Wer sind meine Kunden und was wollen sie? Moderne Gesichtserkennungs-Systeme tragen dazu bei, solche Fragen zu beantworten. Technologisch führend auf diesem Sektor ist in Deutschland das Fraunhofer-Institut für Integrierte Schaltungen (IIS). Hier hat man bereits vor Jahren erste Versionen einer anonymen Gesichtsanalyse entwickelt. Via Kamera erfasst die Software die Gesichtszüge des Gegenübers und bestimmt im Hintergrund in Sekundenbruchteilen Merkmale wie Geschlecht und ungefähres Alter. Basis dafür ist eine Datenbank mit rund 10.000 Muster-Gesichtern. Weil diese anonym ist, gaben sogar Datenschützer ihr Plazet.
Das Besondere: Das Fraunhofer-Programm kann sogar die Mimik interpretieren. Im Laden eingesetzt, lässt sich so feststellen, ob Kunden an der Kasse fröhlich, überrascht, enttäuscht oder gar zornig zum Portemonnaie greifen. Aktuell hilft das Scanprogramm etwa den Marktforschern der GfK festzustellen, wie Werbebotschaften bei Verbrauchern ankommen und ob sie dabei gelangweilt oder eher angeregt schauen.
Auch der Textileinzelhandel hat großes Interesse an solchen Lösungen. So ließ das Modeunternehmen C&A auf diese Weise schon die Attraktivität seiner Schaufenster prüfen. Planspiele befassen sich auch mit einer Analyse des Kaufverhaltens: Denn wenn jemand erst gebannt ins Schaufenster blickt und hinterher am Kleiderständer zugreift, lassen sich leicht verkaufsoptimierende Schlüsse ziehen. Einen Angriff auf die Privatsphäre müssen Passanten dabei einstweilen nicht befürchten, da die digitalen Konterfeis nicht mit persönlichen Profilen in Datenbanken abgeglichen werden. Gerade Datenschutz-Bedenken sind es, weshalb die Technologien in Deutschland noch nicht weit verbreitet im Einsatz sind. Grundsätzlich ist der Handel vor allem an differenzierten Kundenzählungen etwa nach Alter bzw. Geschlecht interessiert, an einer Auswertung des Kaufverhaltens oder möglichen personalisierten Werbebotschaften. Neben einer individualisierten Ansprache des Kunden oder der Prüfung von Kundenzufriedenheit wäre auch eine automatisierte Stilberatung denkbar, etwa nach der Devise: Welche Sakko-Farbe passt zu mir?
Personalisierte Werbebotschaften
Während man hierzulande eher noch Vorsicht in puncto Gesichts-Identifikation walten lässt, gehen die angelsächsischen Länder weiter: Als einer der Ersten testete unlängst die britische Supermarktkette Tesco Gesichtserkennung, indem wartende Kunden an den Kassen von Tankstellen-Shops nach Alter und Geschlecht klassifiziert wurden. Ein Bildschirm zeigte passende, personalisierte Werbung. Ähnlich verfährt die Agentur M&C Saatchi, die zurzeit in der Londoner City digitale Werbetafeln mit intelligenten Kinect-Kameras erprobt, wie sie auch in Microsofts „Xbox“ zu finden sind. Sie sollen den Gesichtsausdrücken der Passanten entnehmen, welche Aufmerksamkeit sie einer gezeigten Werbebotschaft entgegenbringen. Ein Algorithmus optimiert daraufhin das elektronische Plakat.
Auch der US-Nahrungsmittelgigant Kraft denkt über den Nutzen von Gesichts-Scans nach. Wenn das System am Supermarktregal junge Frauen erkennt, legt dies den Schluss nahe, dass zu Hause Kinder versorgt werden müssen. So kann der Computer beispielsweise Empfehlungen für Kindernahrung und Tipps für deren Zubereitung geben.
Der Snack-Produzent und Kraft-Abkömmling Mondelēz will sogar künftig das Einkaufsverhalten der Kunden am Lebensmittelregal per Microsoft Kinect mit integrierter Gesichtserkennung in Erfahrung bringen, um Informationen zum Kundenverhalten zu gewinnen. „Unser Ziel ist es zu verstehen, wie Käufer Interesse zeigen, Produkte im Regal erblicken und wie sie reagieren und auswählen“, so ein Sprecher von Mondelēz International.
Der US-Researcher CSC hat herausgefunden, dass zwar über 70 Prozent der Shopper nicht glücklich damit sind, wenn „Big Brother“ im Laden jeden ihrer Schritte überwacht und Geschlecht oder Alter analysiert. 55 Prozent zeigten sich jedoch vorsichtig offen für die neue Technologie, wenn für sie ein Vorteil damit verbunden ist, zum Beispiel Rabatte oder günstige Angebote. Dies macht sich etwa die niederländische Kaffeemarke Douwe Egberts zunutze, die eine Kaffeemaschine mit eingebauter Gesichtserkennung am Johannesburger Flughafen installiert hat. Das Gerät erkennt u.a., ob Reisende in seinem Umfeld gähnen. Dann spendiert es kostenlosen Kaffee. Der Getränkeautomat mit eingebauter Gesichtserkennung des britischen Herstellers Smart Vend Solutions kann sich schon beim Auftauchen eines Konsumenten erinnern, was dieser bevorzugt. In US-Filialen der Kaufhauskette Walmart war der Einsatz von Gesichtsscannern zuletzt umstritten. Sie sollten nicht nur vor bekannten Ladendieben warnen. Die dort eingesetzte Software von NEC und der kalifornischen Firma „FaceFirst“ wäre sogar in der Lage, die erfassten biometrischen Erkennungsmerkmale mit Fotos aus dem Internet (etwa aus dem sozialen Netzwerk Facebook) abzugleichen, um daraus Schlussfolgerungen zur potenziellen Kaufkraft zu ziehen. Mit dem anonymen Shoppen wäre es dann doch vorbei.
Fotos (4): istockphoto / procurator (1), Universität Hongkong (1), Fraunhofer IIS (1) , NEC (1)
Weitere Informationen: www.iis.fraunhofer.de