Key Facts
- Der Markt für Online-Lebensmittel wächst dynamisch mit jährlichen Steigerungsraten von rund 20 Prozent.
- Gemessen an Umsatz (1,1 Mrd. Euro in 2017) und Marktanteil (1,1 Prozent) führt E-Food noch ein Nischendasein.
- Führende Händler weiten vorsichtig ihre Vertriebsgebiete aus und bauen technisierte Vertriebsstrukturen auf.
- Click & Collect bzw. Click & Drive in sind im deutschen E-Food-Handel bislang kaum verbreitet.
- Händler und Logistiker arbeiten gemeinsam an Konzepten, um die Kosten für die „letzte Meile“ zu senken.
In bislang rund 200, künftig noch mehr Rewe-Märkten können Kunden ihre online bestellte Ware selbst abholen. Eigentlich der Idealfall für E-Food-Händler: Mit dem Click & Collect-Konzept lässt sich Geld verdienen, weil die hohen Aufwendungen für die letzte Meile wegfallen. Unter den 10 größten Online-Lebensmittelshops in Deutschland bietet neben Rewe auch Real die Selbstabholung an. Edeka mit Bringmeister. de und Bünting mit Mytime.de dagegen setzen auf reine Auslieferung. Für die weiteren Online-Shops unter den Top 10 stellt sich das Thema nicht, weil sie über keine stationären Geschäfte verfügen. Dies sind, nach EHI-Einschätzung in der Reihenfolge ihrer Umsatzgröße: Allyouneedfresh.de, AmazonFresh.de, Food.de, Getnow.de, Picnic.de und Frisches.de.
Aus dem Nonfood-Sektor sind die Kunden den Service bis zur Haustür gewohnt, möglichst ohne Liefergebühren. Händler müssen daher davon ausgehen, dass sich möglicherweise nur wenige Verbraucher dauerhaft als Selbstabholer betätigen werden – anders als zum Beispiel in Frankreich, wo der Lebensmittelhandel seine Kunden schon seit Jahren an Pick-up-Stationen herangeführt hat. Damit schließt sich die Kostenfalle: Die Aufwendungen für die Kommissionierung, für die Verpackung von Produkten unterschiedlicher Formate und Empfindlichkeiten, für den (gekühlten) Transport und für schnelle und zeitfenstergenaue Lieferung sind extrem hoch. „Heute gibt es weltweit niemanden, der mit Online-Lebensmitteln Geld verdient“, sagte Lionel Souque, Vorstandsvorsitzender der Rewe Group, der Lebensmittel-Zeitung.
Aktivitäten im Online-Markt
Dennoch investieren die Händler, um sich für die Zukunft in Position zu bringen. „Wir sind überzeugt, dass E-Food wachsen wird und wollen vorbereitet sein, wenn es zum Durchbruch kommt“, sagt Tegut-Geschäftsführer Thomas Gutberlet, der im Online-Geschäft mit Amazon Fresh kooperiert. Nach dem US-amerikanischen E-Commerce-Giganten stiegen im vergangenen Jahr 2018 u. a. der niederländische Anbieter Picnic und das Start-up My Enso in den deutschen Markt ein. Edeka-Bringmeister übernahm mit Freshfoods die Online-Sparte des bayrischen Supermarkt-Filialisten Feneberg. Der Anbieter Allyouneed Fresh, vorher DHL-Tochter, wurde vom international agierenden E-Commerce-Unternehmen Delticom aufgekauft. Außerdem wird an der Ausweitung der Vertriebsgebiete gearbeitet. Nach Start in Düsseldorf agiert Picnic inzwischen in Mönchengladbach und will in NRW weiter expandieren. Der Online-Supermarkt Getnow will nach Berlin und München auch in den Ballungsraum NRW vordringen.
Die Händler ziehen damit Wechsel auf einen Zukunftsmarkt: Der E-Food-Markt ist in Deutschland zwar von 2016 auf 2017 um 21,3 Prozent gewachsen und weist auch in 2018 eine ähnliche Steigerungsrate auf (3. Quartal 2018 zu 3. Quartal 2017: plus 21 Prozent), sein Gesamtvolumen von rund 1,1 Mrd. Euro in 2017 macht bislang aber lediglich gut ein Prozent des gesamten Food-Marktes aus. Marktforscher hatten deutlich mehr erwartet. 2014 zum Beispiel prognostizierte Ernst & Young für das Jahr 2020 einen E-Food-Marktanteil von 20 Prozent. Von einer solchen Quote sind aber selbst die europäischen Spitzenreiter noch weit entfernt.
Laut der Branchenstudie „Frische macht den Unterschied – kann der Handel liefern?” des EHI und der HSH Nordbank wurden 2016 in Frankreich rund 3,1 Prozent der Lebensmittel online vertrieben, in England waren es 5,8 Prozent. Die Zahlen variieren je nach Berechnungsansatz. Der internationale Marktforscher Kantar Worldpanel zum Beispiel legt das gesamte FMCG-Sortiment zugrunde und kommt damit auf Online-Marktanteile von 1,7 Prozent in Deutschland, von 5,6 Prozent in Frankreich und von 7,5 Prozent in Großbritannien.
Wir wollen vorbereitet sein, wenn es zum Durchbruch kommt.
Thomas GutberletHochtechnisierte Logistikzentren
Die führenden Händler in diesen Ländern sind dabei, hoch technisierte Strukturen aufzubauen. Zum Beispiel hat Ocado, Nummer vier im britischen Online-Geschäft nach Asda, Sainsbury und Tesco, vor kurzem ein neues Logistikzentrum nahe London errichtet. Dort sind hunderte Kommissionier-Roboter unterwegs, Förderbänder mit gut 30 km Länge sowie ein 4G-Kommunikationsnetz helfen bei der Zusammenstellung der Aufträge. „Mit deutlich über 10 Milliarden Euro Umsatz sind Online-Lebensmittel in England schon ein Massengeschäft, das professionelle Strukturen erfordert“, sagt Simone Sauerwein, Projektleiterin im EHI.
Aber auch in Deutschland werden Zeichen gesetzt. Markt-Primus Rewe hat im September 2018 ebenfalls ein Logistikzentrum eröffnet und dafür rund 80 Mio. Euro investiert. Ein Schwerpunkt liegt auf der Frische. Hier werden die Produkte mittels automatisierter Shuttle-Technologie aus mehreren Kühlzonen vollautomatisch zum Kommissionierer transportiert. „Wir zeigen mit unserem neuen Logistikzentrum, wie ernst es uns ist, den E-Commerce weiterzuentwickeln“, sagt Rewe-Chef Souque.
Die Kommissionierung kann durch künstliche Intelligenz also schon heute beschleunigt und rationalisiert werden. Im Gegensatz zum Transport, der gerade bei frischer und gekühlter Ware besonders aufwendig ist. Sparpotenziale bei Personal und Fahrzeugen sind weitgehend ausgereizt. Drohnen oder autonom fahrende Fahrzeuge sind derzeit noch „Zukunftsmusik“.
Im Fokus der Logistikunternehmen und der Händler, die die Auslieferung in Eigenregie betreiben, stehen aktuell zwei Ansätze: Erstens wird die Auslieferung zeitlich und qualitativ optimiert, um teure Reklamationen und Zweitzustellungen zu vermeiden. Zweitens geht es darum, durch intelligente Software die Warenströme auch auf der letzten Meile noch besser zu kombinieren und zu synchronisieren. Dies geht bis hin zur „antizipativen“ Logistik – ein Verfahren, das sich Amazon hat patentieren lassen. Dabei wird die Bestellhistorie eines Kunden analysiert, daraus sein künftiges Bestellverhalten abgeleitet und auf dieser Basis eine Auslieferung schon vorbereitet und eingeplant, bevor die Bestellung tatsächlich vorliegt.
Weitere Informationen: redaktion@ehi.org
E-Food in Deutschland
Von Abhol-Stationen für gekühlte Ware bis zur Optimierung von Verpackung und Logistik: Auf dem Markt für E-Food blühen kreative Ansätze. Schlaglichter darauf wirft ein vom EHI veranstalteter Workshop.
In Frankreich ist E-Food deutlich erfolgreicher als in Deutschland. Die Gründe liegen u.a. an den unterschiedlichen Marktstrukturen. 51 Prozent der deutschen Verbraucher erreichen innerhalb von maximal 3 Pkw-Minuten den nächsten Nahversorger, 82 Prozent innerhalb von maximal 7 Minuten. Deutschland verfügt über 457 Lebensmittelgeschäfte pro einer Million Einwohner – in Frankreich sind es lediglich 246 Geschäfte.
Simone Sauerwein, Projektleiterin im EHI, arbeitete in ihrem Vortrag auf dem EHI-Workshop weitere interessante Unterschiede zwischen den beiden Märkten heraus. Unter den Top-Ten-Unternehmen bietet in Deutschland rund die Hälfte eine kostenfreie Lieferung ab einem bestimmten Bestellwert, in Frankreich sind es 80 Prozent.
Im französischen Nachbarland ermöglichen 40 Prozent der Anbieter eine Abholung online bestellter Ware im Markt, in Deutschland sind es 20 Prozent. Spezielle Drive-in-Stationen gibt es hierzulande kaum, dagegen bei 70 Prozent der französischen Anbieter.
Click & Collect bzw. Click & Drive könnte auch in Deutschland funktionieren.
Simone SauerweinPotenzial für Optimierungen
E-Food ist ein vergleichsweise junger Geschäftsbereich, dem Kunden noch skeptisch gegenüberstehen und in dem Unternehmen noch viel über das Kundenverhalten lernen. Der Unternehmensberater Benjamin Brüser ist einer, der nach entsprechendem Optimierungspotenzial im Online-Geschäft fahndet. Brüser ist Gründer der von Metro gekauften, 2016 geschlossenen „Emmas Enkel“-Läden und inzwischen Inhaber der Firma „Br-ain” in Bottrop.
Brüser demonstrierte auf dem EHI-Workshop mögliche Problempunkte im Food-E-Commerce: Mängel bei Corporate Design und Wiedererkennungswert, beim Aufbau der Kategorien oder bei den Suchleistungen. „Händler setzen oft andere Gewichtungen als Kunden“, konstatiert der Online-Experte.
Verbesserungsmöglichkeiten sieht Udo Kießlich, CEO des Getränke-Online-Händlers Kollex und Moderator des EHI-Workshops, auch durch den Einsatz intelligenter Systeme für die gezielte Kundenansprache. „E-Food bietet sehr gute Möglichkeiten für Personalisierungsansätze, die sich positiv auf Bonhöhe und Wiederkaufquote auswirken“, so Kießlich. Ein Beispiel dafür sind auf Grundlage proprietärer Shop-Logik erstellte, personalisierte Artikelübersichten. Der niederländische und in NRW aktive E-Food-Anbieter Picnic etwa erstellt u. a. Listen mit Lieblingsprodukten des Kunden und informiert ihn, wann einer dieser Artikel gerade im Aktionsangebot ist. „Deutsche Online-Shops hinken in dieser Beziehung ein gutes Stück hinterher“, sagt Kießlich.
Händler setzen bei ihren Services oft andere Gewichtungen als ihre Kunden.
Benjamin BrüserDienstleister mit regionalen Konzepten
Laut Verbraucherzentrale Brandenburg gibt es in Deutschland knapp 1.000 E-Food-Shops. Die weitaus meisten davon offerieren Spezialsortimente bzw. sind auf regionalen Vertrieb ausgerichtet. Lediglich rund 1 Prozent der Shops bietet ein Vollsortiment. Die Marktführer nehmen in erster Linie Ballungsräume ins Visier, in ihrem Schatten entwickeln sich regionale, auf mittelständische Händler ausgerichtete Konzepte.
Die Lozuka GmbH zum Beispiel startete vor 2 Jahren in Siegen mit einer Web-Plattform, die sich als lokaler Marktplatz positioniert. Entsprechend bilden vor allem die gelisteten Produkte der ansässigen Händler den inhaltlichen Kern der Plattform. Über Betreibergesellschaften wird das Konzept ausgeweitet. „Wir zielen auf Mittelstädte, für die die Logistik-Konzepte der großen Online-Anbieter nicht geeignet sind“, sagt Lozuka-Geschäftsführer Thimo Eckel. Inzwischen gibt es 11 dieser Betreibergesellschaften in NRW sowie in Süddeutschland.
Ebenfalls auf regionale Mittelständler ausgerichtet ist ein Konzept des Start-ups Qool Collect. Der Münchener Logistik-Dienstleister will Netze von Abholstationen aufbauen. Die bislang 5 Filialen im Großraum München wirken modern und sind an strategisch günstigen Standorten platziert. Ein Mitarbeiter hinter dem Tresen ist für die Warenausgabe zuständig. Die rund 60 qm großen Shops sind werktags zwischen 7 und 23 Uhr geöffnet. „Wir verstehen uns als Citylogistik-Partner des Handels, bieten in diesem Zusammenhang aber auch Verpackungslösungen, unterstützen beim Marketing und wickeln für den Händler die Bezahlung ab“, erläutert Geschäftsführer Stefan Mueller. Im Fokus stehen in erster Linie kleinere lokale Unternehmen, die keine eigene Versandlogistik aufbauen können.
E-Food bietet sehr gute Möglichkeiten für Personalisierungsansätze.
Udo KießlichZentrale Abholstationen
Bislang arbeiten in München ein Edeka-Händler, mehrere Metzgereien und Feinkosthändler, ein Fischladen, eine Eis-Manufaktur, eine Weinboutique und andere Spezialitäten-Geschäfte und sogar eine Gärtnerei mit Qool Collect zusammen. Die Kunden sind im System über eine ID registriert. Online-Bestellungen werden von den Partnerunternehmen an die jeweils ausgewählte Shop-Station ausgeliefert. Qool Collect finanziert sich über einen Anteil der jeweils im Gesamtpreis der Partner enthaltenen Versandkosten. Das System ist auch offen für andere Versandhändler und Lieferdienste. In diesen Fällen bezahlen die Kunden eine Tages-Flat von 1,99 Euro an Qool Collect.
Perspektivisch sieht Mueller sein Konzept im Vorteil gegenüber Abholstationen etwa von DHL oder Amazon. „Firmenindividuelle Stationen werden in Zukunft vermutlich nicht mehr funktionieren, denn sie führen zu zeitintensiven und umständlichen Prozessen, da der Kunde in verschiedenen Shops bestellt und dafür verschiedene Abholstationen anfahren muss“, so Mueller.
Firmenindividuelle Abholstationen werden in Zukunft vermutlich nicht mehr funktionieren.
Stefan MuellerHohe Anforderungen
Wer als E-Food-Händler nicht auf Abholstationen setzt, sondern bis zur Haustür liefert, muss hohe Hürden nehmen. Lebensmittel und speziell Frischwaren müssen unbeschädigt bleiben, Kühlketten dürfen nicht unterbrochen und HACCP-Standards müssen eingehalten werden. Die Lieferungen müssen außerdem in einem vom Kunden gewünschten Zeitfenster erfolgen. Im Vergleich zu Nonfood-Ware erhöht sich der logistische Aufwand dadurch deutlich. „Die letzte Meile gibt es leider nicht kostenlos, schon gar nicht bei E-Food“, so Thomas Königs, Vertriebsleiter DHL Kurier & Food Delivery, auf dem EHI-Workshop.
Das Logistik-Unternehmen ist inzwischen in der Lage, deutschlandweit in 450 Städten und Gemeinden eine taggleiche Zustellung von Lebensmitteln innerhalb zweistündiger Zeitfenster zu garantieren – wobei die Kunden per SMS oder E-Mail mit einer Genauigkeit von bis zu 5 Minuten über die bevorstehende Belieferung informiert werden. Für den Transport hat DHL ein System spezieller (Mehrweg-)Transportboxen entwickelt, die der Empfindlichkeit der Ware und den Erfordernissen an Hygiene und Kühlung Rechnung tragen. Hinzu kommen weitere Services, etwa die persönliche Zustellung mit Alterssichtprüfung für Produkte mit Altersbeschränkung oder die Rücknahme von Pfandflaschen inklusive deren elektronischer Dokumentation.
Wer vom Klick bis zum Klingeln gute Erfahrungen gemacht hat, wird wieder bestellen.
Thomas KönigsAll dies erhöht Aufwand und Kosten, aber: Investitionen in eine optimale letzte Meile zahlen sich aus Sicht von DHL-Vertriebsleiter Königs aus. Und dies nicht nur durch die Minimierung von Folgekosten, die durch Reklamationen, Warenretouren und Wiederversand entstehen, sondern vor allem langfristig durch den Aufbau von Vertrauen bei den Kunden. Königs: „Wer vom Klick bis zum Klingeln gute Erfahrungen gemacht hat, wird wieder bestellen, wird öfter bestellen, wird größere Warenkörbe bestellen.“
Verpackungsprozess unter der Lupe
Die Frische-Logistik stellt auch besondere Anforderungen an die Verpackung der Ware. „Es lohnt sich, die Verpackung und den Verpackungsprozess einmal genauer unter die Lupe zu nehmen“, sagt Robin de Jong, Regional Director bei der Mondi Group, einem führenden Papier- und Verpackungshersteller. Dabei geht es zum einen um den Produktschutz. Nach einer Studie von TNS Research haben 63 Prozent der Konsumenten schon einmal Lieferungen in beschädigten Verpackungen erhalten. In 20 Prozent der Fälle waren auch die Produkte beschädigt – im Food-Handel zum Beispiel zerquetschte Bananen oder ausgelaufener Joghurt. Geeignete Verpackungen können daraus resultierende Reklamationskosten und Imageschäden minimieren, beispielsweise durch die Optimierung der Verpackungsstärke, durch Trenneinlagen oder durch Feuchtigkeits- und Sickersperren.
Es lohnt sich, Verpackung und Verpackungsprozess unter die Lupe zu nehmen.
Robin de JongEinen weiteren Ansatz bietet der Verpackungsprozess. Er kann beschleunigt und rationalisiert werden, wenn sich Kartonagen schnell aufrichten und verschließen lassen, wenn größere Bestellungen über Trennbereiche in möglichst wenige Einzelbehältnisse verstaut werden können und wenn Karton-Layouts an den Packplatz angepasst sind. „Solche Maßnahmen können die Betriebsleistung um bis zu 40 Prozent steigern“, so die Aussage von Robin de Jong auf dem EHI-Workshop. Eine bessere Auslastung der Frachträume in den Lieferfahrzeugen kann durch Größenoptimierung der Verpackung und die Vermeidung von zu viel Luft im Karton erreicht werden.