„Im Zuge der digitalen Transformation des Einzelhandels übernimmt Künstliche Intelligenz eine immer prominentere Rolle, insbesondere im Bereich der POS-Systeme“, sagt Ante Todoric, Managing Director Retail bei Bizerba. Am Markt sei inzwischen ein regelrechter Boom zu beobachten, der unterschiedlichste Technologien rund um innovative Prozessautomatisierung und digital unterstützte Einkäufe umfasse. Dabei nehmen laut Todoric vernetzte Retail-Lösungen mit KI besonders an Fahrt auf.
Künstliche Intelligenz übernimmt eine immer prominentere Rolle, insbesondere im Bereich der POS-Systeme.
Ante TodoricEin typisches Beispiel für das Potenzial von KI ist die präzise und schnelle automatische Objekterkennung. Tomra Systems stellte im Jahr 2019 die branchenweit erste Deep-Learning-Technologie für die Abfallsortierung vor. Zusammen mit den bewährten Sensoren ermöglichte sie die Sortierung von schwer zu klassifizierenden Materialien, zum Beispiel die Entfernung von PE-Silikonkartuschen aus Polyethylen-(PE)-Strömen. Seitdem wurde weiter in Deep Learning investiert, das von Tomra als Teilbereich von KI und maschinellem Lernen angesehen wird. Im Februar 2024 gab das Unternehmen eine 25-prozentige Beteiligung an Polyperception, einem Spezialisten für KI-basiertes Monitoring von Abfallströmen, bekannt, um damit seine Position in dem Bereich weiter zu stärken. Man sei davon überzeugt, dass Künstliche Intelligenz die Kreislauffähigkeit von Materialien stark nach vorne bringen werde, so Dr. Volker Rehrmann, Executive Vice President und Leiter von Tomra Recycling. Auch bei den Leergut-Rücknahmeautomaten setzt die Firma bei der Datenanalyse KI ein, um eine maximale Maschinenverfügbarkeit zu gewährleisten.
Voll im Bilde
Ein bedeutendes Einsatzfeld der automatischen Artikelerkennung sind die SB-Waagen in den Obst- und Gemüseabteilungen des LEH. Hier bringt KI entscheidende Fortschritte an Geschwindigkeit und bei der Minimierung von Fehlregistrierungen. Bei Bizerba sieht man dadurch nicht weniger als eine „neue Ära des Selbstbedienungseinkaufs“ eingeläutet. Die mit einer Kamera bestückte Bizerba-Waage identifiziert anhand der Bilddaten innerhalb weniger Sekunden das Produkt. Die Kund:innen können ihre Einkäufe schneller erledigen, da sie nicht mehr manuell die Produkte eingeben müssen. Durch die präzise Erfassung beim Abverkauf und die Anbindung der Waagen an das Warenwirtschaftssystem können außerdem Lagerbestände zeitgleich aktualisiert und Bedarfsprognosen verbessert werden.
Auch Self-Checkout-Terminals und SB-Stores profitieren von neuen KI-Lösungen. Diese können die bekannten Probleme, wie etwa versehentliche Fehler beim Scannen oder auch absichtliche Betrügereien, zumindest entschärfen,wenn auch nicht komplett verhindern. Bizerba bietet mit dem „Supersmart Scan & Go Loss Prevention System“ einen Validierungsprozess an, der mithilfe von Gewichtssensoren und KI-Algorithmen beim Self-Checkout in Sekundenschnelle überprüft, ob alle Produkte korrekt gescannt wurden.Diese Lösung reduziert laut Hersteller Umsatzverluste durch Schwund und kann sowohl bestehende Scan & Go-Lösungen ergänzen als auch als eigenständiges System installiert werden. Die aktuelle Innovation im Bizerba-Portfolio, „Tablesmart“, macht das Abscannen von Produkten überflüssig und integriert den Validierungsprozess nahtlos. Eine KI erfasst die Produkte automatisch und validiert das Erkannte innerhalb von Sekunden anhand des Gewichts. „Diese Lösung ermöglicht einen enorm schnellen Checkout-Prozess und bietet gleichzeitig die notwendige Sicherheit für Retailer im Hinblick auf Schwund“, heißt es bei Bizerba. Zielgruppe sind vor allem kleinere Geschäfte wie Convenience Stores oder Tankstellen-Shops.
In Zukunft wird es Self-Checkout-Scanner geben, die mit Tausenden von Artikelbildern trainiert wurden.
Alexander HonigmannAuf Einkäufe mit wenigen Artikeln zielt auch Toshiba mit seinem neuen „Vision Kiosk“ ab, der auf der EuroCIS gezeigt wurde. Hier werden die Artikel auf ein Smartpad mit integrierter Waage gelegt, woraufhin Edge-Kameras mit Computer Vision sie erkennen, ohne dass Barcodes gescannt werden müssen. Die Artikel und der Preis werden angezeigt, und die Kund:innen können auch mithilfe biometrischer Identifizierung bezahlen.Wenn die Kameras die Artikel identifiziert haben, gleicht die Waage im Smartpad ab, ob die erkannten Produkte mit dem Gewicht übereinstimmen. Falls ein Artikel durch einen anderen verdeckt ist, wird die Kundschaft aufgefordert, sie neu anzuordnen. Bei der Entwicklung arbeitet Toshiba mit Partnern wie Intel zusammen. Zur akkuraten Identifizierung der Artikel wird das System mit mehreren Bildern angelernt. Mithilfe eines KI-Systems, das Algorithmen verwendet, lernt es im Betrieb dann selbst weiter und verbessert dadurch kontinuierlich die Erkennung. Weitere Anwendungen der Toshiba-Edge-Kameras zur Warenerkennung sind SB-Kassen und sowie bediente Terminals, wo sie Mitarbeitende unterstützen, indem sie Vorschläge zu Produkten anzeigen, die sonst über ein Menü gesucht werden müssten.
Diebold Nixdorf treibt die Entwicklung in diesem Bereich ebenfalls voran. Die kürzlich eingeführte KI-basierte Lösung zur Betrugsprävention an SB-Kassen erkennt per Smart-Vision-Technologie die häufigsten Ursachen des Warenschwunds: unbewusste und bewusste Fehlbedienungen, die Manipulation von Barcodes, das Sich-Entfernen ohne Bezahlung und weitere mögliche Szenarien. „Als Teil unserer KI-Plattform ergänzt diese Lösung die bereits eingeführten KI-gestützten Anwendungen zur automatischen Alterskontrolle sowie Erkennung von Frischwaren ohne Barcode“, skizziert Nino Hörttrich, Head of Global Marketing Retail bei Diebold Nixdorf, die Einsatzfelder. Damit liefere Diebold Nixdorf den Händlern „einen ganzheitlichen Werkzeugkasten für die Reduzierung der häufigsten Verlustquellen und Reibungspunkte an Selbstbedienungskassen“. Die KI-basierten Tools sind ab einer bestimmten Version bereits Bestandteil der Selbstbedienungssystem-Software („Vynamic Self-Service“) und können in die bestehende Infrastruktur integriert werden. Aus Sicht von Diebold Nixdorf sind viele weitere künftige Einsatzfelder denkbar, da man die KI-Plattform hardware- und softwareunabhängig konzipiert hat. Ergänzend zu den SB-Kassen sollen die Lösungen bald an bedienten Kassen zum Einsatz kommen.
In den Kinderschuhen
Nach Ansicht von Alexander Honigmann, Sales Director Retail and Logistics Germany bei Zebra Technologies, steht die Entwicklung von KI-gestützter Bildverarbeitung noch am Anfang. Künftige Treiber seien die Daten: „In Zukunft wird es Self-Checkout-Scanner geben, die mit Kameras und Computer-Vision-Algorithmen ausgestattet sind, darüber hinaus mit Bestandsdaten gefüttert und mit Tausenden von Artikelbildern trainiert wurden, einschließlich aller möglichen Ansichten innerhalb einer Artikelkategorie, die aus jedem Blickwinkel eines Produktes erfasst wurden.“
Als stabile Teile unterstützen auch POS- und Etikettendrucker im Verbund die KI-Anwendungen.
Jörk SchüßlerAuch an den sogenannten Peripheriegeräten am Point-of-Sale geht KI nicht vorbei – Stichwort: Vernetzung. POS- und Etikettendrucker sind zwar selbst noch nicht mit Künstlicher Intelligenz ausgestattet, können jedoch Teil eines Systems sein, das diese verwendet. „Als stabile Teile unterstützen sie dann im Verbund die KI-Anwendungen“, so Jörk Schüßler, Marketing Director EMEA bei Citizen Systems Europe. Zum Beispiel könne der Drucker bei einer Waage, die mit KI Produkte scannt, die entsprechenden Etiketten klar und fehlerfrei ausgeben. In Zukunft könnten darüber hinaus Funktionen wie die automatische Erkennung von Bildern oder Druckformaten sowie die intelligente Fehlererkennung und -korrektur verwendet werden.
Selbst der Einkaufswagen durchläuft derzeit mithilfe von KI eine Metamorphose hin zum Smartmobil. Mit dem„Smart Trolley“ bringt Wanzl im Herbst 2024 einen digitalen Einkaufswagen auf den Markt – im ersten Schritt noch ohne KI. Doch diese soll bereits 2025 zum Einsatz kommen.Dann erfassen Kund:innen ihre Waren über ein Display inklusive Kamera mit KI-Funktion im Griff des Wagens. DieKI erkennt beim Hineinlegen, ob der Artikel gescannt wurde und ob der Scanvorgang erfolgreich war. Erfasste Produkte werden im digitalen Warenkorb auf dem Bildschirm angezeigt. Vor dem Bezahlen wird der Warenkorb per QR-Code in die App des Händlers oder auf eine SB-Kasse übertragen und kann dort per hinterlegtem digitalem Zahlungsmittel oder Karte bezahlt werden. Damit ergänzt Wanzl sein Portfolioan integrierten automatischen Lösungen für Self-Checkout-Szenarien. Am neuen vollautomatisierten Smart Exit, einer Weiterentwicklung der bekannten Self-Checkout-Zone, werden Artikel an Self-Checkout-Terminals selbstständig gescannt und bezahlt. Eine KI-Sensorik erfasst, verifiziert und steuert sämtliche Prozesse, vom Betreten der SB-Zone über den Scan- und Bezahlvorgang bis zum Öffnender Exitgates.
Es geht darum, skalierbare und wirtschaftliche Lösungen für die Praxis zu finden.
Jürgen FrankNach Ansicht von Wanzl sind viele Einsatzfelder reif für KI: von der Prozessoptimierung bei Warenverfügbarkeit und Personalplanung über die Vereinfachung des Checkouts bis hin zum komplett personalfreien, kassenlosen Markt, in dem KI die Funktion des Marktbetreibers zu annähernd 100 Prozent übernimmt. Jede Innovation benötige aber ihre Zeit, bis sie von den Kund:innen angenommen werde, betont Jürgen Frank, Senior Vice President Markets & Solutions bei Wanzl.„Es geht nicht darum, Technologien um der Technologie willen einzusetzen, sondern skalierbare und wirtschaftliche Lösungen für die Praxis zu finden.“