Stationäre Einzelhändler, vor allem aus den Branchen Fashion, Unterhaltungselektronik und Living, verknüpfen zunehmend ihre physischen und digitalen Stores. Die Konsumforschung liefert die Erklärung: Die GFK in Nürnberg identifiziert inzwischen schon 31 Prozent der Kunden als Crosschannel-Käufer, auf die 53 Prozent des Umsatzes entfallen. Dagegen sind 68 Prozent der Kunden reine Offline-Käufer, denen allerdings lediglich 46 Prozent des Umsatzes zuzurechnen sind. Crosschannel-Käufer sind also die kaufkräftigeren und konsumfreudigeren Kunden.
Auch ehemals reine Online-Händler, in erster Linie die großen und umsatzstarken Betriebe, setzen daher auf Omnichannel-Konzepte. Trotz des hohen Aufwands, den die Mehrkanalstrategie mit sich bringt, verfügen inzwischen knapp 22 Prozent der Top-1.000 Online-Shops über ein Netzwerk mit mehr als 100 stationären Filialen. Unter dem Strich ist die Anzahl der Omnichannelshops im deutschen Onlinehandel in den vergangenen zwölf Monaten um 14 Prozent gestiegen, so ein Kernergebnis der neuen EHI-Studie „Omnichannel-Commerce 2019.
Für Omnichannel-Händler ist dabei nicht die Anzahl der Touchpoints erfolgsentscheidend, sondern die kundenorientierte Auswahl und die Qualität der Service-Leistungen. „Omnichannel wird zunehmend auch als Loyality-Ansatz begriffen“, sagte Lutz Spannuth, Moderator der Omnichannel Days und Inhaber des Beratungsunternehmens Spannuth direct. Einen Beleg für diese These lieferte unter anderem Ingo Leiner, Vorstand Logistik bei der Hornbach Baumarkt AG. „Welches sind die aus Kundensicht wirklich relevanten Services und wie verändert sich deren Bedeutung für die Kunden?“ So lautet die zentrale Fragestellung, auf der Hornbach seine Service-Strategie aufbaut. Neben „klassischen“ Funktionen wie Click & Collect oder Verfügbarkeitsanzeigen arbeitet der Händler zum Beispiel mit Artikel-Bilderkennung. Wer etwa beim Nachbar eine schicke Tapete entdeckt hat oder wem auf der Baustelle ein bestimmtes technisches Produkt ausgegangen ist, kann über die Hornbach-App den jeweiligen Artikel identifizieren und dessen Verfügbarkeit bei Hornbach prüfen.
Weniger Channel – mehr Service
Von hoher Bedeutung für den Händler ist auch, die Wartezeiten seiner Kunden an den Kassen zu minimieren. Ebenfalls über die App können sie daher in einigen Märkten mobil scannen und an der Kasse per QR-Code abrechnen. Und ein drittes Beispiel: Hornbach verfolgt das Ziel, Auslieferungen zu beschleunigen und insbesondere Teillieferungen zu vermeiden. Der Baumarkt-Betreiber mit 158 Märkten in neun Ländern hat daher ein modernes Order-Management eingeführt und seine logistische Infrastruktur massiv erweitert. Inzwischen verfügt der Händler über ein europaweites Netz von rund 560 Versandstellen. „Damit steigern wir die Verfügbarkeit, reduzieren Lieferdistanzen und minimieren Teillieferungen“, so Logistik-Vorstand Ingo Leimer.
Weil funktionierende Belieferung ein wesentlicher Faktor für die Kundenzufriedenheit ist, hat auch Mitbewerber Hellweg Die Profibaumärkte GmbH & Co. KG in den vergangenen Jahren ein Netzwerk von E-Commerce-Lägern aufgebaut. „Speziell das heterogene DIY-Sortiment stellt sehr vielschichtige Anforderungen an ein Logistikkonzept“, sagte Jan Buse, Leiter eCommerce bei Hellweg, in seiner Präsentation auf dem Omnichannel-Kongress. Generell gilt Hellweg beim Kundenservice als führend unter den Baumarkt-Betreibern – schon belegt das Unternehmen bei den Tests des Deutschen Instituts für Service-Qualität regelmäßig Platz 1. Dazu gehören naturgemäß auch kanalübergreifende Dienste. Schon seit 2015 können Hellweg-Kunden online bestellen und im Markt abholen. Es folgten weitere Services wie Marktlieferung, Click & Reserve und Instore Order.
Kundenwünsche realisieren
Wie Händler ihre warenbezogenen und logistischen Prozesse neu aufstellen, um Kundenwünsche im Omnichannel-Zeitalter schnell und umfassend realisieren zu können, zeigten die Omnichannel Days auch am Beispiel der Fashion-Branche. Die Adler Modemärkte etwa führt momentan ein umfassendes System ein, um Bestände kanalübergreifend zu optimieren und die zugrundeliegenden Prozesse zu automatisieren. Der Händler bedient sich dazu der KI-basierten Lösung des IT-Dienstleisters Aifora. Über das System werden unter anderem sämtliche Bestandsprozesse von NOS-Artikeln gesteuert. Insbesondere aber geht es darum, über Predictive Analytics-Ansätze sowohl die Sortimentsauswahl wie die Sortimentspräsenz über alle Kanäle hinweg zu optimieren. „Warensteuerung ist die hohe Schule“, sagte Marcel Turhan, Head of PME/PMO bei Adler, der das im September 2018 gestartete Projekt auf den Omnichannel Days im Detail vorstellte. Er machte auch deutlich, dass Adler messbare Benefits durch die neue kundenorientierte Warenbewirtschaftung erwartet – in Form einer Reduktion der Gesamtbestände um 15 bis 25 Prozent, aber auch in Form einer merklichen Umsatzsteigerung.
Cyberport, 1998 als reiner E-Commerce-Händler gestartet, betreibt inzwischen zusätzlich 16 stationäre Geschäfte. Laut Geschäftsführer Helmar Hipp entwickelt sich das Unternehmen seitdem immer mehr zu einem Technologieunternehmen, das die Omnichannel-Strategie durch Artificial Intelligence unterstützen will. „Omnichannel ist AI“, so Hipp und erklärt weiter, dass durch diese eine Entlastung von monotonen Prozessen, eine Zeitersparnis durch Automatisierung, eine Senkung der Fehlerquote sowie eine Erhöhung der Effizienz ermöglicht werden könne.
„In 100 Tagen online“ lautete das Omnichannel-Projekt des ostwestfälischen Tresor-Anbieters Hartmann Tresore. Der 1834 als Schmiede gestartete Familienbetrieb ist seit 1983 auf Tresore spezialisiert, betreibt 5 deutsche Filialen und hat Niederlassungen in 6 Ländern, u. a. in Dubai/VAE. Herausforderung war es, ohne Eigenmarke, ohne E-Commerce-Erfahrungen und ohne Online-Produktportfolio einen eigenen Online-Shop zu launchen. Bisher generierte das in Paderborn ansässige Unternehmen lediglich Leads über seine Unternehmens-Website. Einen emotionalen Zugang zu seinen Produkten will Hartmann nun über seinen ersten eigenen Online-Shop „deinTresor.de“ erschaffen, berichtete Dirk Ewers, Head of E-Commerce bei Hartmann. Optisch an die eigenen Verkaufsflächen angelehnt, stellt der Online-Shop einen Bezug zum bisher überwiegend stationären Geschäft her. Das Ziel: „ein gutes Gefühl“ zu verkaufen. Emotionale Grafiken ersetzen klassische Diebstahl-Grafiken. Anstelle von Stockfotos sorgen Abbildungen der Mitarbeiter für eine persönliche Ansprache. Individuelle Produktnamen wie „Wilhelm“ und „Heinrich“ emotionalisieren die üblicherweise durch kryptische Codes definierten Waren – inspiriert von den eigenen Mitarbeitern. So verbirgt sich hinter jedem Produktnamen eine Geschichte eines Mitarbeiters.
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