Sind die Träger des Tops zu kurz oder spannt der Stoff an der Brust? Um herauszufinden, ob ein neues Kleidungsstück sitzt, musste sich Solveigh Keikavoussi bis vor Kurzem noch an die Nähmaschine setzen, um Muster für die Anprobe an der Schneiderpuppe zu nähen. Heute testet sie neue Styles immer öfter virtuell am Avatar. Seit 2021 arbeitet die Schnittmacherin als Spezialistin für digitale Produktentwicklung bei Bonprix in Hamburg. Rund 30.000 Artikel umfasst das Sortiment, etwa zehn Prozent davon wurden bereits digital entwickelt.

Der Abschied von der Nähmaschine bringt der Otto-Tochter wirtschaftliche Vorteile: „Die digitale Produktentwicklung halbiert unsere Time-to-Market, garantiert eine gleichbleibend hohe Qualität und schont Ressourcen“, sagt Simone Klump, Leiterin der Qualitätsentwicklung bei Bonprix. Im Gegensatz zum analogen Prozess müssen keine physischen Muster mehr rund um die Welt zu den Lieferanten geflogen werden. Das verbessert nicht nur die CO2-Bilanz, sondern macht die Fashion-Produktion auch deutlich schneller und flexibler.

Mit der Digitalisierung holt sich das Unternehmen die Kernkompetenz der Schnitterstellung zurück. Wurden die Schnitte bisher anhand von Maßtabellen und technischen Zeichnungen bei den Produzent:innen erstellt, nutzen die Technical Product Developer heute eine CAD-Software. Die so erstellten digitalen 2-D-Schnitte werden anschließend in der 3-D-Simulation zum virtuellen Kleidungsstück vernäht und anschließend am Avatar angepasst.

Virtuell im Vorteil

Für das digitale Fitting bietet die Software verschiedene Tools. Anhand einer Farbskala zeigt beispielsweise die Pressure-Map, wie stark das Kleidungsstück wo auf der virtuellen „Schneiderpuppe“ aufliegt. Die Tension- Map verdeutlicht, ob und wo der Stoff zu stark gedehnt wird. Neben den Körpermaßen müssen dazu in der 3-D-Software sämtliche Materialparameter hinterlegt werden, wie Gewicht, Dehnbarkeit oder Rücksprungkraft der verwendeten Stoffe.

Bis auf Ausnahmen wie Wäsche oder Bademode will Bonprix den Produktentwicklungsprozess bis 2025 vollständig digitalisieren. Aus Sicht des Unternehmens ein entscheidender Schritt zu mehr Passformkonsistenz. Neben dem Faktor Inhouse-Anpassung können die digitalen Schnitte und Produktionsvorgaben bei Bedarf jederzeit an neue Lieferanten übergeben werden. Last but not least ist Bonprix in der Lage, schneller zu reagieren und Schnitte anzupassen, wenn bestellte Teile wegen Passformproblemen oft retourniert oder schlecht rezensiert werden.

Während andere Marken, darunter Wettbewerber Zalando, 3-D-Technologie und Avatare bisher eher in der Online-Größenberatung nutzen, liegt der Schwerpunkt bei Bonprix auf dem Fitting. „Wir wollen alle Vorteile der digitalen Produktentwicklung nutzen“, sagt Simone Klump. Es sei geplant, den Content auch für Onlineshops oder Social Media einzusetzen.