalten. Die Umsätze im stationären Einzelhandel stiegen primär durch inflationsbedingte Preissteigerungen auf 465 Mrd. Euro und die Kundenfrequenz erhöhte sich nach Ende der Pandemie auf 17,9 Mrd. Einkäufe.

Rückkehr zum „Normalzustand“

Entwicklung der angezeigten Ladendiebstähle

Entwicklung der angezeigten Ladendiebstähle
Foto: EHI

In der Folge dieser Entwicklungen sind die zu Verkaufspreisen bewerteten Inventurdifferenzen im deutschen Einzelhandel 2022 auf Basis eines Umsatzes von 465 Mrd. Euro im Vergleich zu 2021 um rund 12 Prozent von 4,1 auf 4,6 Mrd. gestiegen, während gleichzeitig der darin enthaltene Diebstahl um 15 Prozent zugenommen hat. Nach Kürzungen in den Vorjahren haben die Unternehmen 2022 ihre Ausgaben für Präventionsmaßnahmen wieder auf 1,45 Mrd. Euro erhöht.

Was auf den ersten Blick als dramatische Entwicklung erscheint, ist bei näherer Betrachtung eine Rückkehr zur „Normalität“ früherer Jahre: Die Werte der Vor-Corona-Zeit sind wieder erreicht, wie die Vergleichszahlen von 2019 dokumentieren. Dies darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass der Anstieg der Ladendiebstähle nach wie vor eine große Gefahr darstellt.

Nach Einschätzung der befragten Unternehmen sind auf Ladendiebstähle durch Kundschaft rund 2,44 Mrd. Euro Inventurdifferenzen zurückzuführen. Den eigenen Angestellten werden Verluste in Höhe von 920 Mio. Euro angelastet, dem Personal von Lieferanten und Servicefirmen 370 Mio. Euro. Somit beträgt der Schaden durch Diebstahl insgesamt 3,73 Mrd. Euro.

Im Durchschnitt mehr

Die durchschnittliche Höhe der Inventurdifferenzen lag bei den an der Umfrage teilnehmenden Unternehmen im Jahr 2022 bei 0,61 Prozent, bewertet zu Einkaufspreisen im Verhältnis zum Nettoumsatz. Zu Verkaufspreisen gerechnet lag der Wert über alle Branchen hinweg bei 0,99 Prozent des Bruttoumsatzes und damit knapp unter der üblichen Faustregel von einem Prozent des Umsatzes.

Bei allen Betriebsformen zeigt sich jedoch, dass die prozentualen Anteile am Nettoumsatz großen Bandbreiten unterliegen. Prozentual sind die durchschnittlichen Inventurdifferenzen im Lebensmitteleinzelhandel auf 0,55 Prozent gestiegen. Darin enthalten sind auch einige Angaben von Discountern und Getränkefachmärkten, die nicht explizit ausgewiesen werden können.

Inventur- und Sicherheitskongress 20./21. Juni 2023

Die aktuelle Studie wird am 20. Juni auf dem Inventur- und Sicherheitskongress in Köln präsentiert. Die zweitägige Veranstaltung stellt aktuelle Herausforderungen vor und zeigt Lösungsansätze auf, um Risiken für Kund:innen, Mitarbeitende, Waren, Geld und andere Werte zu minimieren.

Hochkarätige Handelsexperten und kompetente Fachleute berichten über Entwicklungen und Erfahrungen. Der Kongress ist das jährliche Branchenevent für Revisoren, Inventur- und Sicherheitsverantwortliche aus dem Handel sowie Dienstleistungspartner und Hersteller von Sicherheitssystemen mit den Kernthemen Inventurdifferenzen, Gebäudesicherheit, Krisenmanagement und handelsspezifische Bedrohungen.

Während die kleineren Betriebsgrößen der Supermärkte (0,56%) höhere Inventurdifferenzen aufweisen, sind die Verluste bei den größeren Flächen der Verbrauchermärkte (0,64%) und insbesondere bei den großen Supermärkten (0,61%) geringer. Auch die teilnehmenden Baumarktunternehmen verzeichneten geringere Inventurdifferenzen, was sich in einem Rückgang des Branchendurchschnitts von 0,76 auf 0,72 Prozent im Jahr 2022 niederschlägt.

Im gesamten Bekleidungseinzelhandel sind die durchschnittlichen Werte leicht auf 0,57 Prozent gesunken. Sowohl die Bekleidungsfachgeschäfte (0,53 %) als auch die Schuhfachgeschäfte (0,48%) und die Textilkaufhäuser einschließlich Waren- und Kaufhäusern (0,69%) verzeichneten geringere Prozentsätze. Lediglich die Bekleidungsfachmärkte erlitten durchweg höhere Verluste (0,54%).

Entwicklung der Anteile bei den Inventurdifferenzen

Entwicklung der Anteile bei den Inventurdifferenzen
Foto: EHI

Starke Zunahme der Anzeigen

Die angezeigten Ladendiebstähle sind laut Polizeilicher Kriminalstatistik im Jahr 2022 um 34,3 Prozent auf insgesamt 344.669 Fälle (Vorjahr: 256.694) gestiegen. Deutliche Zuwächse gab es sowohl beim einfachen als auch beim schweren Ladendiebstahl. Allerdings waren die Anzeigen in den Coronajahren auch stark rückläufig, sodass aktuell trotz des enormen Anstiegs das Niveau von 2019 eben wieder erreicht ist. Aufgrund der hohen Dunkelziffer bildet die Statistik jedoch nur einen minimalen Ausschnitt der Realität ab.

Aus dem durchschnittlichen Schaden aller angezeigten Diebstähle und dem per Inventur festgestellten Schaden im Handel ergibt sich, dass jährlich 21,2 Mio. Ladendiebstähle unentdeckt bleiben. Die Erfahrungen im Retail zeigen, dass Diebstähle nach wie vor häufig in organisierter Form stattfinden.

Das EHI schätzt, dass etwa ein Viertel des Gesamtschadens auf diese Delikte zurückzuführen ist. Die Kriminellen gehen häufig in Gruppen mit gezielter Aufgabenverteilung vor. Solche Taten zu erkennen, zu dokumentieren und Tatverdächtige in Gruppen zu überführen, ist für den Handel äußerst schwierig.

Maßnahmen und Herausforderungen

Gegenwärtig forcieren die Handelsunternehmen vor allem Personaltrainings, die in den Coronajahren häufig vernachlässigt wurden, sowie die gezielte Datenauswertung mithilfe von Warenwirtschaftssystemen oder mittels Data Warehouse. Auch der Ausbau und die Modernisierung von Kamerasystemen zur Verkaufsraumüberwachung stehen hoch im Kurs. Der Einsatz diebstahlhemmender Verkaufsträger wird in knapp 20 Prozent der Unternehmen vorangebracht.

Vor allem Kaufhausdetekteien werden wieder verstärkt eingesetzt, nachdem deren Zeiten in den Vorjahren reduziert wurden. Mehr und mehr Warensicherungsmaßnahmen, meist in Form von elektronischen Lösungen oder mechanischen Sicherungen, werden implementiert. Zu den aktuellen Herausforderungen zählen der Krieg in der Ukraine, Inflation, Preis- und Kostensteigerungen, Unsicherheiten durch die Energiekrise sowie Personalmangel und -qualität.

Die geopolitische Lage schürt Unsicherheiten in Bezug auf die konkreten Auswirkungen auf die Gesellschaft und den Einzelhandel der Zukunft. Es wird befürchtet, dass Preissteigerungen zu einem veränderten Kaufverhalten führen, z. B. durch Konsumverzicht in nicht lebensnotwendigen Bereichen. Im Bereich der Ladendiebstahlprävention sieht sich der Handel gleichzeitig einem enormen Kostendruck ausgesetzt. Vor allem durch die Preisentwicklung wird ein erhöhtes Diebstahlrisiko vermutet.

Die Erfahrungen im Retail zeigen, dass Diebstähle nach wie vor häufig in organisierter Form stattfinden.

Die Erfahrungen im Retail zeigen, dass Diebstähle nach wie vor häufig in organisierter Form stattfinden.
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Nicht wenige erwarten aber auch eine Zunahme von Personaldelikten, die einige Unternehmen bereits für das Jahr 2022 bestätigt sehen. Die größten Bedrohungen werden weiterhin im gewerbsmäßig organisierten Ladendiebstahl, oft in Form von Bandendiebstahl, gesehen. Viele Einzelhändler sind sich sicher, dass die organisierte Kriminalität in dem Bereich professioneller wird und weiter zunimmt.

Vorsorge hat Priorität

Für die zukünftige Entwicklung der Inventurdifferenzen ist entscheidend, welchen Stellenwert und welche Priorität der Handel präventiven Maßnahmen zur Vermeidung von Verlusten einräumt. Hierbei sehen die Händler gemäß der Studie die vordringlichste Aufgabe darin, ausreichend Personal, insbesondere für die Flächenaufsicht, zu finden und das vorhandene Personal zu mehr Sensibilität bzw. Prozessgenauigkeit zu schulen.

Der Handel steht zudem vor der Herausforderung, Detektivleistungen zu vergeben, da es derzeit nicht genügend Fachkräfte gibt. Dies bezieht sich nicht nur auf die Quantität, sondern auch auf die Qualität der detektivischen Leistungen.

Die aktuellen Entwicklungen und Ereignisse im Handelsumfeld werden es nach mehrheitlicher Einschätzung der Studienteilnehmenden schwierig machen werden, die Inventurdifferenzen auf dem derzeitigen Niveau zu halten, nicht zuletzt aufgrund steigender Kosten für Sicherheitstechnik und -personal. An der aktuellen Untersuchung beteiligten sich 102 Unternehmen bzw. Vertriebsschienen mit insgesamt 16.765 Verkaufsstellen, die einen Gesamtumsatz von rund 84,1 Mrd. Euro erwirtschafteten. Die durchschnittliche Verkaufsfläche der beteiligten Geschäfte beträgt 1.350 qm.

EHI-Studie: Inventurdifferenzen 2023

EHI-Studie Inventurdifferenzen 2023

EHI-Studie Inventurdifferenzen 2023
Foto: EHI

Die Studie ist ab 20. Juni zum Download erhältlich und für Mitglieder kostenlos.

Kontakt: Maren Franken, Projektleiterin Partnermanagement und Vertrieb, franken@ehi.org, +49 221 57993-43