Der Anteil der Verluste durch Diebstähle seitens der Kunden, Mitarbeiter, Lieferanten und Servicekräfte hat sich damit auf insgesamt 3,4 Mrd. Euro erhöht. Der daraus resultierende volkswirtschaftliche Schaden durch Mehrwertsteuerausfälle beläuft sich auf rund 460 Mio. Euro im Jahr.
Der überwiegenden betrieblichen Praxis folgend wurden die Erhebungen zu Nettoeinkaufspreisen in Relation zum Nettoumsatz (= Bruttoumsatz ohne Mehrwertsteuer) erfasst. Nach wie vor schmälert eine durchschnittliche Inventurdifferenz von 0,61 Prozent die Renditen im Einzelhandel. Bewertet zu Verkaufspreisen in Relation zum Bruttoumsatz entspricht dies in branchengewichteter Hochrechnung einem Wert von durchschnittlich exakt 1,0 Prozent des Umsatzes.
Es gab leicht unterschiedliche Entwicklungen in einzelnen Branchen, gravierende Veränderungen sind per Saldo jedoch nicht eingetreten. Als Orientierung können die folgenden Mittelwerte angegeben werden, obwohl ein direkter Vergleich von Inventurdifferenzen verschiedener Unternehmen nur bedingt möglich und sinnvoll ist. In allen Betriebsformen unterliegen die prozentualen Angaben vom Nettoumsatz großen Bandbreiten.
Im Lebensmittelhandel liegen die durchschnittlichen Inventurdifferenzen bei 0,60 Prozent. Während bei Supermärkten bis 2.500 qm überwiegend eine Verbesserung eingetreten ist, haben SB-Warenhäuser, große Supermärkte bis 5.000 qm und Getränkefachmärkte etwas höhere durchschnittliche Inventurverluste festgestellt.
Drogeriemärkte mussten mit durchschnittlich 0,79 Prozent mehrheitlich eine leichte Verschlechterung gegenüber ihrem Vorjahresniveau hinnehmen. Die beteiligten Baumarktunternehmen weisen Inventurdifferenzen von durchschnittlich 0,61 Prozent aus. Im gesamten Bekleidungshandel haben sich die durchschnittlichen Inventurdifferenzen mit 0,51 Prozent geringfügig verbessert gegenüber dem Vorjahr. Während Bekleidungsfachgeschäfte (0,56 Prozent), Textilfachmärkte (0,40 Prozent) und Schuhfachgeschäfte (0,43 Prozent) ihre Ergebnisse leicht verbessern konnten, haben die Textilkaufhäuser einschließlich der Warenhausbetreiber (0,50 Prozent) ihr Resultat nur stabilisieren können. Die durchschnittlichen Inventurdifferenzen der beteiligten Möbelhäuser unterschiedlichster Sortimentsausrichtung sind mit 0,26 Prozent vom Nettoumsatz unverändert geblieben.
Branchen-Unterschiede
2015 sind die angezeigten Ladendiebstähle laut Polizeilicher Kriminalstatistik seit Jahren erstmals wieder deutlich um 7,1 Prozent angestiegen auf insgesamt 391.401 Fälle (Vorjahr 365.373). Während die Zahl der einfachen Ladendiebstähle seit 1997 kontinuierlich gesunken ist und erst seit 2013 wieder ansteigt, haben schwere Ladendiebstähle stark zugenommen. Durch die hohe Dunkelziffer von über 98 Prozent besitzt die Statistik nur eine eingeschränkte Aussagefähigkeit. Aus dem durchschnittlichen Schaden der angezeigten Diebstähle und dem tatsächlichen Schaden im Handel ergibt sich, dass jährlich rechnerisch mehr als 26 Mio. Ladendiebstähle mit einem Warenwert von je rund 86 Euro unentdeckt bleiben!
Besonders erschreckend ist dabei, dass der sogenannte schwere Diebstahl in den letzten acht Jahren um fast 270 Prozent angestiegen ist. Bei schwerem Diebstahl handelt es sich grundsätzlich um Taten mit höherer krimineller Energie, weil zum Beispiel Warensicherungen überwunden werden. Hinzu kommt eine deutlich spürbare Zunahme von organisierter Bandenkriminalität, die zwar häufig kurz nach der Tat erkannt, aber in den seltensten Fällen als solche angezeigt werden kann.
Organisierter Diebstahl
Die Erfahrungen der Händler zeigen, dass Diebstähle immer häufiger in organisierter Form durchgeführt werden. Die Täter gehen oft in Gruppen mit gezielter Aufgabenverteilung vor. Organisierten Ladendiebstahl zu erkennen, zu dokumentieren und Täter in Gruppen zu überführen, ist für den Handel äußerst schwierig. Das Bundeskriminalamt schätzt, dass allein durch straff organisierte kaukasische Tätergruppen jährlich Waren im Wert von über 450 Mio. Euro im deutschen Einzelhandel gestohlen werden. Zusammengerechnet mit anderen Diebesbanden, beispielweise aus dem Balkanbereich, aus anderen europäischen Nachbarländern sowie in jüngster Zeit aus dem nordafrikanischen Raum entfällt nach EHI-Schätzungen wertmäßig rund ein Viertel aller Ladendiebstähle auf organisierte Kriminalität.
Der Anstieg der Inventurdifferenzen durch Diebstahl um rund 100 Mio. Euro im letzten Jahr ist offensichtlich zu einem „Löwenanteil“ dem gewerbsmäßig organisierten Diebstahl zuzuordnen. Zwar verspüren die Händler auch eine zunehmende Beteiligung von Migranten und Flüchtlingen, was aber zunächst bei einem Zuzug von rund 1,3 Mio. Menschen nicht außergewöhnlich ist. Insgesamt scheinen Flüchtlinge – abgesehen von einigen standortspezifischen Problembereichen – jedoch keinen allzu großen Einfluss auf die vermehrten Ladendiebstähle zu haben. In viel größerem Maße ist es die organisierte Kriminalität, die bereits in den letzten Jahren auch ohne Flüchtlingsthematik stark zugenommen hat. Die offenen Grenzen für Flüchtlinge haben offensichtlich auch viele Diebesbanden ausgenutzt, nicht nur für Ladendiebstähle, sondern auch für andere Straftaten wie etwa Einbruchdiebstahl.
Im Durchschnitt aller Branchen gibt der Handel nach wie vor etwas mehr als 0,3 Prozent vom Umsatz für Sicherheitsmaßnahmen aus. Die Ausweitung der Kameraüberwachung liegt auch aktuell weiter im Trend. Die ständige Schulung und Sensibilisierung des Personals gelten weiterhin als wichtige Präventionsmaßnahmen. Warenwirtschaftliche Datenanalysen und Bondatenanalysen zur Erkennung von diebstahlgefährdeten Artikeln und internen Schwachstellen sind in den meisten Unternehmen schon ausgereift und etabliert. Testkäufe finden derzeit wieder großen Zuspruch, in der Regel verbunden mit anschließenden Mitarbeiterschulungen. Insgesamt gibt der Einzelhandel jährlich 1,3 Mrd. Euro zur Reduzierung von Inventurdifferenzen aus. Die Gesamtaufwendungen für Inventurdifferenzen und deren Vermeidung betragen jährlich rund 5,3 Mrd. Euro.
Das in der Selbsteinschätzung der Handelsunternehmen „akzeptable“ Niveau der Inventurdifferenzen stellt keinen Anlass dar, Investitionen und Aufwendungen für Präventions-, Kontroll- und Sicherheitsmaßnahmen zu vernachlässigen. Fast 80 Prozent der Unternehmen halten 2016 ihr Budget für Präventions- und Sicherungsmaßnahmen konstant. Das Bedrohungspotenzial durch Kundendiebstahl und Mitarbeiterdelikte ist unverändert hoch und wird von den Unternehmen ernst genommen – wie auch die Einschätzungen der Handelsunternehmen zur Kriminalitätsentwicklung im Handel belegen.
Bandendiebstahl
Die größten Herausforderungen in Bezug auf Inventurdifferenzen werden derzeit in der Bedrohung durch Bandendiebstahl und gewerbsmäßig organisierten Ladendiebstahl gesehen. Nimmt man den „gewöhnlichen“ Kundendiebstahl, die Beschaffungskriminalität und die Gewaltbereitschaft potenzieller Diebe hinzu, so entfallen auf diese Deliktbereiche insgesamt 45 Prozent aller Angaben. Die Händler sehen die Verbesserung der Mitarbeiterqualität, Mitarbeiterschulungen und die Personalpräsenz auf der Verkaufsfläche als große Herausforderung an.
Der Handel hat seine Hausaufgaben gemacht. Er investiert Milliardenbeträge in Prävention wie Sicherheitspersonal, Warensicherung, Videoüberwachung und Schulung des eigenen Personals – alles Maßnahmen, die durchaus abschreckende Wirkung haben. In vielen Fällen kann gut geschultes Personal durch bloße Aufmerksamkeit und gezielte Kundenansprache die Zahl der Diebstähle, zumindest die von Gelegenheitstätern, deutlich reduzieren. Dennoch lassen sich nicht alle Ladendiebe von solchen Maßnahmen zurückhalten, wie die Zahlen eindeutig belegen.
Konterkariert werden diese Maßnahmen auch von Vorschlägen zur Herabstufung des Ladendiebstahls als Ordnungswidrigkeit. Wenn die Abschreckung gesetzlicher Art weiter minimiert und Ladendiebstahl zur Bagatelle würde, könnte sich der Diebstahl für die Täter erst richtig lohnen. Zwar sieht das deutsche Strafrecht erhebliche Strafen für Diebstahl vor, doch nach wie vor fallen die Strafen in der Praxis äußerst milde aus, wenn es überhaupt zu einer Verurteilung kommt. Schon jetzt wirkt es so, als ob ausländische Diebesbanden die geringen Sanktionen als Einladung betrachten, ihr „Geschäftsfeld“ aufgrund des geringen Risikos in Deutschland weiter auszubauen.
An der aktuellen Untersuchung beteiligten sich 118 Unternehmen mit insgesamt 20.097 Verkaufsstellen, die einen Gesamtumsatz von rund 72,8 Mrd. Euro erwirtschaftet haben. Die durchschnittliche Verkaufsfläche der beteiligten Geschäfte beträgt 1.150 qm.
Foto: iStock/Tom Hahn
Abbildungen (3): Polizeiliche Kriminalstatistiken, Kennziffer 426* – schwerer Ladendiebstahl (1), EHI (2)
Weitere Informationen: www.ehi.org/de/studien/inventurdifferenzen-2016
EHI-Studie: Inventurdifferenzen 2016
Daten, Hintergründe und detaillierte Auswertungen
ISBN 978-3-87257-465-7
Preis: 465,00 €
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