Viele Warenhersteller sind noch auf der Suche nach der richtigen E-Commerce-Strategie, um die eigenen Produkte über das Internet direkt zu vertreiben. So gibt es heute unterschiedliche Entwicklungsstadien, in denen sich Hersteller in puncto Direktvertrieb befinden. E-Commerce ist vor allem für vertikale Anbieter eine Chance. Hersteller, die ihre Vertriebskanäle gut im Griff haben, können in diesem Kanal nur gewinnen. Für die „Evolution“ des E-Commerce lassen sich fünf Phasen definieren, die allerdings nicht zwangsläufig in dieser Reihenfolge abfolgen müssen:
Phase I: Informations- und Markenpräsentation
In dieser Phase befinden sich nach wie vor viele Hersteller. Auf der Website werden die Produkte präsentiert. Die Website wird nicht aktiv beworben. Online-Marketing findet so gut wie gar nicht statt. Insbesondere Hersteller von komplexen Produkten (z.B. Küchen), komplexen Vertriebsstrukturen (z.B. dreistufiger Vertrieb), aber auch viele Hersteller aus dem FMCG-Bereich, befinden sich in dieser Phase. Auch die Spielwarenbranche, bei der der eigene Onlineshop mittlerweile zum Standard gehört, hat noch Nachzügler. Ein sehr beliebtes Element der Markenwebsites ist in dieser Phase der Filialfinder.
Phase II: Verkauf über Plattformen
Der Absatz der eigenen Produkte über Online-Händler und Amazon nimmt zu. Die Hersteller fangen an, Amazon direkt zu beliefern. Häufig ohne eine weitere Vertriebseinheit im eigenen Unternehmen aufzubauen wird verstärkt an Online-Händler, Plattformen und Amazon verkauft. Das führt zwangsläufig zu Konflikten im Vertrieb. Eine sehr wichtige Problemstellung hier ist die Boni-Regulierung der Vertriebler und die damit verbundene Fragestellung: „Ist der Umsatz eines Online-Händlers tatsächlich dem regionalen Vertriebsleiter zuzuschreiben?“
Diese Phase ist, bildlich gesprochen, wie der Einstieg in eine Droge. Amazon wird häufig plötzlich zu einem der wichtigsten Kunden eines deutschen Herstellers. In Branchen wie Spielwaren, Elektronikartikel, Sport oder Haushalt ist Amazon wohl für die meisten Hersteller seit mehreren Jahren der wichtigste Kunde nach Umsatz in Deutschland. In diesen Unternehmen wird sich jetzt erstmals darüber Gedanken gemacht, was wohl passiert, wenn Amazon weiter derartige Umsätze macht.
Die Verkaufsgespräche mit Amazon sind trotzdem nach wie vor angenehm. Die Gespräche mit Amazon sind anders als die gewohnten Verkaufsgespräche mit Verbundgruppen, Fachhändlern oder großen Handelsketten. Amazon stellt kaum Ansprüche an die Konditionen und verkauft das komplette Sortiment ohne „lästige“ Nachfragen nach TV-Werbung, Werbekostenzuschüssen oder „Softmoney“. Dadurch werden große bestehende Kunden aus dem Handel in ihrem Fundament erschüttert und verhandeln immer intensiver um Konditionen. Der Hersteller ist jetzt „süchtig“ nach den Umsätzen von Amazon. Wird man von dieser Droge wieder wegkommen?
Phase III: Etablierung von Markenshops
Jetzt wissen die Hersteller, dass es im Online-Handel eine extreme Konzentration gibt. Aber es gibt auch viele andere Händler, die online verkaufen. Einige Hersteller versuchen deshalb, aus dem Offline-Handel Gelerntes auf den Online-Handel zu übertragen. Zu Lasten der Marge wird ausgewählten Online-Händlern Exklusives (z.B. Produkte, Werbemittel, Konditionen) angeboten, damit die Marke ansprechend und nicht im direkten Vergleich mit anderen Marken positioniert wird. Auch Amazon und insbesondere Ebay stellen sich zumindest in der visuellen Darstellung von Markenshops auf diese Anforderung von Herstellern ein.
In dieser Phase werden auch Zwischenlösungen wie das Verlinken der Produktdetail-Seite der Hersteller-Seiten mit den Seiten der Online-Händler gerne praktiziert. Diese Lösung erfüllt insofern ihren Zweck, als dass der Hersteller damit seinen Direktvertrieb stärkt. Aus Kundensicht stellt eine derartige Lösung jedoch einen nur schwer erkennbaren Mehrwert dar. In dieser Phase sind die Überlegungen für einen eigenen Onlineshop üblicherweise schon weit fortgeschritten, die Konzepte hierfür liegen häufig schon in der Schublade.
Phase IV: Verkauf über eigenen Shop
Der Verkauf über den eigenen Shop beginnt oftmals sehr vorsichtig. Am besten soll in diesem Moment kein Fachhändler merken, dass überhaupt online direkt verkauft wird. In dieser Phase kommen eine Reihe von wichtigen Diskussionen auf den Tisch wie UVP vs. Marktpreis, Sortimentsentscheidungen, Online-Marketingbudget, Exklusivität etc. Häufig wird der Erfolg in dieser Phase nicht am Umsatz, sondern an Kriterien wie Kundenbindung und Leads gemessen. Der Start des eigenen Onlineshops ist häufig ein ständiger Kampf gegen bestehende Strukturen innerhalb des Unternehmens. Nur einige wenige Hersteller schaffen es, schnell die richtigen Strukturen für ein Wachstum des Online-Kanals zu etablieren. Wird das Projekt nicht direkt durch die Geschäftsführung vorangetrieben, entstehen häufig Kompromisslösungen, die den Direktvertrieb blockieren.
Von einem guten Online-Auftritt eines Herstellers profitiert auch der stationäre Handel.
Adrian Hotz
Phase V: Forcierung des Direktvertriebs, Limitierung des Verkaufs über andere Kanäle
In dieser Phase ist Online als wichtige Vertriebssäule im Unternehmen angekommen. Der Weg und die Budgets sind frei gemacht. Häufig findet parallel eine Neuausrichtung des Marketings auf den Online-Kanal statt. Viele Hersteller, die in dieser Phase angekommen sind, betreiben eigene Flagshipstores. Der Onlineshop wird aggressiv über alle bestehenden Kanäle beworben und der Erfolg am tatsächlichen Umsatz und Deckungsbeitrag gemessen.
Um die Vertriebskanäle zu kontrollieren, wird die Produktverfügbarkeit teilweise begrenzt, die Handelsmarge sehr gering gehalten, und die Belieferung erfolgt nur noch an einige wenige große Handelspartner. Es wird teilweise versucht, Plattformen wie Amazon komplett auszuschließen. Dieser Prozess kann bisweilen kurzfristig Umsatz kosten und bleibt wohl großen Marken vorbehalten. Neue Marken starten direkt mit einer solchen Vertriebsstrategie. Diese Situation muss für den stationären Handel keine Bedrohung sein, wenn es ihm gelingt, im Rahmen einer Multichannel-Strategie den Onlineshop und seine Funktionen auf die Fläche zu holen und die Services zu integrieren.
Außerdem betrifft die Stärkung des Direktvertriebs in ihren Konsequenzen nicht nur den stationären Handel, sondern die gesamte traditionelle Wertschöpfungskette, zu der auch Großhändler oder Verbundgruppen zählen. Von einem guten Online-Auftritt eines Herstellers profitiert auch der Handel, das heißt wenn der Markenhersteller darauf achtet, dass seine Produkte auch im Internet gut und ansprechend präsentiert und nicht unter UVP verkauft werden.
Abbildung: iStockphoto/ryccio
Weitere Informationen: www.adrianhotz.de