Mit dem wachsenden E-Commerce steigt auch die Zahl der Retouren, wie aus Zahlen des Bundesverbands Paket und Expresslogistik (BIEK) hervorgeht. Rücksendungen im Fashion-Handel entstehen zum Beispiel dann, wenn Kund:innen die falsche Größe bestellt haben oder ein Produkt anders aussieht als im Shop dargestellt. Zalando investiert kontinuierlich in Größenberatung und -empfehlungen, um auf diese Weise vermeidbare Retouren zu reduzieren und auch positive Effekte im Bereich Nachhaltigkeit zu erzielen, heißt es seitens des Unternehmens.
Der Fashion-Händler widmet sich dem Thema Fitting mit einer eigenen Abteilung. Stacia Carr leitet das Sizing-Team, ein interdisziplinäres Team aus Software-Ingenieuren, Datenwissenschaftlern, Business Developern und Fitting Models, das sich mit Produktgrößen und der richtigen Passform am Körper der Kundschaft befasst. 2015 führte der Multichannel-Händler Größenempfehlungen für Schuhe auf Basis von Machine Learning ein. Die Empfehlungen basieren auf Kundendaten, die zusammen mit dem Feedback von Fitting Models analysiert und erstellt wurden. Seit 2017 widmet sich Zalando den Größenempfehlungen zu Mode, darunter Frauenkleider. Diese gehören zu den meistverkauften Produkten von Zalando, werden aber häufig zurückgeschickt. „Die Komplexität eines textilen Bekleidungsstücks übersteigt bei Weitem die eines Schuhs. Wir müssen Brust- und Hüftumfang, Länge und Ärmel berücksichtigen“, erklärt Stacia Carr, Head of Engineering & Sizing bei Zalando.
Derzeit arbeitet der Fashion-Händler an detaillierten Produktbeschreibungen und testet Ansätze wie Produktvideos, Teilkörperansichten, 360°-Ansichten und Größenempfehlungen. Anhand von Daten aus früheren Einkäufen oder solchen, die mithilfe sogenannter Fitting Models erhoben werden, wird den Kund:innen im Bestellprozess die für sie passende Größe des Artikels vorgeschlagen.
3D-Bodyscanning im Test
Carr und ihr Team haben drei verschiedene Möglichkeiten zur Generierung von Körpermaßen getestet: Gesichtserkennung ohne 3D-Komponenten (2-D-Bilder), zweidimensionale Bildverarbeitung, also eine Computervision von Ganzkörperbildern, und ein großes 3D-Scangerät. Dazu Carr: „Wir kratzen noch an der Oberfläche. Wir haben viel Zeit mit 3D-Technologien verbracht und wie diese tatsächlich dabei helfen können, unser Angebot für den Kunden zu verbessern.“ In naher Zukunft geht das Unternehmen einen Schritt weiter: Ende 2020 übernahm Zalando das Züricher Start-up Fision, das mit Meepl eine virtuelle Körperscan- und Anproberaum-Anwendung entwickelt hat. Zalando plant, an dem Standort einen Tech-Hub aufzubauen und ihn nach und nach auf eine Größe von 150 Arbeitsplätzen zu erweitern.
In der bisherigen Anwendung des Start-ups „Meepl Body Scan App“ können Nutzer:innen ein 3D-Körpermodell erstellen. Dazu braucht die App Angaben zu Körpergröße und Geschlecht sowie ein Foto der Person von vorne und eines von der Seite. Die App berechnet im Anschluss ein 3D-Modell, auf dem im Onlineshop 3D-Kleidermodelle simuliert werden können.
Auch H&M testet 3D-Bodyscanning. Anfang 2021 kündigte H&M Beyond an, das Innovationslab des schwedischen Fashion-Filialisten, gemeinsam mit Nexr Technologies eine Virtual-Fitting-Lösung zu entwickeln, mit der sich Kundinnen und Kunden scannen lassen und im Anschluss Kleidung an ihrem eigenen digitalen Avatar anprobieren können. Die Technologie basiert auf dem von Nexr Technologies entwickelten 3D-Fotogrammetrie-Scanner, der in Zusammenarbeit mit H&M weiterentwickelt wurde. Ein Prototyp ist im Sommer 2021 geplant, mit dem sich Kund:innen in ausgewählten Stores scannen lassen und im Anschluss ein 3D-Abbild ihres Körpers erhalten können. Aus diesem erstellt H&M einen persönlichen, fotorealistischen Avatar, den die Nutzerinnen und Nutzer auf ihr Smartphone übertragen und in einer App mit Kleidungsstücken von H&M einkleiden können.
In der digitalen Umkleidekabine sieht H&M Beyond-Chef Oliver Lange eine Möglichkeit, Kunden virtuell eine passgenaue Kleideranprobe zu ermöglichen. Gleichzeitig will das Innovationslab Informationen dazu sammeln, welchen Einfluss Scanning-Lösungen auf das Retourenverhalten der Kundschaft haben.
Wir kratzen noch an der Oberfläche.
Stacia Carr„Bods” für Luxusmode
Khaite hingegen erschafft digitale Avatare, die auch ohne einen Körperscan ein digitales Abbild der einzelnen Kunden ermöglichen sollen. Seit Juni 2021 testet das Luxus-Modelabel ein Fittingtool mit virtuellen Avataren, sogenannten Bods des gleichnamigen Technologieunternehmens. Das Tool auf der Webseite erstellt anhand von Fotos und Maßen ein 3D-Abbild des Kunden. Im Anschluss können Nutzer:innen den Hautton, die Proportionen und die Positionierung einzelner Körperteile anpassen.
Das Besondere: Die Technologie berücksichtigt auch das Material, aus dem das Kleidungsstück besteht und greift dabei auf Technologien zurück, die bisher für Filme und Computerspiele zum Einsatz kamen: „Die Darstellung von Kaschmir und anderen Materialien basiert auf 3D-Technologie, die Haare und Fell auf animierten Charakteren realistisch wiedergibt“, sagt Christina Marzano, Co-Founder und CEO bei Bods. Ihren eigenen Bod können Kunden in ihrem Nutzerprofil bei Khaite speichern. Aktuell steht eine Auswahl von 18 Kleidungsstücken, Schuhen und Accessoires in der virtuellen Umkleidekabine zur Verfügung.
Forschungsprojekt: Passformsimulation anhand von Körpermaßen
Zwei Jahre forschten die Software-Entwickler Avalution und Assyst gemeinsam mit den Deutschen Instituten für Textil- und Faserforschung Denkendorf (DITF) im Projekt „ECOmmerce“, das von der Deutschen Bundesstiftung Umwelt gefördert wurde. Die Fragestellungen: Wie kann ein Kunde zuhause am Bildschirm erkennen, ob ihm ein Kleidungsstück gefällt und passt, bevor er es physisch anprobiert hat, und wie sensibilisiert man ihn schon während des Bestellprozesses für die Auswirkungen, die sein Online-Einkaufsverhalten auf die Umwelt hat?
Avalution verfügt über eine Körpermaß-Datenbank mit Bodyscans und kann auf Basis von persönlichen Angaben einen individualisierbaren Avatar erstellen, der auf statistisch genauen Werten beruht. Das Schwesterunternehmen Assyst bietet die 3D-Simulation von Bekleidung. Die gemeinsam entwickelte technische Lösung ermöglicht es, Kleidung virtuell anzuprobieren. Entstanden ist eine Plattform mit echten Daten eines großen Modeunternehmens, in dem die Technologien zusammengeführt wurden. Mithilfe der Passformvisualisierung, ökologischen Transparenz- und Nachhaltigkeitsbewertung soll der „eCommerce-Demonstrator“ einen neuen Ansatz zur Reduktion von Retouren aufzeigen.