Im Jahr 2011 fanden laut polizeilicher Kriminalstatistik in Deutschland 3.663 Überfälle auf Einzelhandelsunternehmen statt. Das sind rund 10 Überfälle pro Tag. Für die Betroffenen ist die unmittelbare Bedrohung von Leib und Leben extrem belastend. Solche Gewaltereignisse können zu einer psychischen Beeinträchtigung bis hin zu einer manifesten Erkrankung führen, auch ohne dass Betroffene eine körperliche Verletzung erlitten haben. Um eine Chronifizierung der psychischen Belastung zu vermeiden, ist eine Hilfe für die Betroffenen erforderlich.
Die Berufsgenossenschaft Handel und Warendistribution BGHW bietet ein abgestuftes Fallmanagement zur Betreuung von Betroffenen. Im ersten Schritt ist es erforderlich, in den Unternehmen eine „Erste Hilfe“ aufzubauen, die den Betroffenen u.a. Abstand und Ruhe finden lässt. Entscheidend ist auch, dass eine sofortige Meldung des Überfalls an die BGHW erfolgt, damit Schritt zwei eingeleitet werden kann: Den Betroffenen wird eine kostenlose psychologische Beratung durch externe Dienstleister angeboten. Im Rahmen eines bundesweit standardisierten, qualitätsgesicherten Verfahrens kann die BGHW wenn erforderlich auch eine weitergehende psychologische Betreuung deutschlandweit sicherstellen. Die BGHW hat in den letzten Jahren 970 Gewalttaten, davon 780 Raubüberfälle, im Einzelhandel untersucht, um daraus Präventionsmaßnahmen abzuleiten. Die Mehrzahl der Überfälle fand in Betriebsstätten der großen Einzelhandelsketten statt. Von Raubüberfällen sind in 86 Prozent der Fälle Lebensmittel- und Drogeriewarengeschäfte sowie Tankstellen betroffen. Tatort ist meist die Verkaufsstelle selbst, selten der Geldtransport zur Bank. 84 Prozent der Überfallopfer sind weiblich. Es hat sich auch gezeigt, dass es in 52 Prozent der Überfälle mehr als einen Täter gibt und dass in 28 Prozent der Fälle Kunden anwesend sind. Bestätigt hat sich die Häufigkeit des Überfallzeitpunktes kurz vor Ladenschluss.
Als wirksame Präventionsmaßnahmen ist in dieser Zeit eine erhöhte Aufmerksamkeit erforderlich. In 17 Prozent der Überfälle erfolgte der Angriff an den Ausgängen oder auf dem Parkplatz. Das Gebäude sollte bei Dunkelheit auf keinen Fall von Personen alleine verlassen werden wegen der potenziellen Gefahr der Geiselnahme. Ausreichende Beleuchtung und ein Türspion am Hinterausgang senken das Überfallrisiko. Es ist auch darauf zu achten, dass potenzielle Täter möglichst keine Gelegenheiten finden, sich auf dem Areal zu verstecken. Wenn das Überfallrisiko bekanntermaßen hoch ist, hat sich ein erhöhter Einsatz von Sicherheitskräften bewährt.
84 Prozent der Überfallopfer sind weiblich.
Peter KeilholzEskalation vermeiden
Im Verkaufsraum bzw. direkt an der Ladenkasse erfolgten 68 Prozent der Überfälle. An diesen Stellen ist der Einsatz von Videosystemen zu empfehlen. Diese können nur dann präventiv wirken, wenn zum Beispiel durch Piktogramme auf die Überwachung hingewiesen wird. Um im Tatfall den Fahndungserfolg der Polizei zu erhöhen, ist es wichtig, die Kamera etwa in Augenhöhe anzubringen. An Tankstellen hat sich als besonders abschreckend der zusätzliche Einsatz eines Monitors hinter der Kassiererin bewährt, auf dem sich der Täter selbst sieht. Doch auch eine Videoüberwachung bietet keinen hundertprozentigen Schutz vor Überfällen. Ähnlich verhält es sich mit geschlossenen Kassensystemen, an denen es nicht möglich ist, an Bargeld zu kommen. Regelmäßig wird berichtet, dass auch auf solche Läden Überfälle stattfinden. Der finanzielle Schaden ist dann zwar begrenzt, aber die psychischen Belastungen für das Verkaufspersonal treten trotzdem auf.
Auf längere Sicht ist allerdings zu erwarten, dass sich in den Täterkreisen herumspricht, dass in diesen Läden keine Geldbeute zu machen ist. Der Einsatz von Schusswaffen in 406 der untersuchten Fälle ist als recht hoch zu bezeichnen. Was Verletzungen betrifft, zeigen unsere Untersuchungen, dass das Verhalten der Opfer hier entscheidenden Einfluss hat. In 34 Prozent der Überfälle haben die Räuber die Opfer physisch verletzt. Psychologische Untersuchungen ergaben, dass die Räuber nicht das Ziel haben, die Opfer zu verletzen, sie wollen Beute machen. Doch alles, was den geplanten Ablauf des Raubes verhindert, bringt den Räubern zusätzlichen Stress und erhöht das Risiko des Opfers, verletzt zu werden. Hierzu zählen insbesondere Gegenwehr und Hilferufe während des Überfalls. Wir empfehlen deshalb, den „Befehlen“ oder Aufforderungen des Räubers zu folgen. Unsere Erfahrungen zeigen, dass regelmäßige Unterweisungen der Mitarbeiter zum Verhalten bei einem Raubüberfall hilfreich sind. Für der BGHW angeschlossene Unternehmen haben wir Muster-Betriebsanweisungen als Unterweisungshilfen in unserem Merkblatt BGHW-Kompakt 3 „Prävention und Nachsorge von Raubüberfällen“ sowie ein Video „Fit und klasse an der Kasse“ erstellt.
Die Empfehlungen basieren auf dem „3-D-Modell“:
- Davor: Den Anreiz für Täter durch zwei Strategien zu minimieren: Als Erstes sollte die Beuteaussicht, zum Beispiel durch geringe Bargeldbestände (regelmäßiges Abschöpfen der Kassen) sowie Tresore mit Safe verringert werden. Zum Zweiten sollte das Risiko für den Räuber, erkannt zu werden, erhöht werden. Dies kann zum Beispiel durch gutes Einsehen auch von außen nach innen, helle Arbeitsplätze und ein helles Umfeld vor dem Laden sowie durch Videoüberwachung erreicht werden. Alle Maßnahmen sollten durch Piktogramme bekanntgegeben werden.
- Dabei: Gewalt-Eskalation vermeiden, zum Beispiel durch Schulungen und Unterweisungen zum richtigen Verhalten.
- Danach: Den Betroffenen helfen und den Fahndungserfolg der Polizei erhöhen. Unser Sicherheits-Check A122 „Gefährdungsbeurteilung von Raubüberfällen“ kann jetzt auch online erstellt werden. Hier sind mögliche Arbeitsbereiche aufgezeigt, in denen Gefährdungen durch Raubüberfälle bestehen. Beispielhaft sind für diese Bereiche Lösungsvorschläge aufgezeigt. Die BGHW bietet bundesweit Informationsveranstaltungen zur Prävention von Raubüberfällen in Zusammenarbeit mit der Polizei an. Weiterhin wird ein dreitägiges Seminar für Einzelhandelsunternehmer und betriebliche Multiplikatoren zum Thema „Prävention von Raubüberfällen und Kommunikation mit Opfern von Raubüberfällen und Gewaltereignissen“ angeboten.
Foto: BGHW
Weitere Informationen: www.bghw.de