Girocard legt zu, Bargeld verliert mehr als fünf Prozentpunkte – im Corona-Jahr 2020 haben sich die Kundenpräferenzen an der Kasse mit großer Macht verschoben: „Das Jahr 2020 wird als das wachstumsstärkste Jahr für unbares Bezahlen in Deutschland seit Beginn der regelmäßigen Erhebungen durch das EHI im Jahr 1994 eingehen“, so das Fazit von Horst Rüter, Leiter des Forschungsbereichs Zahlungssysteme und Mitglied der Geschäftsleitung des EHI. Auf dem Payment-Kongress stellte er den online zugeschalteten Kongressteilnehmern die Ergebnisse der diesjährigen Payment-Studie persönlich im Livestream vor.
Die spannende Frage, wie es an der Ladenkasse und beim Checkout im E-Commerce in den kommenden Jahren weitergeht und welche Anbieter und Technologien beim Bezahlen künftig den Ton angeben werden, stand im Mittelpunkt der anschließenden Podiumsdiskussion. Stellvertretend für die Handelsseite nahmen Ulrich Binnebößel vom HDE, Alexander Vaasen von Aldi Süd und Klaus-Peter Rapp von Esso am virtuellen Panel teil. Für die Kreditwirtschaft stellte sich Ralf-Christoph Arnoldt, Abteilungsleiter Zahlungsverkehr beim Bundesverband Deutscher Volksbanken & Raiffeisenbanken (BVR) den Fragen von Moderator und Deichmann-CIO Olaf Schrage. Und aus Sicht der Payment-Provider antwortete Björn Hoffmeyer, seit 2020 Mitglied der Geschäftsführung beim Zahlungsdienstleister Payone.
Die Blockchain ist nicht massenzahlungsverkehrstauglich.
Ralf-Christoph ArnoldtNo-Cash-Retail in 2025?
Der Rückgang des Bargelds werde sich fortsetzen, der Trend zum bargeldlosen Zahlen sei nachhaltig, darin waren sich alle Panel-Teilnehmer einig. Geteilter Meinung war die Runde allerdings bei der Frage, ob sich Deutschland zur vollkommen cash-freien Gesellschaft entwickle. Während Björn Hoffmeyer die Ansicht vertrat, dass Bargeld, ähnlich wie heute schon in den nordischen Ländern, auch bei uns früher oder später zum Relikt aus der Vergangenheit werde, verwies Ralf-Christoph Arnoldt vom BVR auf die gesetzlich verankerte Annahmepflicht als gesetzliches Zahlungsmittel.
Wenn die Kunden mit digitalen Währungen bezahlen wollen, würde der Handel mitmachen.
Ulrich BinnebößelNach wie vor gebe es Kundenkreise, die keinen Zugang zu unbaren Zahlungsmittel hätten, beispielsweise ein Großteil der jungen Leute unter 16 Jahren, bestätigte Alexander Vaasen von Aldi Süd. Dem Bargeld will der Discounter deshalb auch auf längere Sicht keine Absage erteilen: „Wir werden langfristig alle möglichen Zahlungsmittel annehmen, so auch sicherlich Cash“, sagte der Finanzmanager.
Apps müssen Mehrwert bieten
Weiter fortgeschritten als im Supermarkt ist der Einsatz bargeldloser Zahlungsmittel bereits an der Tankstelle: „Unsere Bargeldquote liegt schon heute deutlich unter den vom EHI ermittelten Durchschnittswerten für den Handel“, erklärte Klaus-Peter Rapp, bei Esso in Deutschland für die Themen Payment und Loyalty zuständig. Gerne würde er den Bargeldanteil künftig weiter absenken, beispielsweise um auch in Deutschland kostengünstig zu betreibende, personal- und kassenlose 24/7-Tankstellen als Standard zu etablieren oder um anhand von Kundendaten gezielter Data Driven Marketing betreiben zu können. Das gelinge am besten über attraktive Apps, die den Kundennutzen in den Mittelpunkt stellen.
Bezahlen sei aus Kundensicht nicht Haupt- sondern Nebensache, die Kunden überzeuge man mit Mehrwerten wie Bequemlichkeit, keine Wartezeit, digitaler Tankbeleg sowie integrierte Coupons und Loyalty-Funktionen. „Aus Pain Points müssen Gain Points werden“, so der Payment-Experte. Allerdings sei die Einbindung zusätzlicher bargeldloser und mobiler Zahlarten an den Kassen der rund mehr als 930 deutschen Tankstellen für Esso sehr aufwendig. „Das ist für uns Häuserkampf“, sagte Rapp wörtlich. Von der Deutschen Kreditwirtschaft wünschte sich der Esso-Manager möglichst schnell eine nationale Alternative zu den Payment-Angeboten internationaler Technologiekonzerne.
Google versus Girocard
Mit dieser Forderung stand Rapp nicht allein dar. Auch wenn Ralf-Christoph Arnoldt vom BVR auf das Gemeinschaftsprojekt #DK für ein gemeinsames digitales Paymentprodukt der Deutschen Kreditwirtschaft verwies, zeigten sich die Vertreter der Handelsseite besorgt, dass die deutsche Antwort auf Google & Co zulange auf sich warten lasse. Große Retailer müssten ihren Kunden eine Lösung bieten.
Bargeld wird zum Überbleibsel der Vergangenheit.
Björn HoffmeyerViele könnten sich dabei dauerhaft mit den Angeboten internationaler Tech-Konzerne wie Google, Apple, Facebook oder Amazon (den sogenannten GAFAs) arrangieren, so die kollektive Befürchtung. Mit steigender Marktmacht könnten die amerikanischen GAFAs oder auch Alipay und Wechat Pay deutschen Unternehmen künftig ihre technischen Standards und Konditionen diktieren, die insbesondere für kleine und mittlere Unternehmen nicht verhandelbar wären. Der Handel hofft hier insbesondere auf die Weiterentwicklung der Girocard zum nationalen Omni-Channel-Zahlungsmittel: „Wir brauchen eine Lösung basierend auf einem deutschen nationalen reichweitenstarken Verfahren“, betonte Ulrich Binnebößel vom HDE: „Hier schließt sich ein Zeitfenster.“
Wer soll das bezahlen?
Handlungsbedarf sahen die Teilnehmer der digitalen Diskussionsrunde auch beim Thema Open Banking. Die seit 2018 gültige Zahlungsdiensterichtlinie PSD2 (Payment Services Directive2) soll unter anderem Innovationen fördern und den Wettbewerb im Markt für Banking und Finanzdienstleistungen stärken. Banken müssen dazu ihre Kontoschnittstellen für andere Anbieter öffnen.
Doch bislang ist davon nicht viel zu sehen: Der Aufbau neuer Zahlverfahren auf Basis von Open Banking sei komplex und erfordere hohe Investitionen, für alle Beteiligten müsse es einen klaren Business Case geben, sagte Ralf-Christoph Arnoldt. Und auch die Kunden würden einen monetär bewertbaren Nutzen im Austausch für ihre Daten erwarten: „Open heißt nicht for free“, stellte der BVR-Vertreter klar und plädierte für eine „faire Lastenverteilung“. „Besser Open Banking als No Banking“, hielt Ulrich Binnebößel dagegen.
Unsere Bargeldquote liegt schon heute deutlich unter den vom EHI ermittelten Durchschnittswerten für den Handel.
Klaus-Peter RappDie finanzstarken Wettbewerber aus Amerika und Asien stünden vor den Toren. Die Blockchain und darauf basierende digitale Währungen hätten zudem das Potenzial, das komplette Finanzsystem in Frage zu stellen und Banken überflüssig zu machen. Facebook stünde mit seiner Kryptowährung Libra in den Startlöchern, Paypal akzeptiere jetzt Bitcoin. Statt den Tech-Konzernen eine offene Flanke zu bieten, solle Deutschland das Thema digitaler, programmierbarer Euro lieber selbst weiter vorantreiben und eine nationale Lösung finden, so der Leiter des Arbeitskreises Neue Zahlungssysteme beim HDE
„Alexa, bitte bezahlen“
Zum Abschluss stellte Moderator Olaf Schrage die Frage, ob sich Sprachsteuerung als bequemes biometrisches Verfahren im Zahlungsverkehr durchsetzen werde. Ein klares Ja gab es dazu von Klaus-Peter Rapp: „Pay per Voice wird nach Europa kommen, und zwar schneller als hier viele denken“, sagte der Esso-Manager.
In den USA sei es bereits möglich, aus dem Auto heraus die Zapfsäule bedienen und via Amazon bezahlen: „Wir gehen davon aus, dass in fünf Jahren mindestens 30 Millionen Amazon-Alexa-Nutzer in den USA auf diese Weise bei uns tanken werden“, so Rapp. Auch in Deutschland könnte das Modell in fünf bis zehn Jahren, gepusht von Tech- und Automobilkonzernen zum Normalfall werden.
Wir werden langfristig alle möglichen Zahlungsmittel annehmen, also auch Bargeld.
Alexander VaasenAn der Aldi-Kasse kann sich Alexander Vaasen Pay per Voice aus Sicherheitsgründen und vom Kundennutzen her dagegen weniger vorstellen. Wenn sich dort biometrische Verfahren etablieren sollten, dann eher Wearables, so Vaasen. „Es kommt auf die Branche an“, glaubt auch Ralf-Christoph Arnoldt vom BVR. Als Autorisierungsverfahren erfülle die Zahlungsfreigabe per Stimme nicht die aktuellen PSD2-Anforderungen, die Frage sei, ob und wie sich daraus resultierende Haftungsrisiken (Liabilty-Shift) begrenzen lassen. Im eigenen Auto sei das eher möglich als in einer langen Kassenschlange.
„Voice Commerce ist ein großes Thema im Einzelhandel“, so das abschließende Fazit von Ulrich Binnebößel. Einmal mehr gehe es darum, den Big Playern mit eigenen Lösungen gemeinsam und branchenübergreifend Paroli zu bieten: „Wenn es uns gelingt, dann können wir uns im nächsten Jahr sehr beruhigt hier treffen.“