Die Fülle an Informationen und Angeboten im E-Commerce überfordert zuweilen. Als einer der ersten deutschsprachigen Onlineshops testet die zur Otto Group gehörende Baur eine Produktsuche mit generativer künstlicher Intelligenz. Der „Searchbuddy“ interpretiert die Suchanfragen der Kaufinteressenten im Desktop- und Mobileshop von Baur und übersetzt sie in inspirative Produktempfehlungen in der Suchleiste des Onlineshops.

KI findet ideales Geschenk

Experten raten dem Handel dazu, mit dem Experimentieren anzufangen, um praktische Erfahrungen mit KI zu sammeln

Experten raten dem Handel dazu, mit dem Experimentieren anzufangen, um praktische Erfahrungen mit KI zu sammeln
Foto: Educaite

„Generative KI ist verblüffend gut darin, Sprache wie ein Mensch zu verstehen, zu interpretieren und entsprechend zu reagieren“, schildert Georg Sebald, Abteilungsleiter Shopmanagement bei Baur. Mit Suchanfragen wie „Was kann ich meiner Partnerin zum Valentinstag schenken?“ liefert die Baur-Suche künftig eine Übersicht passender Artikel aus unterschiedlichen Sortimenten bzw. Produktkategorien. Für das Valentinstagsgeschenk der Partnerin wären dies etwa Produktvorschläge von Schmuck über Parfum bis hin zu Dekoartikeln. Wir alle sind bisher dank Google und Co. darauf trainiert, perfekt funktionierende Keywords einzugeben, wenn wir etwas suchen, so Sebald. Dies werde sich künftig ändern. Der Onlinehändler will seine Kundschaft dazu ermutigen, natürliche Sprache und auch ausführlichere Fragen für die Suchanfragen im Onlineshop zu nutzen.

Auch der Beautyshop Sephora aus der LVMH-Familie ist dabei, das In-Store-Gefühl auf seinen Onlineshop zu übertragen. Während des Einkaufs im Geschäft spiegelt das Verkaufspersonal die allgemeine Einstellung des Unternehmens gegenüber seinen Kund:innen wider. Das ist beim Online- Einkauf aber nicht immer der Fall, glaubt man bei Sephora. Ein KI-gestützter Beauty-Assistent hilft der Kundschaft, sich im umfassenden Sortiment zurechtzufinden. Er hört zu, lernt und bietet maßgeschneiderte Ratschläge, etwa welcher Lippenstift der Favorit sein könnte. Zwar sei KI per se kein Allheilmittel für jedes Geschäftsproblem im Handel, aber sie sei erstaunlich gut darin, Unmengen an Informationen zu durchsuchen, um Käufer:innen schnell das passende Produkt zu bieten, weiß die Bostoner E-Commerce-Expertin Susan Galer.

Die Integration von KI im E-Commerce steht immer noch am Anfang, und ich bin selbst gespannt, wie sich diese Technologie weiterentwickeln wird.

Daliah Salzmann

Geschäftsführerin, Ecommerce One

Optimale Aufstockungsstrategie

Aber was nützt das intelligent gewählte Erzeugnis, wenn es im Store – oder online – nicht oder zu spät verfügbar ist? Das Kölner Modelabel Armedangels nutzt in Partnerschaft mit dem KI-Spezialisten Paretos die Nachfrage-Vorhersage ab der Kollektion 2024 über den Webshop hinaus nun auch im Fachhandel. Die KI trainiert die Bedarfsplanung und wählt automatisch das beste Modell für die Aufstockungsstrategie und Ziele aus. Grundlage hierfür sind tiefgehende Analysen des Marktumfeldes, die etwa Saisonalität, Farbnuancen oder Konfektionsgrößen berücksichtigen und die Nachfrage auf Artikelebene prognostizieren können. So lassen sich Produkte mit geringeren Absatzperspektiven frühzeitig identifizieren und deutlich präzisere Entscheidungen über die gefragten Produkte treffen.

Teure Stock-outs werden, laut Anbieter, durch die Paretos-KI-Technologie um bis zu 80 Prozent reduziert, die Prognosegenauigkeit lässt sich um 30 bis 80 Prozent verbessern. Auch laut Analysen von Axa Investment Management können Händler mittels ausgereifter KI-Tools zu große und teure Lagerbestände vermeiden und ihre Logistik optimieren. So hat die H&M Group mittels KI-gestützter Nachfrageprognosen Bestellirrtümer um 50 Prozent vermindert und zudem den Service beschleunigt. Dies gelang auch der Modekette Zara, die dank KI ihr Bestandsmanagement merklich optimieren konnte.

Der „Searchbuddy“ interpretiert die Suchanfragen der Kaufinteressent:innen im Mobileshop von Baur und übersetzt sie für Kund:innen in inspirative Produktempfehlungen

Der „Searchbuddy“ interpretiert die Suchanfragen der Kaufinteressent:innen im Mobileshop von Baur und übersetzt sie für Kund:innen in inspirative Produktempfehlungen
Foto: Otto Group

Algorithmen analysieren dort Verkaufsdaten und Kundenfeedback, um Trends vorherzusagen und die Lagerbestände entsprechend anzupassen. Das Ergebnis: Geringere Lagerkosten und eine sehr kurze Antwortzeit auf Modetrends, heißt es vonseiten der beteiligten Agentur für Marketing und Webdesign Berger + Team. Supply Chain-Experte Heiko Ziegeler rät Unternehmen, einfach mit dem Experimentieren anzufangen, um praktische Erfahrungen mit KI zu sammeln. Dies sei wichtig, um relevante, unternehmensspezifische Anwendungsfälle zu identifizieren und bewerten zu können.

Schlauer Suchhund

In den USA setzt der E-Commerce- Protagonist und -Vorreiter Amazon derweil für ausgewählte US-Kund:innen in seiner Shopping-App auf den KI- gestützten Einkaufsassistenten Rufus. Der schlaue „Suchhund“ generiert nützliche Antworten auf Kundenfragen wie: „Was ist beim Kauf von Laufschuhen zu beachten?“ oder „Was ist der Unterschied zwischen Lipgloss und Lippenöl?“ Rufus soll zu differenzierteren Einkaufsentscheidungen beitragen. „Die generative KI steckt jedoch immer noch in den Kinderschuhen und die Technologie wird es anfangs nicht genau hinbekommen“, muss Rajiv Mehta, Vizepräsident Search and Conversational Shopping bei Amazon, einräumen.

Anlässlich der K5 Future Retail Conference 2024 in Berlin erinnerte Dr. Philipp Hoberg, ITBerater bei Valantic daran: „KI ist gerade ein Mega-Hype. Jeder will etwas damit machen, aber nur wenige schaffen es, diese Technologie optimal in die Praxis umzusetzen.“ Er hebt hervor, dass die Qualität und der Zugang zu Daten entscheidende Faktoren sind, die viele Unternehmen noch bremsen. Der Onlinehandel steht erst an der Schwelle zur flächen- deckenden Einführung von KI, so die Ergebnisse des State of Commerce Reports des KI-Spezialisten Salesforce. In Deutschland nutzen danach aber schon 78 Prozent der E-Commerce- Unternehmen KI.

Diejenigen, die KI bereits vollständig implementiert haben, berichten von beachtlichen Vorteilen für interne Prozesse und Produktivität. So konnten sie dank der eingesetzten KI-Technologie pro Mitarbeiter:in durchschnittlich 6,4 Stunden Zeit pro Woche einsparen. „Die Integration von KI im E-Commerce steht immer noch am Anfang, und ich bin selbst gespannt, wie sich diese Technologie weiterentwickeln wird“, gibt Daliah Salzmann, Geschäftsführerin der Plattform führender Software-Unternehmen für Onlinehändler, Ecommerce One, offen zu..

„KI wird erfolgskritisch sein“

Fabian Rang, Co-Founder und CTO von Paretos, sieht sich als Enabler für den Zugang von Handelsunternehmen zu modernsten KI-Technologien.

Fabian Rang, Co-Founder & CTO Paretos

Herr Rang, wie lassen sich Verbrauchernachfragen mittels KI genauer vorhersagen und steuern?

Dies geschieht, indem historische Verkaufsdaten mit externen Einflussfaktoren kombiniert werden. KI analysiert dazu historische Verkaufsdaten, saisonale Trends wie Wetterbedingungen, Feiertage, Schulferien und andere Markttrends, um Muster und Zusammenhänge zu erkennen. Machine-Learning-Algorithmen analysieren diese Daten und erkennen Muster, die für genaue Vorhersagen genutzt werden können. Dadurch kann die KI das Nachfrageverhalten der Verbraucher sehr exakt vorhersagen. Dies ermöglicht es Unternehmen, etwa ihren Einkaufsbedarf sowie Lagerbestände effizient zu verwalten und ihre Verkaufsstrategien anzupassen, um den Kundennachfragen passgenau gerecht zu werden.

Wie können durch Nutzung von künstlicher Intelligenz im E- Commerce Mehrwerte geschaffen werden?

Das Geheimnis dazu ist stets, die richtigen Artikel zur richtigen Zeit am richtigen Ort verfügbar zu haben. Mithilfe unserer KI-gesteuerten Bestellempfehlungen plant das Modelabel Armedangels beispielsweise, das Überangebot um jährlich mehr als 40.000 Teile zu reduzieren – etwa durch den Rückgriff auf Datenquellen wie Saisonalität, Wetterdaten oder Influencer- Marketing. Die Otto Group nutzt diese KI, um Prognosen zu verbessern, Lagerbestände zu optimieren und die bedarfsorientierte Artikeldisposition effizienter zu gestalten. Durch die präzisen Vorhersagen konnte die Otto Group ihre Lagerhaltungskosten senken und gleichzeitig die Verfügbarkeit der Produkte für die Kundschaft erhöhen.

Kann der Einsatz von KI für Händler künftig zum wesentlichen Erfolgsfaktor werden?

KI wird für Händler in Zukunft nicht nur ein Erfolgsfaktor, sondern erfolgskritisch sein: Ein Planer, der keine KI einsetzt, verbringt heute oftmals einen Tag in der Woche alleine damit, Schätzungen für Bestellungen abzugeben. Mit der richtigen KI reduziert sich das auf einen Bruchteil der Zeit.