Der typische Multichannel-Kunde legt ein komplexes Verhalten an den Tag. Er sucht sich für bestimmte Konsumwünsche bestimmte Kanäle aus. Und er wechselt häufig die Kanäle. Er ist ein sehr erfahrener Shopper: Laut einer Studie von Price Waterhouse Coopers bezeichnen sich 69 Prozent der Multichannel- Kunden als „Kauf-Experten“.

Und er ist ein für den Handel äußerst ertragreicher Kunde. Die Auswertung von über 8 Millionen Einkäufen bei Anbietern bekannter Modemarken ergab, dass Multichannel-Kunden dort rund dreimal mehr Umsatz bringen als reine Offliner bzw. reine Onliner. Denn sie kaufen situativer, spontaner, häufiger. 

Umsatzstark und anspruchsvoll

„Der Multichannel-Kunde ist bei uns der Kunde mit dem höchsten durchschnittlichen Auftragsumsatz“, bestätigt Bernhard Puchberger, Bereichsleiter IT, Organisation & logistische Abwicklung bei Sport Scheck. Seine Beobachtung teilt Puchberger mit der großen Händler-Mehrheit. Laut einer von Professor Joachim Zentes von der Universität des Saarlandes im Auftrag von NCR durchgeführten Studie gaben 89 Prozent der befragten Einzelhändler an, dass Konsumenten, die über verschiedene Vertriebskanäle mit ihnen in Geschäftsbeziehung treten, profitabler sind als Kunden, die nur einen Vertriebskanal nutzen.

Der Multichannel-Kunde ist aber auch anspruchsvoller. Beim Hopping durch die Kanäle will er sich keinerlei Restriktionen unterwerfen. Er will hier kaufen, dort bezahlen, hier bestellen, dort reklamieren, hier Coupons einlösen, dort Liefertermine vereinbaren, hier abholen, dort retournieren. Wer als Händler den Multichannel-Kunden dauerhaft binden will, muss solche Prozesse reibungsfrei ermöglichen. „Damit verschafft er sich gleichzeitigen einen strategischer Vorteil im Wettbewerb mit reinen Internet-Händlern wie etwa Amazon“, ergänzt Ulrich Kaiser, Sales Spezialist bei NCR. 

Betriebe in der Findungsphase

Dazu allerdings braucht der Händler eine kanalübergreifend einheitliche Sicht auf Käufe, Bestellungen, Bestände und Warenauslieferungen. Seine IT sollte Kundendaten und personifizierte Marketingaktionen integrieren. Die bare und unbare Zahlungsabwicklung einschließlich der Verrechnung von Anzahlungen, Restzahlungen und Rückerstattungen sollte synchronisiert sein. Und nicht zuletzt braucht der Händler integrierte Analyse-Tools: Seine IT muss alle Verkaufsaktivitäten über die Kanäle hinweg und in Echtzeit durch Auswertungen und Analysen transparent machen. „Unternehmen müssen alle Vertriebswege integriert betrachten, und ihre IT-Systeme müssen diese Sichtweise durchgängig unterstützen“, erklärt Martin Timmann, Geschäftsführer und Vice President Central Europe bei Torex in Berlin.

Der Münchener Filialist Sport Scheck mit bundesweit 16 stationären Filialen und einem Webshop mit jährlich 350 Mio. Page Impressions gilt als Händler, der in dieser Hinsicht schon weit fortgeschritten ist (siehe Interview). Andere Betriebe dagegen stehen noch am Anfang. Ihre Findungsphase wird häufig erschwert durch Strukturen, die typischerweise so aussehen: Die IT-Umgebung ist für das stationäre Geschäft angelegt, sie ist historisch gewachsen und daher sehr heterogen. Der später hinzugekommene Webshop wird entweder völlig eigenständig geführt, oder es wird versucht, ihn über ein provisorisches Abbild in die bestehenden Strukturen einzupassen. „Hierbei handelt es sich aber weniger um eine Integration als um den Versuch, bestehende IT-Systeme möglichst lang in gewohnter Manier nutzen zu können“, erklärt Andreas Christoffel, Geschäftsbereichsleiter bei Salt Solutions in Dresden. „Viele Händler haben hier eher reagiert anstatt zukunftsorientiert zu agieren“, ergänzt Carlo Zanatta, Leiter Competence Center Retail bei Bison in Sursee/Schweiz.

Informationstechnische Großbaustelle

Weil die Kanäle also weitgehend koexistieren, kann es nicht zur gegenseitigen Bereicherung kommen, weder bei den internen Prozessen noch bei der Abbildung von Mehrwerten für den Kunden. Konsequenz: Die stationäre Filiale kennt den Online-Kunden und dessen Einkäufe nicht. Sie kann keinen Umtausch aus einem Online-Kauf vornehmen. Ein stationärer Einkauf kann nicht per  Versand wie ein Online-Einkauf retourniert werden, und so weiter. Falls auch die Preisstrategie nicht synchronisiert ist, kann es außerdem zu einem gefürchteten Effekt kommen: In der Filiale testen und probieren die Kunden – kaufen danach aber zu einem niedrigeren Preis im Web. „Die Formate kannibalisieren sich dann gegenseitig, und wird das Kaufverhalten nicht übergreifend analysiert, können drastische Fehlentscheidungen die Folge sein“, so Andreas Christoffel von Salt Solutions.

Um als Multichannel-Händler Erfolg zu haben, muss man möglichst viele dieser Negativ-Effekte eliminieren. Damit stehen viele Betriebe vor einer informationstechnischen Großbaustelle. „Multichannel steht erstmal für Multiproblemo“, kommentiert Thomas Lipke, Geschäftsführender Gesellschafter des Hamburger Outdoor-Filialisten Globetrotter, und er fragt: „Mit welcher Geschwindigkeit sind die Unternehmen eigentlich bereit, ihre IT-Ressourcen so auszubauen, dass sie den Herausforderungen des Multichannel-Handels gerecht werden?“

Begrenzte IT-Budgets

Die EHI-Studie „IT-Trends im Handel“ gibt darauf zumindest einen Teil der Antwort. Etwas mehr als die Hälfte der dort befragten Handelsunternehmer geht davon aus, dass ihre IT-Budgets in den kommenden drei Jahren steigen werden. Im Jahr 2009 prognostizierten dies lediglich 30 Prozent der Betriebe. Momentan liegen die Etats im Schnitt bei 1,12 Prozent vom Nettoumsatz. Gleichzeitig findet eine Umschichtung statt. Cetin Acar, Autor der EHI-Studie: „Die Budgets für Basisarbeiten wie Zentralsystem-Konsolidierung, Lieferantenanbindung und WWS-Optimierung werden um rund ein Drittel zurückgefahren, während Multichannel-Aktivitäten deutlich ausgebaut werden.“

Diese Aktivitäten können im Prinzip zwei Ansätzen folgen: Zum einen können bestehende Anwendungen Multichannel-fähig aufgerüstet und über Schnittstellen verbunden werden – mit allen Ausfallrisiken und Performance-Problemen, die einer solchen Lösung im heterogenen Umfeld innewohnen. Oder es wird eine Integrationsplattform installiert, die konsolidierte Daten sowohl den zentralen Anwendungen als auch den POS- und Webshop-Anwendungen zur Verfügung stellt. „Insgesamt geht der Trend in Richtung übergeordneter Integrationsarchitekturen“, beobachtet Dr. Michael Schulte, Director Business Development bei Wincor Nixdorf.

Flexible IT-Dienstleister

Dabei bietet sich die Nutzung der Web-Technologien an. Eine Web-basierte Plattform schwebt quasi als Wolke über den Sub-Systemen und integriert kanalübergreifend alle Daten und Prozesse. „Klar definierte Services, klar definierte Schnittstellen, hohe Performance, alle Interaktionsebenen abdeckend, mit schlankem und überall bedienbarem Interface, variabel und modular ausbaubar, damit langfristig zukunftsfähig“, nennt Ulrich Kaiser von NCR die Vorteile.

Umgekehrt wissen Kaiser und seine Kollegen aus anderen IT-Dienstleistungsunternehmen: Die IT-Budgets der Händler setzen umfassenden Lösungen häufig enge Grenzen. „Im konkreten Einzelfall geht es immer um die individuelle Abwägung, denn schließlich plant nicht jeder Händler gleich den Generalumbau“, erklärt Andreas Christoffel von Salt Solutions. Die Expertenempfehlungen lauten: Bestehende IT-Strukturen exakt analysieren, Prioritäten erkennen und setzen, mit dem zur Verfügung stehenden Budget abgleichen und auf dieser Basis eine individuelle Lösung entwickeln, die Schritt für Schritt zur kanalübergreifenden Integration führt. Entsprechend sind IT-Dienstleister aufgestellt. Ihre Lösungsbausteine sind flexibel und unterstützen die Umsetzung einzelner Integrationsschritte für bestimmte Anwendungen.

Abb.: istockphoto/fotolia

Lösungen

Prozesse im Hintergrund verknüpft: Kassen-Bedieneroberfläche
bei der Multichannel-Software STS von NCR

Bernhard Puchberger, Bereichsleiter IT, Organisation & logistische Abwicklung, Sport Scheck

Viele IT-Dienstleister haben Angebote für die IT-Integration bei Multichannel-Händlern im Portfolio. Dies zeigte nicht zuletzt die IT-Messe EuroCIS. Einige Beispiele.

Die Bison AG in Sursee (Schweiz) bietet eine „Multicrosschannel-Engine“, basierend auf Java-Umgebung. Die Plattform fungiert als Daten- und Prozessintegrator für die einzelnen Anwendungsbereiche. Die Lösung wird auch für das Masterdata-Management oder für ERP-Systeme eingesetzt.

Die GK Software AG in Schöneck offeriert den „Multi-Channel Loyalty Server“. Die Lösung bekommt vom Webshop den gesamten Warenkorb übergeben, wendet aktuelle Promotions oder Bonuskartenaktionen wie am stationären POS an und reicht das Ergebnis an den Webshop zur Bezahlung zurück.

Die NCR GmbH in Augsburg hat die Modul-Lösung „Retail Transaction Services“ (RTS) entwickelt. Zum Beispiel gehört dazu mit den „Sales Transaction Services“ (STS) eine Komponente, mit der Produkte, Preise und Werbeaktionen einheitlich über alle Vertriebskanäle hinweg verwaltet werden.

Die Salt Solutions GmbH in Dresden bietet mit „Alexa“ eine Lösungs-Suite mit ERP-Kern, die speziell im Bereich der Fashion-, Lifestyle- und Hartwarenbranchen eine Integration der Abverkaufskanäle unterstützt. Das System besteht aus verschiedenen Modulen und kann sowohl als Ganzes wie in Teilen eingeführt werden.

Die Torex Retail Solutions GmbH in Berlin hat mit „MiRetail Hub“ eine Plattform-Lösung im Programm, die unter anderem Kundenbestellungen und Lagerbestände über alle Vertriebskanäle steuert.

Die Wincor Nixdorf AG in Paderborn hat mit der „TP Application Suite“ ein Software-Portfolio entwickelt, das als einheitliche Plattform alle Vertriebskanäle und -prozesse unterstützt – vom stationären Handel über Außer-Haus-Verkauf bis zum E-Commerce. Hinzu kommen Komponenten für die zentrale Verwaltung, Steuerung und Kontrolle der gesamten Filial-Landschaft.

Sehr aufwendige Prozesse

Bernhard Puchberger, Bereichsleiter IT, Organisation & logistische Abwicklung bei Sport Scheck, berichtet über seine Erfahrungen mit der Multichannel-Integration.

Haben Sie Erkenntnisse über den Anteil Ihrer Kunden, die sich kanalübergreifend informieren und einkaufen?

Ja, diese Daten werden bei uns permanent überwacht und analysiert, zum Beispiel über Kaufverhaltensstudien, zyklische Kundenbefragungen und über unseren Kundenzufriedenheitsmonitor. So können wir zusammenfassend feststellen, dass der Multichannel-Kunde bei uns der Kunde mit dem höchsten durchschnittlichen Auftragsumsatz ist.

Welche kanalübergreifenden Funktionalitäten haben Sie realisiert, welche (noch) nicht?

Multichannel-Kundenkarte, Multichannel-Marketingaktionen, Multichannel-Couponing, Multichannel-Gutscheine und diverse mobile Apps wurden bereits realisiert. Daneben bieten wir auch Services wie etwa die Bestellung im Internet und die Abholung bzw. den möglichen Umtausch der Ware in der Filiale.

Wie integriert ist das Berichtswesen?

Wir können heute alle Transaktionen, Bestellungen und Retouren kanalübergreifend verfolgen und abwickeln. Außerdem haben wir jederzeit einen Überblick über die aktuellen Warenbestände in den Filialen.

Wie aufwendig sind die IT-Vernetzungsprozesse?

Die Prozesse sind sehr aufwendig. Wie in vielen anderen Handelsunternehmen haben sich auch bei Sport Scheck über die Jahre hinweg unterschiedliche technologische Plattformen und unterschiedliche IT-Strukturen herausgebildet. Daraus resultieren Performance-Probleme bei der Integration systemübergreifender Prozesse ebenso wie Schwierigkeiten beim Synchronisieren von Datenhaltungsprozessen.