Die Handelslogistik steht vor großen Herausforderungen. Einerseits steigen die Anforderungen der Verbraucher an Warenverfügbarkeit, Frische, Rückverfolgbarkeit und Service. Gleichzeitig gibt es auf der Herstellerseite immer kürzere Produktlebenszyklen und ein stark von Promotions getriebenes Geschäft. Die Supply Chain im Handel muss immer effizienter werden, um diesen Anforderungen gerecht zu werden. Dies setzt eine genaue Planung der Geschäftsaktivitäten aller Partner entlang der FMCG-Supply-Chain voraus. Die Erfolgsfaktoren sind ein möglichst genaues Wissen über die einzelnen Abläufe, verbunden mit einer hohen Datenqualität, am liebsten in Echtzeit.
Dies zu realisieren war das Ziel des Forschungsprojekts Smart.NRW. Das Konsortium aus dem Verpackungshersteller Mondi, dem Nahrungsmittelhersteller Mars Deutschland, dem Großhändler Metro Cash & Carry, dem IT-Dienstleister Metro Systems zusammen mit dem European EPC Competence Center und dem FIR an der RWTH Aachen war angetreten, den Nachweis zu erbringen, dass mithilfe eines kooperativen Ansatzes in der Wertschöpfungskette sowie der Nutzung von RFID eine FMCG-Supply Chain weiter optimiert werden kann.
Der Schlüssel zur Erreichung der Ziele ist ein Supply-Chain-übergreifendes „Electronic Product Code Information Services“(EPCIS)-System. Dies ermöglichte in dem Projekt den einzelnen Partnern, unterschiedliche Eventdaten in das System einzuspielen. Die Einigung auf den bereits international etablierten EPCIS-Standard hilft zudem, das System effizient zu halten. Es werden dabei nicht alle Daten für alle Partner zugängig gemacht, sondern es ist möglich, durch eine definierte Rechte- und Rollenverwaltung den Zugriff auf jeweils relevante Daten zu beschränken.
Transparenz
Neben der RFID-Technologie, bei der schon heute standardmäßig EPCIS-Events übermittelt werden können, ist auch eine EPCIS-Eventgenerierung aus Barcodescans oder aus anderen bestehenden IT-Systemen der Anwender möglich. Analysetools wie das Electronic Product Code Analysing Tool (EPCAT) ermöglichen jedem Partner, Auswertungen für jeden Business-Kontext zu fahren.
Zunächst erfolgte die Datenerfassung automatisiert durch RFID-Transponder, die am Beginn der Supply Chain beim Verpackungshersteller Mondi in die Kartonagen eingebracht wurden. Die optimale Position und die Art des RFID-Transponders, dessen Leseeigenschaften auch von dem enthaltenen Produkt abhängig sind, wurden mithilfe eines Verfahrens, das das EECC im Projekt entwickelt hatte, automatisch ermittelt. So war es möglich, die einzelnen Verkaufseinheiten der Mars-Produkte von der Produktion der Kartonage über ihre Befüllung in der Produktion bis in die Regale der Metro-Märkte nachzuverfolgen. An insgesamt neun Punkten in der Lieferkette kamen unterschiedliche RFID-Lesegeräte zum Einsatz, deren dort erzeugte Daten wurden im EPCIS-System gespeichert und mit Daten aus den ERP-Systemen der Unternehmen ergänzt. Neben der physischen Warenbewegung entstand so ein „High-Resolution“- Informationsfluss, der dazu genutzt wurde, die Supply Chain partnerübergreifend zu optimieren. Die Partner konnten nun auf die zentral im EPCIS gespeicherten und für sie wichtigen Kennzahlen und Informationen per Web-Interface zugreifen oder sich die Daten über „Subscriptions“ automatisiert aus dem EPCIS zusenden lassen. Es wurden adaptive Planungs- und Steuerungsalgorithmen implementiert, die es durch die Nutzung der EPCIS-Daten den Projektpartnern ermöglichten, ihre Bedarfs-, Beschaffungs- und Bestandsplanung präziser zu machen. Informationen wie das Mindesthaltbarkeitsdatum der Produkte wurden den SGTINs der einzelnen Cases zugeordnet und waren dadurch erstmals artikelgenau überwachbar.
Artikelgenaue Steuerung
Die Benefits waren vielfältig. Nicht nur die Qualität der Lieferungen stieg sofort an, sondern auch die Umsätze. Durch die vollständige Visibilität der Waren im Markt konnten drohender Verderb und Regallücken zeitnah erkannt werden und so die Supply Chain nachhaltiger und effizienter gestaltet werden. Gerade das Erkennen sogenannter „Not on shelf, but on stock“ (NOSBOS)-Situationen, in denen Artikel zwar im Hochregal, jedoch nicht in der Griffzone für den Verbraucher verfügbar waren, konnten weitestgehend minimiert werden. Weitere Effekte waren die artikelgenaue Aussteuerung von Rückholaktionen und das Monitoring von Werbeaktionen.
Das Besondere an dem Projekt Smart.NRW war der kollaborative Ansatz, mit dem die Partner gemeinsam an der Optimierung der Supply Chain gearbeitet haben. Nachdem Hersteller und Händler bereits im Rahmen von Efficient Consumer Response (ECR) seit Jahren gemeinsam an der Verbesserung der Wertschöpfungskette arbeiten, stellt das Projekt einen bisher so noch nicht dagewesenen Supply-Chain-übergreifenden Ansatz unter Verwendung des EPC-Standards dar, mit dem automatisiert generierte und serialisierte Informationen gemeinsam genutzt werden können.
Aufgrund der durch den Gesetzgeber für mehr und mehr Produkte vorgeschriebenen Verpflichtung zur lückenlosen Rückverfolgbarkeit, sei es für Fisch, Fleisch oder Tabakprodukte, wird eine schnelle und effiziente Lösung zur Verarbeitung serialisierter Daten in Handel und Industrie immer wichtiger. Eine Lösung auf Basis des EPCIS-Standards zur Artikelverfolgung partnerübergreifend für weitere Supply-Chain-Optimierungen zu nutzen, kann hier hilfreich sein.
NRW-Wirtschaftsminister Garrelt Duin verwies bei der Abschluss-Veranstaltung des Projekts im Mai 2015 auf den Wert der Ergebnisse für die gesamte Supply Chain und sprach von einem erneuten Beweis für die große digitale Innovationsfähigkeit von Unternehmen und Forschungsreinrichtungen in NRW, der zur Stärkung des Handels- und Logistikstandorts Nordrhein-Westfalen beitrage.
Fotos: Fotolia / Oleksiy Mark (1) und EECC (1)
Der Autor ist Senior Projektmanager beim European EPC Competence Center (EECC) in Neuss.
Weitere Informationen: www.eecc.info