Ein Revisor auf 50 Läden – in etwa dieses Verhältnis gilt als Regel für Revisionsabteilung von Großfilialisten. Danach verfährt auch der Schweizer Modehändler Charles Vögele. Die rund 820 Filialen des Unternehmens in 10 Ländern werden von insgesamt 16 Revisoren überwacht. „Bei so engen personellen Kapazitäten muss sehr effektiv und sehr risikoorientiert gearbeitet werden“, erklärt Karl-Heinz Bettinger, International Auditor bei Charles Vögele.

Ein Frühwarnsystem sollte bei Charles Vögele helfen, sogenannten dolosen Handlungen (s. Info) schnell auf die Spur zu kommen und dadurch frühzeitig Schadensbegrenzung zu betreiben. Außenprüfungen sollten bei wirklich auffälligen Filialen und Vorgängen durchgeführt werden. Das erhöht die Erfolgsquote und verhindert, dass Revisoren zu viel unproduktive Zeit etwa mit Anfahrten zu Filialen verbringen. Intern sollte nach standardisierten Verfahren gearbeitet werden, etwa um Doppeluntersuchungen zu vermeiden oder um Know-how und wichtige Informationen unter den Kollegen in der Revisionsabteilung automatisiert auszutauschen. Bei Charles Vögele fallen jährlich allein rund 60 Mio. POS-Belege an – undenkbar, diese ohne technische Hilfe auf Auffälligkeiten zu durchforsten. „Schon die manuelle Prüfung lediglich der Retouren-Belege ist bei solchen Volumina wirtschaftlich nicht mehr machbar“, erklärt Wolfram Horrix, Business Analyst im Softwarehaus Actosoft.

Dolose Handlungen

Der Begriff dolose Handlungen fasst in der Fachsprache des Wirtschaftsprüfers Bilanzmanipulationen, Untreue, Unterschlagung und alle anderen zum Schaden des Unternehmens vorsätzlich durchgeführten Handlungen zusammen.

Quelle: Wikipedia

Das Tool „Revisionsplanung“ zeigt anschaulich, welche Filialen Auffälligkeiten zeigen, daher bevorzugt geprüft werden sollten, und auf welche Vorgänge besonders geachtet werden sollte

Bei Charles Vögele ist seit rund einem Jahr die Actosoft-Anwendung „Revisionscockpit“ im Einsatz. Die Software ist seit dem Jahr 2005 auf dem Markt und wurde im Zuge des Charles Vögele-Projektes überarbeitet, ergänzt und optimiert. Innerhalb der zweijährigen Projektlaufzeit entstand damit eine Anwendung, „die jetzt perfekt auf die Bedürfnisse einer Revisionsabteilung in einem Handelsunternehmen zugeschnitten ist“, urteilt Karl-Heinz Bettinger von Charles Vögele.  

Die Funktion „Filialbewertung“ vergleicht den Status der einzelnen Stores und zeigt über Scorings und durch die Erfassung statistischer Auffälligkeiten, welche Filialen im Blick gehalten werden müssen, weil sich bestimmte Vorgänge tendenziell häufen. Ähnliches gilt für die Funktion „Risikoübersicht“, die den filial- oder vorgangsbezogenen Gesamtstatus anzeigt. Diese Analysen gehen bei Charles Vögele in die mittelfristige Planung und Steuerung der Außenrevision ein.  

Auf kurzfristigen Handlungsbedarf dagegen weist eine Alarm-Funktion der Software hin. Die Revisions-Intelligenz deckt akute Auffälligkeiten auf und zeigt dem User in Form einer „Hitliste“, welche Aufgabe oder welcher Standort Priorität haben sollte. Der Nutzer wird mit einem Klick direkt zu den Daten geführt, die den Dringlichkeits-Alarm ausgelöst haben.

Alarm-Funktion

Auf die Optimierung dieser Funktion wurde im Projekt Charles Vögele besonderer Wert gelegt. Denn die Aussagekraft der Alarm-Funktion steht und fällt damit, dass einerseits alle Prozesse an den Kassen – vom Login über Retouren, Gutscheineinlösungen, Personalkäufe bis zur abendlichen Kassenabrechnung – abgebildet sind. Zum anderen müssen auch Rahmendaten wie Preisreduzierungen, Kundenreklamationen, Warenlieferungen, Geldentsorgungstage bis hin zu den Öffnungszeiten der Stores in die Analyse eingebunden sein. Nur so lässt sich ein Betrugsverdacht unterscheiden von legalen Sonderfällen, von technischen Störungen oder auch von Verstößen gegen Organisationsanweisungen.  

Dafür müssen im System Regeln hinterlegt sein, die eine Einschätzung erlauben, ob bei einer Abweichung von festgelegten Prozessen eher vorsätzliche oder eher nicht vorsätzliche Handlungen vorliegen könnten. Die Überschreitung der Bargeld-Bestellmenge zum Beispiel wird also mit einer anderen Risikogewichtung belegt als etwa eine unvorschriftsmäßige Gutschein-Eingabe per Hand. Derartige Risikobewertungen allerdings müssen flexibel veränderbar sein, die Software muss also ein lernendes System sein. Dies setzt die Actosoft-Anwendung um: Beispielsweise können die Revisoren Daten von Betrugsfällen sammeln, im Team diskutieren und auf dieser Basis die Bewertungsregeln neu justieren. Auch Parameter wie Filialgebiete, Zuständigkeiten oder andere Regeln können flexibel angepasst werden.  

Auch weitere Funktionalitäten wurden in Kooperation mit dem Unternehmen Charles Vögele ausgebaut. So ist in der Anwendung ein normiertes Prüfverfahren hinterlegt, um die interne Vergleichbarkeit der Ergebnisse zu gewährleisten. Des Weiteren werden Tools für den Wissenstransfer zwischen den Revisoren angeboten. Karl-Heinz Bettinger von Charles Vögele: „Teamwork und gemeinsames Lernen sind für der Erfolg einer Revisionsabteilung von wesentlicher Bedeutung.“

Im Normalfall können wir schnell Daten aus anderen Systemen übernehmen.

Wolfram Horrix

Business Analyst Actosoft

Die Investitionskosten für die aktualisierte Lösung „Revisionscockpit“ liegt für den Händler meist im fünfstelligen Bereich – je nach Aufwand für Integration und Customizing. „Die Anwendung ist mit Daten-Konvertern und Schnittstellen ausgestattet, damit können wir im Normalfall schnell Daten aus anderen Systemen übernehmen“, versichert Wolfram Horrix von Actosoft. Aufwändiger kann es bei „exotischeren“ Systemen werden, etwa bei Eigenentwicklungen, die oftmals eigenwillige Datenformate nutzen.  

Laut Horrix können sich die Projektkosten für Kauf und Installation der Software innerhalb von rund einem Jahr amortisieren, und zwar über verringerte Inventurdifferenzen, weniger Rabattvergaben und geringere ungewollte Barabflüsse. Kleineren Retailern bietet der Software-Entwickler ein Outsourcing-Modell an. Dabei wird die komplette Filial-Revision zu Actosoft ausgelagert, die Ergebnisse wandern in Form von Berichten und Analysen an den Händler zurück.

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