„Wir haben in Deutschland kaum Manage nicht nur mit Online- und Offline-Kompetenz, sondern obendrein mit integrierter Mehrkanal-Kompetenz“, so Lutz Spannuth von Spannuth direct, eine auf den Bereich Channel-Integration spezialisierte Unternehmensberatung in Hamburg. Der Bedarf hingegen wächst dynamisch, weil entsprechende Projekte gerade im Handel hohe Priorität haben. Personalberatungen berichten, dass Legionen von Headhuntern den Markt abgrasen, um kompetente Leute aus ihren jetzigen Jobs loszueisen. „Cross-Channel-Manager mit nachgewiesener Expertise werden momentan mit der Sänfte zu einem neuen Arbeitsplatz getragen“, sagt ein Personalberater.
Ähnlich sieht der Markt auch für Online- und IT-Experten aus, die hervorragend ausgebildet sind und/oder ihre Kompetenzen in der Praxis nachgewiesen haben. Nach einer repräsentativen Befragung des Marktforschungsinstituts Aris unter Geschäftsführern und Personalleitern können in Deutschland allein in der IT-Branche rund 16.000 Stellen nicht besetzt werden. Erschwerend für die Handelsbranche kommt hinzu, dass sie gerade unter jungen Fachkräften und Hochschulabsolventen kaum als relevanter Arbeitgeber für digitale Tätigkeiten wahrgenommen wird.
Recruiting auf neuen Wegen
Beim Recruiting sind die Handelsunternehmen daher gezwungen, ihre Anstrengungen zu justieren und zu intensivieren. Media-Saturn zum Beispiel präsentierte sich ebenso wie der Drogerie-Filialist Rossmann auf der Recruiting-Börse „Job and Career“ der diesjährigen Messe Cebit. Die Otto Group beteiligt sich am Event „Code Cruise“, das einige große Hamburger Unternehmen in Kooperation veranstalten. Sie sammeln Studenten IT-naher Fächer und fahren sie mit Bussen zu den jeweiligen Betrieben, um sie dort mit Praktika- und Jobangeboten, Arbeitsbedingungen und Anforderungen vertraut zu machen. „Wir gehen aktiv in die Bewerbermärkte hinein, gehen auf die relevanten Zielgruppen zu und machen dort auf unsere Stärken als Arbeitgeber aufmerksam“, berichtet Julia Rohleder, Abteilungsleiterin Recruitment bei der Otto Group (siehe Interview).
Konservative Leistungskultur
In diesem Zusammenhang stellt sich für viele Offline-Händler die Gretchenfrage: Digital-High-Potentials und unsere traditionelle Unternehmenskultur – passt das wirklich zusammen? „Die größte Bedrohung für Cross-Channel-Projekte ist nicht die Technologie oder der Umbau des Geschäftsmodells, sondern die konservative Führungs- und Leistungskultur in der analogen Handelswelt“, sagt Torsten Alfes. Alfes ist auf den Handel spezialisierter Personalberater bei der international tätigen Beratungsgesellschaft Rochus Mummert und sucht seit über 10 Jahren im Auftrag stationärer und digitaler Handelsunternehmen nach Führungspersönlichkeiten und begleitet die Veränderungsprozesse in den Unternehmen. Ein Beispiel sind die Arbeitszeit-Regelungen. Die heutigen Top-Entscheider, so Alfes, sind in den hierarchischen Führungsmodellen der analogen Anwesenheitskultur groß geworden – mit dem Selbstverständnis, alles der Karriere unterzuordnen. Home-Office, Teilzeit, Sabbaticals und Erziehungsurlaub gelten für diese Führungskräfte als Leistungsverweigerung. Für die neue Generation der High-Potentials allerdings ist diese konservative Mentalität ein K.-o.-Kriterium bei ihrer Arbeitsplatz-Wahl.
Ängste bei den Mitarbeitern abbauen
Die Migration zum Cross-Channel-Händler also zwingt traditionelle Offline-Unternehmen zum kulturellen Wandel – beginnend in den Führungsetagen und durchgreifend bis zum Azubi in der kleinsten Filiale. Alle Abteilungen, vom Einkauf über Marketing, Logistik bis zur IT, müssen ihr bisheriges, auf stationäres Handeln ausgerichtetes Verständnis ihrer Tätigkeiten anpassen.
Gerade den Kundenberatern und Verkäufern vor Ort kommt bei der Verzahnung von Online- und Offline-Geschäft eine Schlüsselrolle zu. „Vielfach müssen Ängste abgebaut werden, es muss für ein neues Jobverständnis geworben werden“, so Matthias Schack von T-Systems. Denn viele Mitarbeiter in den Filialen befürchten, dass das Online-Angebot ihren Job auf der Fläche zusätzlich erschwert. Das geht bis hin zu Arbeitsplatzverlust-Ängsten.
Zum Change Management eines Crosschannel-Migranten gehört also psychologische Basisarbeit – durch Transparenz, Information, Aufklärung über die Absichten des Unternehmens, durch klare Botschaften zum Sinn und Erfolgspotenzial seiner Strategie. Und zum zweiten die Schulung für neue Aufgaben: Die Mitarbeiter müssen in der Lage sein, Tablets und andere mobile Devices zu bedienen. Sie müssen die Online-Angebote kennen und in das Verkaufsgespräch einbeziehen. Sie müssen die Wünsche und Bedürfnisse der neuen Cross-Channel-Kunden begreifen. Dabei kommt es bei den über Online-Kanäle vorinformierten Kunden künftig weniger auf die Waren-Kompetenz, sondern auf die sozial-kommunikativen Fähigkeiten an.
„Die Mitarbeiter schulen, schulen, schulen.“
Jens Diekmann„Schulen, schulen, schulen“, empfiehlt Jens Diekmann, Leiter Cross-Channel & Business Development bei der Parfümerie Douglas. Das Unternehmen hat ein breit angelegtes Informations- und Trainingskonzept aufgelegt, um alle Mitarbeiter „mitzunehmen“ bei der Migration zum integrierten Multichannel-Händler. Andere Händler fahren ähnliche Programme. Bei P&C und Karstadt zum Beispiel wurden sogenannte Omnichannel-Retail-, kurz OCR-Botschafter benannt, die den Informationsfluss aufrechterhalten und als Ansprechpartner für die Mitarbeiter vor Ort fungieren.
Drehen müssen die Handelsunternehmen auch an ihren Incentive-Systemen. „Kanalbezogene Provisionsregelungen sind kontraproduktiv für die erfolgreiche Umsetzung einer Cross-Channel Strategie“, sagt T-Systems-Experte Matthias Schack. Das heißt unter anderem: Ein Verkäufer muss bei ausverkauften Artikeln im Store direkt in den Onlineshop wechseln (am besten mit einem Tablet in der Hand) und die Ware für den Kunden direkt bestellen – was er nur tun wird, wenn er wie für den normalen Store-Verkauf incentiviert wird. Matthias Schack: „Provisionsregelungen müssen so ausgestaltet sein, dass Silo-Denke aufgelöst und durchgängig kanalübergreifend agiert wird.“
Fotos: Intersport (1), Jens Diekmann (1)
Guter Generationen-Mix
Julia Rohleder, Abteilungsleiterin Recruitment bei der Otto Group, über die Suche nach Professionals für Cross-Channel-Projekte.
Wie schwer ist es für Händler momentan, Experten für Multichannel-Projekte zu gewinnen?
Der Bedarf an Professionals und Nachwuchskräften in den Bereichen IT, E-Commerce und BI ist groß. Das Angebot ist nicht so hoch, wie wir es bräuchten. Daher gehen wir aktiv in die Bewerbermärkte hinein, gehen auf die relevanten Zielgruppen zu und machen dort auf unsere Stärken als Arbeitgeber aufmerksam. Dabei können wir mit unseren Projekten, zum Beispiel otto.de, und unseren Arbeitsmethoden wie einem agilen
Projektmanagement bei Bewerbern punkten.
„Generation Online“ und traditionelle Unternehmenskulturen: Passt das zusammen?
Sehr gut sogar. Da jede Generation ihre Stärken und ihre Schwächen hat, ist ein guter Generationen-Mix aus unserer Sicht nicht nur wirtschaftlich überlebenswichtig, sondern auch eine Bereicherung für unsere Unternehmenskultur. Die Generation Y fordert eine hohe Flexibilität von ihren Arbeitgebern, sowohl was die Arbeitszeiten als auch die Methoden angeht. Erfahrene Kollegen haben die schon viel im Geschäftsmodell-Wandel erlebt und können das auch an jüngere Talente weitergeben.
Wie sieht das Qualifikationsprofil für Multichannel-Experten aus?
Sie müssen ein hohes Technologieverständnis über End-to-End-Prozesse und Schnittstellen hinweg haben. Wir wollen Menschen, die veränderungsbereit sind, übergreifend denken, keine „Silos“ vertiefen, sondern die Interaktivität zwischen den (Absatz-)Kanälen kennen und fördern.
Die Otto Group geht beim Recruiting eigene Wege. Könnten Sie dazu ein Beispiel geben?
Wir haben zum einen die Social-Media-Kanäle in den Fokus des Job-Portals gerückt und sind zum anderen dem Bedürfnis der Bewerber nach mehr Transparenz im Bewerbungsprozess nachgekommen. Das Ergebnis: Die Social-Media-News von „Otto Group Karriere“ von Facebook und Twitter stehen heute im Mittelpunkt der Startseite auf ottogroup.com/karriere. Auch den E-Recruiting-Prozess haben wir optimiert: Den aktuellen Stand der Bewerbung kann der Kandidat nun jederzeit online nachverfolgen. Außerdem haben wir die Kontaktdaten des Recruiters mit E-Mail-Adresse und Sprechzeiten sowie einen Direktkontakt in unser Karriereportal integriert.