Die Kaufmannsregel, dass im Einkauf der Gewinn liegt, wird oft zitiert. Die betriebswirtschaftlichen Fakten sprechen dafür: Bereits ein um 1-2 Prozent niedrigerer Einkaufspreis wirkt sich ähnlich positiv auf das Ergebnis aus wie ein Umsatzplus im zweistelligen Bereich, denn der zusätzliche Umsatz ist stets auch mit erhöhten Kosten verbunden. Dennoch ist vielen Einkäufer offenbar nicht bewusst, an welchen Stellschrauben sie drehen können, um Ertragspotenzial besser auszuschöpfen. „In vielen Handelsunternehmen fehlen Datentransparenz und Kennzahlen für fundierte Lieferanten-
verhandlungen“, meint André Kaiser von der Kölner Inverto AG. Die auf Einkauf und Supply Chain Management spezialisierte Unternehmensberatung unterstützt Handelsunternehmen unter anderem beim Einkauf von Markenware und Eigenmarken.

Statt Vertragsverhandlungen sorgfältig vorzubereiten, verlasse sich so mancher Einkäufer auf die Daten des langjährigen Lieferanten – und schwäche so die eigene Verhandlungsposition, meint Kaiser. Oft fehle es an Hintergrundwissen – beispielsweise über die Preisentwicklung von Rohstoffen und ihren Anteil am jeweiligen Produkt. Dem Lieferanten-Argument steigender Rohstoffpreise habe der Einkauf dann im Zweifelsfall nichts entgegenzusetzen. Selbst das eindimensionale Ziel, bessere Konditionen als im Vorjahr auszuhandeln, führe oft nicht zu besseren Ergebnissen. Es könne vorkommen, so Kaiser, dass sich die Lieferanten ihr Geld beim nächsten Jahresgespräch über Preiserhöhungen „wiederholen“. Die Orientierung an Werbekostenzuschüssen und Neulistungen berge zudem die Gefahr, dass umsatzschwache oder zu teure Produkte eingekauft werden und das Regalbild unter verwirrender Variantenvielfalt leidet.

Statt wie auf dem Basar um Prozentpunkte zu feilschen, empfiehlt der Unternehmensberater deshalb ein konsequent am Rohertrag ausgerichtetes Lieferanten- und Einkaufsmanagement. „Software-Tools können den Einkauf unterstützen und Verhandlungen beschleunigen, allerdings müssen sie mit zuverlässigen Daten sauber befüllt werden“, so Kaiser. Mit der Lösung „e-contor“ bietet Inverto eine selbstentwickelte, modular aufgebaute Lösung, die unter anderem bei Valora Retail, bei Netto und bei Kaiser’s Tengelmann im Einsatz ist.

Das Ziel der Software ist, Einkaufsprozesse abteilungsübergreifend zu standardisieren und durch die IT zu optimieren. Das Modul „Ausschreibungsmanagement“ beispielsweise erspart manuelle Arbeiten wie Ausschreibungen über Excel-Formulare, E-Mail oder Post. Stattdessen werden alle Daten zu Lieferanten, Preisen und Produkten archiviert und können jederzeit abgerufen werden. So können Einkäufer eine Anzahl von Ausschreibungen parallel abwickeln und die Zahl der Lieferanten erhöhen.

Im Modul „Vertragsmanagement“ werden alle Verträge und Informationen zu den Vertragspartnern hinterlegt. So banal dies klingt, ist es doch in vielen Handelsunternehmen bis heute nicht selbstverständlich, so die Erfahrung von André Kaiser. Oft würden Verhandlungsergebnisse nicht schriftlich festgehalten, mit der Folge, dass irgendwann der Überblick über ausgehandelte Fristen und Sondervereinbarungen verloren geht und dadurch Geld verschenkt wird. Wenn dagegen sämtliche Vertragsdaten sorgfältig digital archiviert werden, sind aussagekräftige Analysen der Vertragsverhältnisse möglich.

Rohstoffkostenrechner

Auch das Einhalten betrieblicher und gesetzlicher Vorschriften (Compliance) lässt sich so einfacher sicherstellen und jederzeit nachweisen. Ergänzt wird die Lösung „e-contor“ durch einen Planungskalender und einen Rohstoffkostenrechner. Dieser liefert detaillierte Analysen über Inhaltsstoffe und Kostenbestandteile von Produkten und aktuelle Preisentwicklungen der relevanten Rohstoffe. So lassen sich beispielsweise Preiserhöhungen der Lieferanten auf Plausibilität überprüfen oder Marktentwicklungen simulieren (siehe Grafik).

„Contract2Go“ ist eine mobile App für Einkäufer, die alle verhandlungsrelevanten Daten auf das iPad bringt und sie dort live mit dem ERP-System verknüpft

Noch einen Schritt weiter geht das Softwarehaus Gicom aus Overrath mit seiner Lösung „Contract2Go“. Die mobile App für den Einkauf bringt alle verhandlungsrelevanten Daten auf das iPad und verknüpft sie dort live mit dem ERP-System. Der Einkäufer kann während des Verkaufsgesprächs über Schieberegler verschiedene Konditionen simulieren, beispielsweise beim Skonto runtergehen, dafür aber für eine bestimmte Produktgruppe einen höheren Rabatt fordern. Sämtliche Auswirkungen der verhandelten Vorschläge werden sofort auf die Nachkommastelle genau berechnet. Umgekehrt fließen alle ausgehandelten Vertragsdetails zurück in einen Vertragsentwurf, der aus dem SAP automatisch generiert und per Mail verschickt werden kann. Diese innovative Lösung wurde von SAP im Mai mit dem „SAP Pinnacle Award“ ausgezeichnet, mit dem das Walldorfer Unternehmen jährlich herausragende Entwicklungsleistungen von SAP-Partnern weltweit ehrt.

Zu den ersten Anwendern der mobilen Lösung gehört die Media-Saturn-Holding, die ihre Einkäufer erstmals anlässlich der IFA 2012 mit der neuen App ausstattete. Der Elektronikhändler nutzt bereits seit mehreren Jahren das Modul „Strategisches Konditionsmanagement SKM“ von Gicom. Die Software bündelt sämtliche preisrelevanten Faktoren und sorgt für Transparenz der Lieferantenbeziehungen. Neben den regulären Einkaufspreisen speichert „SKM“ alle auftragsbezogenen Konditionen, die Zahlungsbedingungen sowie alle nachträglichen Konditionen wie Rückvergütungen, Steigerungsboni oder Malus-Vereinbarungen, zudem sämtliche Varianten von Werbekostenzuschüssen und anderen Leistungsvergütungen.

Verknüpfung mit dem ERP-System

„Das Thema Compliance zwingt Händler und Lieferanten zu transparenten Prozessen“, sagt Stefan Hilger, einer der beiden Geschäftsführer und Mitbegründer von Gicom. Eine solche Spezial-Software erleichtert den Weg zu sauber dokumentierten Verträgen und nachvollziehbaren Gegenleistungen. Durch die Verknüpfung der Daten mit Umsatz- und Abverkaufszahlen aus dem ERP-System sind komplexe Analysen möglich, beispielsweise Staffelstufen-Auswertungen (Lohnt es, noch Ware nachzukaufen, um eine höhere Rabattstaffel zu erreichen?) oder Netto-Netto-Preiskalkulationen. Auch für das systematische Erfassen und Bearbeiten der Konditionen bietet Gicom mit dem „Operativen Konditionsmanagement OKM“ ein passendes Modul. Beide Lösungen funktionieren auch unabhängig voneinander.

Das Thema Compliance zwingt Händler und Lieferanten zu transparenten Prozessen.

Stefan Hilger

Geschäftsführer Gicom GmbH, Overath

Die Verbindung einer solchen Verhandlungsmanagement-Software mit der In-Memory-Technologie (SAP Hana) ist dann die nächste Ausbaustufe. Damit können komplexe Simulationen über Millionen von Transaktionen in Echtzeit ausgeführt werden, wie beispielsweise: Wie entwickeln sich die Rückvergütungen, und mit welchen Erträgen sollte die Finanzbuchhaltung kalkulieren (Abgrenzungsbuchungen)? Welchen Effekt hätte die Verlagerung bestimmter Beschaffungsvolumina in ein anderes Land? Und wie wirkt sich Eigenmarke XY auf die Werbekostenzuschüsse meines Markensortiments aus? Solche Lösungen bieten Einkäufern eine sehr weitgehende Unterstützung bei ihren Verhandlungen.

Foto: iStock/Dmitriy Shironosov

Quellen Abbildungen: Inverto (1), Gicom (1)