Walmart, Best Buy, Sears, Home Depot, Nordstrom – diese US-amerikanischen Handelsunternehmen belegen die ersten 5 Plätze im Ranking „Global Cross Channel Retail Report“ des Marktforschers Ebeltoft Group. Im Rahmen einer jährlichen Studie untersucht Ebeltoft die Multichannel-Kompetenz der größten Einzelhandelsunternehmen in 17 Ländern mit Schwerpunkt auf branchenübergreifenden Generalisten sowie auf den Bereichen Mode, Elektronik und Haushaltswaren. Der Elektronik-Fachhändler Conrad rangiert hier auf Platz 6, als erstes nicht-amerikanisches Unternehmen.
Diese Platzierung korrespondiert mit dem Omnichannel Maturity Index 2013 von IBM, in dem Conrad in der bundesdeutschen Handelsszene mit deutlichem Abstand den ersten Platz belegt. IBM hat für sein Ranking nach 75 Kriterien untersucht, darunter kanalübergreifendes Marketing, Pricing und Artikelpräsentation, Online-Bestellung in die Filiale und Rückgabeprozess. Die Integration mobiler Apps und sozialer Medien wurde betrachtet. Weitere Kriterien waren Kundenbindungsprogramme zur Kanalintegration, Präsentationsformate zur Produktdarstellung sowie Angebote zu Beratungsgesprächen und Service-Chats.
„Den Königsweg hin zum Multichannel-Anbieter gibt es nicht – wir gehen nach dem Prinzip Try and Error vor und bezahlen zuweilen auch Lehrgeld, um zum gewünschten Ziel zu gelangen“, sagt Jörn Werner, Vorsitzender der Geschäftsführenden Direktoren bei Conrad. Das Handelsunternehmen betreibt in Deutschland 25, in Österreich und der Schweiz zusammen 8 Filialen. Über 50 Prozent des Umsatzes allerdings generiert Conrad über sein Versandgeschäft – mit Schwerpunkt B2B-Kunden.
Musterfiliale in Essen
Der Status der Kanal-Integration bei Conrad lässt sich am besten in der Musterfiliale in Essen erkunden. Sie ist mit sogenannten „ Highlight-Möbeln“ ausgestattet, die dem Kunden auf Displays ausführliche Produkt-, Verfügbarkeits- und Preisinformationen vermitteln. Pro Monat werden an diesen Medien 25.000 Produktaufrufe durchgeführt. Auch die Mitarbeiter können mit ihrem iPad die bis zu 82 Zoll großen Bildschirme ansteuern, etwa um die Produkte im Rahmen des Beratungsgesprächs zu zeigen. Via iPad kann die Ware dann direkt im Webshop bestellt werden.

Das Maskottchen, der Roboter „Werner", geleitet die Kunden zur gewünschten Abteilung. (Foto: Conrad)
In der Essener Filiale sind außerdem „Showbühnen“ installiert, um Live-Demos von Produkten zu realisieren. Zudem geleitet ein Roboter (Maskottchen „Werner“) die Kunden bei Bedarf zur gewünschten Abteilung. „Wir sind sukzessive dabei, unser gesamtes Filialnetz mit diesen Highlight-Möbeln auszustatten“, so Jörn Werner.
Aber auch die Online-Kunden können kanalübergreifende Services nutzen. Im Webshop lässt sich beispielsweise die Verfügbarkeit nach Stückzahl jedes Produktes in jeder Filiale abfragen. Der Kunde kann sich das gewünschte Produkt bei Bestellung bis 14 Uhr am selben Tag in der gewünschten Filiale bereitstellen lassen – vorerst in der Filiale Regensburg auch nach Geschäftsschluss. Denn dort ist eine Packstation installiert, an der mit einer vorab per SMS übermittelten PIN das entsprechende Fach geöffnet werden kann. „Weitere Dienste wie etwa die Online-Reservierung von Artikeln sind in der Pipeline“, sagt Jörn Werner.
Conrad verwaltet und steuert alle Prozesse über ein SAP-Basissystem. Die Integration der Webshops (das Unternehmen betreibt getrennte Shops für private und für gewerbliche Kunden) und der stationären Prozesse geschieht mit der Software der SAP-Tochter Hybris.
Kundendaten besser nutzbar machen
Die Migration zum voll integrierten Multichannel-Händler wird das Unternehmen also auch noch in den kommenden Jahren beschäftigen. Insgesamt aber sieht der Conrad-Chef sein Unternehmen hervorragend aufgestellt. „Ich bin davon überzeugt, dass wir als Multichannel-Händler perspektivisch wettbewerbsfähiger sein werden als die Pure Player der Branche“, so seine Prognose (siehe Interview).
Eine Dauerbaustelle ist das Thema Big Data. „Bei 600.000 Artikeln, 13 Millionen Versandkunden und jährlich rund 14 Mio. Besuchern in den Filialen muss man zur Abarbeitung der Datenflut zwangsläufig sehr mathematisch unterwegs sein“, sagt Werner. Dabei hat Conrad die kanalübergreifenden warenwirtschaftlichen Prozesse gut im Griff: Neu gelistete Artikel zum Beispiel sind innerhalb von 24 Stunden online. Der Content wird selbst erstellt. „Momentan arbeiten wir insbesondere daran, unsere Kenntnisse über die Kunden zu verfeinern und die Kundendaten noch besser nutzbar zu machen“, erklärt Werner.
Weitere Informationen: www.conrad.de
Eine Kulturrevolution im Unternehmen
Jörn Werner von Conrad Electronic über die Multichannel-Strategie des Unternehmens und über die Probleme der Kanal-Integration.
Warum ist Conrad laut IBM-Ranking der beste deutsche Multichannel-Händler?
Unsere Ausgangsposition war recht komfortabel. Als Handelsunternehmen mit traditionell starkem Versandgeschäft und traditionell starkem B2B-Geschäft mussten wir uns – im Gegensatz zu rein stationären B2C-Händlern – zwangsläufig und sehr frühzeitig mit dem Thema E-Commerce auseinandersetzen. Außerdem haben wir das Internet-Business im Unterschied zu anderen nie als Bedrohung begriffen. Und schließlich: Conrad hat den genetischen Code des Einzelhandels, in getrennten Kanälen zu denken, schnell umgeschrieben.
War Kanal-Integration von vornherein ein in der Führungsetage angesiedeltes Thema?
Ja, wir begreifen Kanal-Integration als ein umfassendes Change-Management-Projekt. Es wurden Know-how durch Neueinstellungen ausgebaut, Hierarchien abgebaut, Organisationen angepasst – das Ganze war eine unternehmenskulturelle Revolution, ausgehend von der Zentrale bis hinein in die hinterste Filial-Ecke. Insgesamt 13 Handlungsfelder wurden definiert, rund 300 Projekte aufgesetzt und akribisch abgearbeitet. Ein zeitaufwändiger und durchaus kostenintensiver Prozess.
Wo steht Conrad heute in Sachen Kanal-Integration?
Conrad betreibt in Deutschland 25 stationäre Filialen, wir sind im Kern aber ein E-Commerce-Unternehmen geworden, das alle Prozesse auf E-Commerce ausrichtet. Im Prinzip begreifen wir uns nicht (mehr) als Multichannel-Händler, denn wir arbeiten mit einem einzigen, integrierten Vertriebssystem, das verschiedene Kundengruppen aus verschiedenen Welten übergreifend bedient. Naturgemäß basteln wir ständig an diesem Vertriebssystem und stehen dabei noch vor einigen Herausforderungen.
Zum Beispiel?
Die Nutzung mobiler Devices durch unsere gewerblichen und privaten Kunden für Entscheidungsfindung, Bestellung und auch stationären Kauf steht erst am Anfang. Ich bin davon überzeugt, dass Smartphone und Tablet unser künftiges Geschäft nicht nur begleiten, sondern prägen werden. Hier muss man ständig am Ball bleiben. Conrad hat zum Beispiel Ende des Jahres 2013 seine Mobile Website einem Relaunch unterzogen. Wir zählen rund sechs Millionen Visits pro Monat allein auf conrad.de, bei ständig steigender Nutzung mobiler Devices. Da muss die Performance stimmen. Spürbare Ladezeiten, unklare Strukturen, unsaubere Navigation, fehlerhafte Suchfunktionen sind nicht erlaubt.
Wo wird Conrad in fünf Jahren stehen?
Wir werden sicherlich noch die eine oder andere stationäre Filiale eröffnen. Unsere momentan modernste Niederlassung in Essen vermittelt eine Vorstellung, wie nicht nur unsere Stores künftig aussehen werden: Showbühne für Kundenerlebnisse, radikal ausgerichtet auf intensive Beratung und Betreuung der Kunden, ausgerüstet mit modernster medialer Technik, dabei tendenziell mit kleineren Flächen, mit reduziertem Präsenz-Sortiment. Conrad wird, davon gehe ich aus, in fünf Jahren nicht mehr über das Thema Multichannel sprechen, weil heute eventuell noch bestehende Abgrenzungen zwischen den Vertriebskanälen vollständig abgebaut sein werden. Aus Kundensicht gab es diese Grenzen übrigens noch nie.
Gibt es bis dahin bei Conrad noch gedruckte Kataloge?
Conrad hat im Jahr 1936 seinen ersten, damals 16-seitigen „Katalog“ aufgelegt. Ab den 1960er-Jahren wurde das Katalog-Marketing ständig umfangreicher und differenzierter – mit bis zu 40 verschiedenen Katalogen. Diese Ära ist nun vorbei. Wir werden drastisch zurückfahren und uns im Print-Bereich auf Spezial-Kataloge, etwa für den Bereich Modellbau beschränken.