Eine der größten Herausforderungen in der heutigen Logistik ist die Ineffizienz im Verkehr. Stella Viktoria Schieffer und Philipp Oberende von der ETH Zürich stellten fest, dass circa 70 Prozent aller Transportkapazitäten noch ungenutzt bleiben. Daher entschieden sich die beiden Transportingenieure, das Konzept für Mitfahrgelegenheiten auf den Liefersektor zu übertragen.
Mit „Bringbee“ riefen sie eine Service-Plattform ins Leben, über die sich Privatpersonen Einkäufe von einem Nachbarn mitbringen lassen können, der sowieso einkaufen fährt. Da „Mitbringer“ durch eine Gebühr angeregt werden, einen Lieferdienst zu übernehmen, und Nutzer auf diese soziale bzw. regionale Art unnötige Fahrten sparen, soll das langfristig zu ökologischen Verbesserungen der Transportbilanzen führen. Mithilfe von Geldern aus Wettbewerben und Stiftungen konnten die Gründer im Jahr 2012 ihren Traum von der eigenen Firma „PolyPort“ verwirklichen und im März 2013 mit der Onlineplattform www.bringbee.ch starten.
Konsum vs. Verkehrsinfarkt?
Stella Schieffer, CEO von Bringbee und Geschäftsführerin der Polyport GmbH, ist überzeugt, dass „die Crowdlogistik in weniger als 5 Jahren relevant wird.“ In dieser Annahme bestärken sie einerseits Ergebnisse des von Detecon und DHL erstellten „Logistics Trend Radar 2013“ und andererseits die Erfahrung, „dass Menschen ihren Einkauf in einem bestimmten Zeitfenster entgegennehmen wollen.“ Die Tendenz dazu nimmt weiter zu, wie die Studie „Erfolgsfaktoren im E-Commerce – Deutschlands Top Online-Shop V.3“ vom ECC Köln belegt. Danach können 80 Prozent der Kunden zwei Tage oder sogar länger auf eine Lieferung warten. Schieffer hält Individualität für ein noch wichtigeres Argument als Liefergeschwindigkeiten und empfiehlt Händlern, diese Entwicklung wohlwollend zu betrachten. Denn: Wenn Kunden beim Einkauf Nachbarschaftshilfe leisten, kannibalisiert dies kein Geschäft und müssen Kleinstmengen nicht mit zusätzlichem Personal- und Kostenaufwand geliefert werden.
Menschen, die sich ihren Einkauf mitbringen lassen möchten, können sich zum Beispiel durch Anmeldung per E-Mail oder mit einem Facebook-Konto registrieren. Eingeloggt hat ein Nutzer zwei Möglichkeiten einzukaufen – entweder in einem Partner-Shop oder mit der individuellen Einkaufsliste. Bei Partner-Shops wie dem schwedischen Möbelhaus Ikea, das auch erster „Bringbee“-Pilotpartner war, können Artikel aus einem bestimmten Sortiment ausgewählt und bestellt werden. Produktinformationen sowie Größen und Preise eines Artikels sind im Katalog ersichtlich, sodass „Mitbringer“ wissen, was sie einpacken müssen und wie viel der Einkauf kosten wird. Alternativ können Nutzer Artikel über die Freitext-Einkaufsliste frei bestimmen und bei jedem beliebigen Geschäft einkaufen. Dabei ist wichtig, dass die Artikel auf der Liste eindeutig beschrieben werden, damit auch die richtigen Produkte mitgebracht werden können.
Menschen, die als „Bringbee“ einen Lieferdienst übernehmen möchten, können sich ebenfalls online registrieren. Um Mitbring-Jobs anzunehmen, müssen sie für dieses Konto einmalig ihre Mobiltelefonnummer verifizieren. „Mitbringer“ können sich als „Bringbees“ für ihre Nachbarschaft registrieren und ein Abo für Benachrichtigungen zu neuen, passenden Mitbring-Jobs im Umkreis anlegen. Die Privatsphäre der Teilnehmer wird jedoch geschützt: Solange keinem Mitbring-Job zugestimmt worden ist, kann kein „Mitbringer“ Kontakt-Informationen eines Nutzers einsehen.
Einkaufs-Spielregeln
Das Einkaufen funktioniert wie folgt: Ein „Bringbee“-Besteller bestellt seinen Einkauf ohne Mindestbestellwert und erhält eine Bestätigungs-E-Mail mit Lieferzeit sowie Kontaktdaten des „Mitbringers“, sobald der Job angenommen wurde. Daraufhin kauft der „Mitbringer“ die Ware in der Filiale und tritt in Vorkasse. Der „Bringbee“-Besteller bestätigt den Erhalt online, dann erst wird der Einkaufsbetrag inklusive „Belohnung“ vom Besteller eingezogen und direkt auf das Konto des „Mitbringers“ überwiesen.
Bei der „Belohnung“ für Mitbringer handelt es sich meistens um eine Pauschale plus einen Prozentsatz vom Einkaufsbetrag, der abhängig von Branche und Detailhandels-Partner definiert wird. Der Verdienst liegt zudem meistens unter den Kosten für die eigene Fahrt, für die Fahrtzeit und die Parkgebühr, sodass es lediglich zu einer Subventionierung bestehender Fahrten kommt – sich eine Extra-Fahrt nur zur Erledigung des Mitbring-Jobs also nicht lohnt. In der Regel liegt der Minimum-Verdienst bei 5 Schweizer Franken (CHF). „Bringbee“ berechnet dem Kunden zusätzlich eine Gebühr von 3 CHF plus 2,5 Prozent des Einkaufswerts.
Inzwischen schätzen bereits 1.500 „Bringbees“ schweizweit die Möglichkeit, sich beim Einkaufen etwas dazu zu verdienen oder sich den Einkauf bequem mitbringen zu lassen. Das mittlerweile vierköpfige „Bringbee“-Team kümmert sich um sichere Online-Zahlungen, eine garantierte Bezahlung der „Mitbringer“, eine Gratis-Transportversicherung und die Berechnung der CO2-Einsparungen. „Lieferungen innerhalb der größeren Schweizer Städte funktionieren anstandslos und selbst Lieferungen am gleichen Tag kommen immer wieder vor“, bekräftigt Schieffer.
Aktuell sucht „Bringbee“ auch nach neuen Partnern, um das Konzept weiter auszudehnen und auch in Deutschland und Österreich zu pilotieren. Daneben wird auch an der Ausdehnung des Konzepts auf eine App gearbeitet: „Über eine App ließe sich die Einkaufsliste des Nachbarn künftig einfacher mitnehmen und Mitbring-Jobs könnten direkt im Laden angenommen werden “, schildert Schieffer. Dabei gewinnen offenbar alle: Kunden hinsichtlich Convenience und Flexibilität, „Mitbringer“ hinsichtlich Geld und einer besseren Nachhaltigkeitsbilanz, Händler im Sinne einer nachhaltigen und nachbarschaftlichen Lieferoption für die letzte Meile, einer Entlastung im Zentrallager und womöglich auch neuer Kunden. Reduzieren werden sich wohl nur Kosten für den Handel und Leerfahrten in Randgebiete.
Logo und Fotos (3): Bringbee
Weitere Informationen: www.bringbee.ch