Gerade hat Mia Muster in ihrem Lieblings-Modehaus einen Must-have-Mantel entdeckt. Einen, zu dem es für sie keine Alternative gibt, die ihr das Verkaufspersonal schmackhaft machen könnte. Doch in ihrer Größe ist er leider nicht mehr da. In der Vergangenheit hätte sie nun entweder weitere Stores aufgesucht oder online nach ihrem Wunschprodukt gesucht. Der Umsatz wäre dem Händler dann entgangen. „myVeo“-Order soll an dieser Stelle neue Chancen eröffnen. Der Onlineshop am POS kann vom Endverbraucher direkt oder mit der Hilfe der Mitarbeiter genutzt werden – als Kiosk auf Stelen oder über Tablets. Die Lieferanten bieten über „myVeo“-Order ihre Wholesale- und/oder Online-Lagerware zur Nachbestellung an – auch saisonale Ware, nicht nur NOS-Artikel.

Für viele Händler wäre der Aufwand alleine gar nicht zu stemmen.

Marcus Schönhart

Stellvertretender Vorstandsvorsitzender, Katag AG

Mitte November letzten Jahres ging das System bei ersten Katag-Händlern in den Praxis-Einsatz. Die Bielefelder Katag, nach eigenen Angaben größter Fashion-Dienstleister Europas, möchte ihren rund 370 Anschlusshäusern mit insgesamt rund 1.400 Standorten damit einen besonderen Service bieten. „Es wäre höchst ineffizient für Handel und Industrie, wenn jedes Unternehmen im Alleingang ein Regalverlängerungs-System aufbaut. Für viele wäre der Aufwand gar nicht zu stemmen“, so Marcus Schönhart, stellvertretender Vorstandsvorsitzender der Katag und zugleich Projektverantwortlicher. „Auch für uns war und ist es eine hochkomplexe Mammut-Aufgabe.“ Zunächst erarbeitete das Katag-Team einen Konzept-Vorschlag als Grundlage. „Dann haben wir Workshops mit 20 Handelspartnern und etwa 70 Lieferanten durchgeführt, um diese frühzeitig einzubinden. Wir wollten ihnen kein fertiges System überstülpen.“ 

Vororder bleiben

Es gab durchaus die eine oder andere Unsicherheit. Die Sorge der Industrie: Geht aufgrund der umfassenden Nachbestell-Möglichkeiten die Vororder zurück? Die vereinbarte Lösung: Händler, die die Möglichkeiten der Regalverlängerung nutzen, müssen bei den jeweiligen Lieferanten – wenn diese es wünschen – auch vorgeordert haben. Das „myVeo“-Angebot lässt sich entsprechend je Standort anpassen, der Lieferant entscheidet, welche Ware er bei welchem Händler online stellt, womit auch zugesagter Platzschutz gewahrt bleibt.

Die Sorge des Handels: Die Industrie gelangt an die Endkunden-Adressen, wenn sie diesen die Ware nach Hause schickt, und kann die Adressen dann für eigene Zwecke nutzen, beispielsweise, um die eigenen Onlineshops und Stores zu bewerben. Die Lösung: Die Lieferanten sagen vertraglich Datenschutz zu. Zudem obliegt es jedem Händler, ob er die Lieferung zum Kunden nach Hause anbietet oder nur die Abholung in der Filiale. Marcus Schönhart empfiehlt, die Kunden wählen zu lassen: „In fünf Jahren ist das ohnehin kein Thema mehr, der Markt wird es erfordern.“

Detailansicht des Bestellvorgangs: „myVeo“-Order ist wie ein Onlineshop zu bedienen.

Detailansicht des Bestellvorgangs: „myVeo“-Order ist wie ein Onlineshop zu bedienen.

Die „myVeo“-Order-Plattform wurde zusammen mit dem Bielefelder IT-Beratungsunternehmen Lynx-Consulting konzipiert. Dem ging eine Ausschreibung voraus. Auch der Betrieb läuft in Kooperation zwischen Lynx und Katag. Hardwareseitig wird mit Xplace, Göttingen, zusammengearbeitet. Von dort stammt die Stele, die sich mit dem Händler-Logo branden lässt. Sie ist schon seit Längerem im Einsatz, bei zahlreichen Handelspartnern fungiert sie bereits als „myVeo“-Mirror, ein digitaler Spiegel mit Social-Media-Anbindung sowie als „myVeo“-Instore-TV mit Fashion-Infotainment und Werbung. Zudem kann den Kunden mittels „myVeo“-secWlan gesicherter Internetzugang ermöglicht werden. Gesichert deshalb, da sich der Zugriff auf vordefinierte Internet-Seiten unterbinden lässt. Technische Voraussetzung im Store sind Stromversorgung der Hardware und DSL-Anbindung. Das System „myVeo“-Order läuft so, dass die Industrie die vorhandenen Bestände meldet und die Artikelstammdaten auf EAN-Basis an das System liefert. Endverbrauchergerechte Produktfotos und -beschreibungen schickt sie ebenfalls. Auch handelsseitig werden die Bestände gemeldet. Bis dato sind die Warenwirtschaftssysteme von Prohandel und Hiltes angebunden, Intelligix folgt. „90 Prozent unserer Händler nutzen diese Programme. Letztlich können wir jedoch jedes WWS anbinden“, sagt Marcus Schönhart. „myVeo“-Order prüft zunächst, ob der gewünschte Artikel in Filialen des Händlers vorrätig ist und umgelagert werden kann. Erst wenn dies nicht der Fall ist, werden Nachbestellungen generiert.

Im Falle des erwähnten Mantels, der in der gewünschten Größe nicht mehr verfügbar ist, nimmt die Kundin oder eine Mitarbeiterin ein gleiches Teil in einer anderen Größe oder Farbe und hält den EAN-Code des Etiketts an den Scanner der Stele. Sofort erscheint der Mantel auf dem Monitor. Alternativ können, wie bei jedem anderen Onlineshop, die Stele oder das Tablet auch über die Kategorie- bzw. Produktsuche manuell bedient werden. „Uns war wichtig, das System so einfach wie möglich zu gestalten, damit es angstfrei und aufgeschlossen genutzt wird“, sagt Gertrude Koch, Leitung Retailmanagement bei der Katag. Der Warenkorb landet zunächst in der „myVeo“-Wolke, und dem Kunden wird ein Bon ausgedruckt, mit dem er zur Kasse geht, denn die Bestellung wird erst dann an den Lieferanten weitergegeben, wenn die Freigabe durch die Händler-Kasse erfolgt ist. Mittels Barcode-Scan holt sich das Kassensystem den Warenkorb-Inhalt aus der Wolke. Je nach Vorgaben des Händlers wird nun eine Anzahlung verlangt oder die Vorausbezahlung der Ware. Auch eventuell vorhandene Kundenkarten können einbezogen und ggf. Bonuspunkte gutgeschrieben werden.

Anders als E-Commerce

Die Bestellung erhält mit der Registrierung an der Kasse den Status „Kundenauswahl“. Bis zur Bestandsprüfung durch den Lieferanten handelt es sich rechtlich nur um eine Anfrage, was auch in der Bestelleingangs-E-Mail an den Kunden formuliert wird. Mit der Bestätigung, dass der gewünschte Artikel vom Markenanbieter lieferbar ist, geht die Auftragsbestätigung an den Kunden. Der Versand seitens der Industrie wird innerhalb von 24 Stunden erwartet. Retouren verbleiben beim Händler, eine andere Rückabwicklung wäre zu aufwändig. „Die Quote wird niedrig sein“, ist Marcus Schönhart überzeugt, „dieses Business ist nicht mit klassischem E-Commerce vergleichbar.“

Die Kaufverträge kommen zwischen Händler und Endkunde sowie zwischen Händler und Lieferant zustande. Die Abrechnung mit den Lieferanten läuft jedoch, wie sonst auch, über die Katag-Zentralregulierung, wo die Zahlungen zu Gunsten schlanker Prozesse gebündelt werden. Die Katag zahlt Großrechnungen an die Lieferanten und stellt ihrerseits den Anschlusshäusern Rechnungen. Für die über „myVeo“-Order bestellten Artikel wird beim Händler eine Servicepauschale in Höhe von 10 Prozent des Netto-Warenwerts erhoben, zum einen wird damit der Mehraufwand honoriert, den die Industrie mit Einzelbestellungen hat, zum anderen „myVeo“ finanziert.

Katag AG: Mittelständischen Modehandel stärken

Leitmotiv der Bielefelder Katag AG ist es, die mittelständischen Textileinzelhandelsstrukturen zu fördern. Aktuell zählen knapp 400 Handelsunternehmen mit über 1.400 Standorten in 20 Ländern zum Kreis der Partnerfirmen. Der Umsatz des Verbunds lag 2015 bei rund einer Milliarde Euro. Damit ist die Familien-AG (Vorstandsvorsitzender: Dr. Daniel Terberger) nach eigenen Angaben größter Fashion-Dienstleister Europas. Neben dem Kooperationsmanagement mit der Markenindustrie mit etwa 700 gelisteten Lieferanten werden Eigen- und Lizenzmarken sowie umfangreiche Serviceleistungen wie das Projekt „myVeo“ geboten. Zum Konzern gehören der Katag Versicherungs Dienst und das Bedebe Rechenzentrum.

„Unsere Investition wird sich aber nicht innerhalb von drei Jahren amortisiert haben, wir sehen sie eher strategisch“, sagt Marcus Schönhart. Für die „myVeo“-Stele inklusive virtuellem Spiegel sind 4.500 Euro zu zahlen, der Content des Instore-TV wird kostenlos bereitgestellt und läuft wahlweise oder ergänzend auch auf Monitoren und Video-Walls im Store, die individuell angesteuert und bespielt werden können.  

Bei Redaktionsschluss waren 10 Händler an myVeo-Order angebunden, darunter das Modehaus Garhammer in Waldkirchen, Dettmer & Müller aus Celle oder Klingenthal in Gütersloh (siehe Interview). Rund 150 Handelspartner haben schriftlich zugesagt. Alle rund 700 Lieferanten, die mit der Katag kooperieren, wurden kontaktiert, „von den 100 größten Lieferanten haben wir bereits ein klares Commitment“, so Marcus Schönhart. Derzeit sind die Marken Camel Active und Monari mit von der Partie, ebenso wie die Katag Lizenz- und Eigenmarken Jette, Toni Gard, Basefield, Clarina Collection, Commander, Fry Day, In Linea, Living Dreams, Staccato und The Mercer N.Y. „S.Oliver, Esprit und viele andere befinden sich in der Anbindungsphase.“

Das System soll zügig ausgerollt werden, wobei es laut Marcus Schönhart auch bereits Interesse anderer Einkaufsverbände gibt. Die Katag ist offen, denn: „Für Händler, die mit mehreren Verbundgruppen kooperieren, ist es wünschenswert, mit einem statt mehreren Systemen zu arbeiten.“ Darüber hinaus gibt es weitere Pläne für „myVeo“-Order. So wurden bereits alle technischen Grundlagen geschaffen, um den Onlineshop, der aktuell nur vom POS aus erreichbar ist, künftig auch zu einer extern zugänglichen E-Commerce-Plattform zu machen, die die Händler an ihre Websites andocken können.

Foto und Screenshot: Klingenthal

Weitere Informationen: www.katag.net und www.klingenthal.com  

Top-Statistiken zum Thema Omnichannel-Commerce: www.handelsdaten.de/omnichannel-commerce

Technische Modernität und Innovation

Uwe Bulk, Geschäftsführer der Modehäuser Klingenthal mit Stammsitz in Paderborn, über die ersten Erfahrungen mit „myVeo“-Order.

Was hat das Unternehmen Klingenthal bewogen, „myVeo“-Order von Beginn an zu nutzen?

Wir waren schon begeistert, als wir in der Konzeptionsphase erstmals davon hörten. Auf die Bestände der wichtigen Lieferanten zurückgreifen und Zusatzumsätze generieren zu können, ist verführerisch. So können wir unser Sortiment ergänzen, beispielsweise um weitere Farben oder Formen eines Artikels und nicht mehr vorrätige Ware nachbestellen. Indem wir vom Start weg dabei sind, möchten wir das System fördern und dazu beitragen, dass es der gewünschte Erfolg wird. Ein Nebenaspekt ist der, dass wir uns mit den Stelen technische Modernität und Innovation ins Haus holen. Sie sind nicht zuletzt auch ein Marketinginstrument.

Wie haben Sie „myVeo“-Order bisher umgesetzt?

Aktuell haben wir in unserem Gütersloher Haus je eine Stele an zentraler Stelle im Erd- und Obergeschoss installiert. Die Standorte Paderborn, Herford und Salzkotten sollen folgen. Die bestellte Ware wird zunächst an unsere zentrale Logistik geschickt und dann entweder über unseren ohnehin verfügbaren 24-Stunden-Bringdienst an die Kunden geliefert, schön im Stil unserer eigenen CI verpackt, oder zur Abholung in der Wunsch-Filiale bereitgestellt.

Wie wird das System angenommen?

Die Stelen schaffen bereits positive Resonanz durch ihr Dasein. Die damit verbundenen Spielereien wie der virtuelle Spiegel und das Instore-TV erregen Aufmerksamkeit. „myVeo“-Order funktioniert reibungslos und begeistert die Kunden. Wir hoffen, dass die Auswahl durch die Anbindung weiterer Lieferanten jetzt schnell weiter wächst. Sehr wichtig ist überdies das Schulen und Einbeziehen der eigenen Mitarbeiter, so wie wir dies auch tun.