Schauen Sie bei Ihrem nächsten Einkauf der Schaufensterfigur mal tief in die Augen. Es könnte sein, dass sie dieses Mal zurückschaut. Für bislang einige wenige Retailer erledigen mittlerweile die zirka 5.000 Dollar teuren „EyeSee Mannequins“ des italienischen Herstellers Almax diesen Job: Eine in ein Auge der Figur installierte Videokamera erfasst die äußerlichen Merkmale der Kunden, die an ihr vorübergehen, und liefert in Echtzeit statistische Daten wie Alter, Geschlecht, Ethnie, Frequenz der Personen und wie lange diese stehen bleiben.
Ähnliche Kennzahlen werden auch schon von Instore-Überwachungskameras gesammelt. Doch die Figur hat den Vorteil, dass sie sich „auf Augenhöhe“ mit der Kundschaft befindet. Durch die größere Nähe sind genauere Aufnahmen möglich und die Aufmerksamkeit der Vorbeigehenden kann exakter erfasst werden, so der Hersteller Almax.
Einer der Anwender aus dem Einzelhandel konnte mithilfe der „EyeSee Mannequins“ herausfinden, dass nachmittags die Hälfte seiner Besucher Kinder waren. Aufgrund dieser Daten hat das Unternehmen seine Kinder-Modelinie ausgebaut und am POS mehr Platz für dementsprechende Ware geschaffen. Ein anderer Anwender platzierte am Eingang einen chinesischsprachigen Mitarbeiter, nachdem sich gezeigt hatte, dass ein Drittel der Gäste nach 16 Uhr Asiaten waren. In beiden Fällen konnten die Einzelhändler laut Almax durch diese Maßnahmen entsprechende Umsatzsteigerungen verbuchen.
Im deutschsprachigen Raum haben die „aufmerksamen“ Mannequins bisher noch keinen Abnehmer im Einzelhandel gefunden. Der Einbau der Kameras auf Augenhöhe bringt zwar Vorteile hinsichtlich der Genauigkeit der Daten, doch scheuen viele Einzelhandelsketten den Einsatz aus Angst vor einer schlechten Presse, die im Zusammenhang mit den menschenähnlichen Puppen gerne vom „Ausspionieren“ spricht. Doch speichern die Systeme in den Figuren laut Almax keine Bilder der analysierten Gesichter.
Deutsche skeptisch
Kameragestützte Personenzählung und Messung der Verweildauer geschieht schon seit Längerem am POS. Das Unternehmen Visà- pix aus Potsdam gehört zu den bekannten Unternehmen in Europa für sogenannte Retail-Efficiency-Lösungen auf Basis von 3DVideoanalyse. Aus dieser Sicht ist die Anzahl der Besucher, die im Geschäft nichts kaufen, die größte „Umsatzreserve“ für den Handel. Ziel der Vis-à-pix-Produkte ist es daher, „aus möglichst vielen Besuchern Kunden zu machen.“ Gekoppelt mit der Personaleinsatzplanung (PEP) und der Warenwirtschaft sollen diese Systeme „zur Steigerung der Kundenzufriedenheit, zum Umsatzwachstum und zur Erhöhung der Mitarbeiterproduktivität beitragen.“
Bereits 2009 entwickelte Vis-à-pix zusammen mit der Firma Online Software ein System für das Instore-TV des Textilherstellers s.Oliver. „People Attract“ erkennt die Anzahl der Personen vor dem Display, deren Geschlecht und die Betrachtungsdauer des digitalen Displays – und steuert darauf abgestimmt die interaktive Einspielung von Clips in Echtzeit, zugeschnitten auf die jeweilige Zielgruppe „Single“, „Paar“ oder „Familie“. Alle drei beteiligten Partner konnten damals nicht nur eine Vorreiterrolle im Digital-Signage-Markt für sich verbuchen, sondern wurden 2010 auch mit dem EHI-Award reta europe für die „Best Customer Experience“-Lösung ausgezeichnet. Mittlerweile hat Vis-à-pix seine Lösung um eine Funktion zur Alterskennung erweitert.
Big Data
„Viele Händler müssten genauer an ihrer Zielgruppengenauigkeit arbeiten. Es kommt mitunter zu Fehleinschätzungen, die die Einzelhändler erst mithilfe von exakten Zählungen und Auswertungen aufdecken“, so Axel Stephan, Geschäftsführer von Vis-à-pix. 14 Jahre war Stephan für Bosch im Bereich Sicherheitstechnik sowie danach auch bei ADT (heute Tyco) tätig. Seit 2006 ist der ausgebildete Elektrotechniker bei Vis-à-pix. „Der Bedarf nach Analysetools im Einzelhandel ist meines Erachtens enorm“, meint Stephan. „Vor allem im Bedien-Einzelhandel kann man die Abverkaufsquote durch Beratung steigern und dazu die Personalkosten optimieren“, so seine Meinung. „Weitere Themen, die an uns herangetragen werden, sind Shoplagen-Optmierung, Energiekosten-Optimierung durch bedarfsgesteuerte Raumlufttechnik sowie die Optimierung des Category-Managements.“
Laut Axel Stephan geht der Trend in Richtung Vernetzung und Integration der vorhandenen Datenquellen wie Personaleinsatzplanung, Warenwirtschaft, POS-Daten, Marketing, Content-Controlling und Personenstromauswertung. Und das Ganze in Verbindung mit sogenannten „Umweltdaten“ wie Jahreszeiten, Wetter, Ferienzeiten, Festen und Ereignissen wie Fußball-EM und -WM sowie soziodemografischen Daten, also mit allem, was einen vorhersehbaren Einfluss auf das Kaufverhalten nehmen kann.
Anschaffungskosten noch zu hoch
Dem Steuern von Marketing- und Werbeaktionen auf Basis dieses Big-Data-Pools in Kombination mit den richtigen Tools gehöre die Zukunft, meint Stephan. „Viele Einzelhandelsketten beobachten gerade sehr aufmerksam, zu welchen Ergebnissen die Mitbewerber kommen und ob der Einsatz auch für sie rentabel ist. In den Flagshipstores wird bereits getestet, doch manche Kennzahlen erreichen erst eine bestimmte Qualität, wenn sie großflächig erhoben werden.
Die Anschaffungskosten sind zurzeit noch zu hoch für die Mehrzahl der Retailer. Die gleiche Situation hatten wir vor ein paar Jahren, kurz bevor sich die Personenzählung und die Messung der Verweildauer per Video endgültig durchgesetzt hat. Sobald die Kosten für die Gesichtserkennung und für die Systeme zu Echtzeitanalyse auf einen massentauglichen Anschaffungspreis gesunken sind, werden die Dämme brechen,“ meint Stephan.
Fotos (3): Almax
Kontakt: bernhard.lermann@gmail.com