Die Verordnungen der EU-Kommission für den Zahlungsverkehr in Europa stellen den Einzelhandel immer wieder vor neue Herausforderungen. Nachdem die sogenannte Interbankenentgeltverordnung (IF-VO) mit der Deckelung der Kartengebühren seit Dezember 2015 in Kraft ist und bereits Wirkung zeigt (u.a. in einer erhöhten Akzeptanz von Kreditkarten), beschäftigt nun ein weiteres Detail der Verordnung den Handel und dessen Interessenverbände. Ab dem 9. Juni 2016 sollen die Verbraucher das Recht haben, selbst zu entscheiden, welches Zahlverfahren auf ihrer Girocard sie am Checkout nutzen möchten. Diese sogenannte Anwendungsauswahl betrifft im nationalen Kontext das Girocard-Verfahren mit PIN-Eingabe sowie die Debitverfahren Maestro und V-Pay.
Was auf den ersten Blick praktikabel erscheint, wirft in der Umsetzung eine Reihe von Fragestellungen auf, die Ulrich Binnebößel vom Handelsverband Deutschland (HDE) in seinem Vortrag erläuterte. Fest steht: Der Handel muss zukünftig dem Kunden die Wahl lassen, er darf aber eine Vorauswahl der von ihm präferierten Zahlungsverfahren tätigen und zwar durch die Installation „automatischer Mechanismen“ am Bezahlpunkt, wie es im Verordnungstext der EU-Kommission heißt.
Als Reaktion auf diese Vorgabe haben Netzbetreiber und Terminalhersteller einen Vorschlag zur technischen Umsetzung dieser Verordnung erarbeitet. An allen Zahlungsterminals soll demnach künftig eine Taste „Auswahl“ dem Kunden vor Einleitung des Bezahlvorgangs signalisieren, dass er unter verschiedenen Zahlverfahren an der Kasse wählen kann. Drückt er diese Taste, erhält er eine Auswahlliste, in der er die gewünschte Variante aktivieren kann, um sich so über eine Vorauswahl, die der Handel in der Regel in seinen Geräten festgelegt hat, hinwegzusetzen. Das vorgeschlagene Verfahren sei die am schnellsten umsetzbare Lösung für eine baldige Verfügbarkeit im Feld, befürwortet der HDE diese Initiative, die beim Bundesministerium der Finanzen (BMF) zurzeit noch in der Abstimmung ist.
So plausibel diese Lösung klingt, gibt es aus Handelssicht noch einige „Knackpunkte“. Ein Beispiel: Das vom Handel wegen seiner geringen Kosten präferierte Lastschriftverfahren ist in der EU-Verordnung nicht erfasst. „Das ELV darf als effizientes Zahlverfahren nicht im Hintergrund verschwinden“, warnt Ulrich Binnebößel daher und fordert hier von der Kommission eine „unbedingte Klarstellung“, dass ELV weiterhin vorab auch ohne Auswahl erfolgen kann. Es dürften auch keine Nachteile durch die veränderten Prozesse am Bezahlpunkt bestehen, indem über Jahre gelernte und gewohnte Prozesse aufs Spiel gesetzt werden. Darüber hinaus sei noch unklar, wo die von der Kommission geforderte Kundeninformation der Händler-Vorauswahl im Ladengeschäft erfolgen soll. „Der Kunde muss wissen, welche Optionen er hat. Da müssen auch die Akquirer mitspielen“, appelliert Binnebößel an die Kooperationsbereitschaft der Zahlungsdienstleister. Eine Umstellung der Terminals auf die Funktion „Auswahltaste“ sei bei älteren, nicht TA 7.1 fähigen Geräten nicht möglich, daher gälte es, Übergangsregelungen zu schaffen. Bei allen noch offenen Fragen zeigt sich der HDE optimistisch, eine Verordnungskonformität mit den Interessen des Handels zu erreichen. Die Signale der Kommission seien positiv, ob der 9. Juni eingehalten werden kann, scheint dagegen eher unwahrscheinlich.
Joachim Fontaine vom Bundesverband deutscher Banken (BdB) in Berlin widmete den größten Anteil seiner Redezeit der Girocard und den aktuellen Initiativen, das nach Maestro am weitesten verbreitete europäische Debitkartensystem noch stärker in den Fokus der Verbraucher zu rücken. Dass die Girocard zunehmend auch als Zahlungsmedium für kleinere Einkaufsbeträge verwendet wird, belegt der für Februar 2016 ermittelte durchschnittliche Transaktionsbetrag, der mit 49,79 Euro erstmals unter 50 Euro liegt. Wegen seiner exponierten Stellung unter den Kartenzahlungssystemen soll die Girocard nun nach den Vorstellungen der Kreditwirtschaft auch zum wichtigsten Medium für das kontaktlose Bezahlen werden.
Matthias Hönisch vom Bundesverband der Deutschen Volksbanken und Raiffeisenbanken (BVR) berichtete über den aktuellen Status des Pilotprojekts in Kassel, Baunatal und Göttingen mit 130.000 ausgegebenen „kontaktlosfähigen“ VR-Bankcards. Bislang seien 400 Akzeptanzstellen in der Region am Netz. Das Projekt könne nur gelingen, wenn der Handel das kontaktlose Verfahren aktiv mit fördert und Nachfrage bei den Netzbetreibern entfaltet, lautet der Appell der Kreditwirtschaft an die beteiligten Handelsunternehmen. Zurzeit geben noch 53 Prozent der mittelständischen Einzelhändler an, dass ihre Geräte noch nicht NFC-fähig sind, hat das EHI in seiner aktuellen Studie über das Zahlverhalten der Verbraucher im deutschen Einzelhandel ermittelt.
Fotos (3): Hauser / EHI
Kontakt: lambertz@ehi.org
Ein ausführlicher Nachbericht zum EHI Kartenkongress 2016 erscheint in der nächsten Printausgabe der rt-retail technology am 9. Mai 2016.
Weitere Informationen zum Kongress: www.kartenkongress.de
Statistische Daten zu Zahlungssystemen: www.handelsdaten.de/zahlung