Big Data für die letzte Meile | stores+shops

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Die Lieferkette ist für den Lebensmitteleinzelhandel ein zentrales Thema. (Foto: Rewe)

Big Data für die letzte Meile

Die Lieferkette ist für den Lebensmitteleinzelhandel ein zentrales Thema. Rewe setzt hier auf Data Science und treibt in verschiedenen Projekten die datengestützte Optimierung der Supply Chain bis an die Haustür des Kunden voran.

Für Cordula Bauer sind Big Data und Data Science mehr als Buzzwords. „Wir müssen diese Themen im Unternehmen selber beherrschen und können nicht alles Dienstleistern überlassen“, sagt die Informatikerin und ehemalige A.T. Kearney-Beraterin. Seit 2015 ist sie bei Rewe Digital für Big-Data-Projekte verantwortlich. In Zusammenarbeit mit dem IT-Projekthaus Innovex treibt ihr Team im Rahmen konkreter Anwendungsfälle den Aufbau von Big-Data-Wissen und -Technologien im Unternehmen voran.

Wir müssen das Thema Data Science im Unternehmen selbst beherrschen.

Cordula Bauer

Chief Product Owner Big Data Rewe Digital GmbH

Dazu gehört die Optimierung des 2011 gestarteten Lieferservices. Aktuell wird der Service in rund 75 Städten inklusive Umland angeboten und erreicht damit etwa 40 Prozent der deutschen Haushalte. Zwischen 5.000 und 10.000 Bestellungen werden täglich durch eigene Fahrer ausgeliefert – eine anspruchsvolle logistische Aufgabe, denn Frische und Pünktlichkeit auf der letzten Meile beeinflussen maßgeblich die Kundenzufriedenheit. Die Beherrschung der Supply Chain sei für den Lieferservice noch wichtiger, als sie es für einen Lebensmitteleinzelhändler ohnehin schon ist, so Cordula Bauer. Bei ihrem Vortrag auf den EHI Technologietagen in Düsseldorf erläuterte sie gemeinsam mit Robin Senge von Innovex, wie Data Science konkret dazu beitragen kann, die Servicequalität zu verbessern.

Zeitfenster

Wann sie beliefert werden möchten, können Rewe-Kunden bis zu 13 Tage im Voraus und spätestens am Vortag festlegen. Dazu wählen sie für ihren Wunschtag unter verschiedenen Zeitfenstern von jeweils zwei Stunden (z. B. Lieferung zwischen 9 und 11 Uhr oder zwischen 15 und 17 Uhr). Bei der Tourenplanung arbeitet Rewe seit 2015 mit dem Kieler Dienstleister FLS zusammen. Die verfügbaren Terminangebote werden den Kunden während des Bestellvorgangs über eine Schnittstelle direkt aus der Planungssoftware („FLS Visitour“) bereitgestellt.

Das Programm berechnet dann automatisch eine optimale Touren-Konstellation. Dabei berücksichtigt es straßenindividuelle und tageszeitabhängige Geschwindigkeitsprofile für eine möglichst zuverlässige Planung. Über eine mobile App melden die Fahrer von unterwegs regelmäßig ihren Status. Nicht nur Wetter oder Verkehr können für Verzögerungen sorgen, sondern beispielsweise auch Kunden, die nicht gleich die Tür öffnen oder den Fahrer mit Sonderwünschen aufhalten.

Optimale Touren-Konstellation

Ziel des 2017 umgesetzten Data-Science-Projekts ist es, den Kunden auf Basis dieser Echtzeit-Informationen am Liefertag möglichst frühzeitig genauere Angaben zum tatsächlichen Lieferzeitpunkt bereitzustellen. Dazu wurden zwei konkrete Use Cases definiert:

Fall 1: Erfolgt die Lieferung pünktlich innerhalb des gewählten Zeitfensters, werden die Kunden per SMS darüber informiert. Das Zeitintervall soll dabei weiter präzisiert werden, beispielsweise auf einen Zeitraum von 20 oder 30 Minuten innerhalb der angegebenen zwei Stunden.

Fall 2: Zeichnet sich eine Verspätung ab, werden die Kunden rechtzeitig durch einen Anruf vom Kundendienst vorgewarnt und über die voraussichtliche neue Ankunftszeit informiert.

Das Projektteam stand dabei vor einer klassischen Optimierungsaufgabe: Einerseits möchten die Kunden möglichst früh über den genauen Lieferzeitpunkt informiert werden – 10 Minuten vor der Ankunft bringt die SMS-Botschaft: „Wir sind gleich da“ kaum noch Zusatznutzen. Andererseits sollte die Zeitangabe aber auch möglichst genau und zuverlässig sein – eine Anforderung, die umso schwieriger umzusetzen ist, je weiter die Prognose in die Zukunft reicht. Es ging also darum, den optimalen Kompromiss zwischen Nützlichkeit und Verlässlichkeit zu finden.

Data Science: Interdisziplinäres Team unabdingbar

  • Business Process Owner: Kann das zu lösende Business-Problem möglichst konkret definieren.‚‚
  • Data Scientist: Leitet aus dem Business-Problem wissenschaftliche datenbasierte Fragestellungen ab, die zur Lösung beitragen können.‚‚
  • Software Engineer: Programmiert auf Basis der Erkenntnisse eine Anwendung, die das Problem lösen soll.‚‚
  • Big Data Plattform Engineer: Beherrscht die Technologien, um große Datenmengen zu verarbeiten.

Bestmöglicher Kompromiss

Der Vorteil von Data Science hierbei ist laut Robin Senge: „Die Unsicherheit einer maschinellen Prognose auf Basis statistischer Verfahren ist messbar und damit beherrschbar“, so Senge. Auf Basis historischer Tourdaten entwickelte das Projektteam zunächst ein statistisches Verfahren zur Prognose der Ankunftszeit (Regressionsmodell). Anschließend wurde das Konfidenzniveau für verschieden breite Lieferintervalle berechnet. Ergibt sich beispielsweise für eine Intervallbreite von 20 Minuten eine Konfidenz von 95 Prozent, bedeutet das statistisch gesehen, dass einer von 20 Kunden nicht innerhalb des vorhergesagten 20-Minuten-Zeitfensters beliefert wird. Mit der Senkung der Intervallbreite sinkt auch die Konfidenz. Betrüge sie beispielsweise bei 10 Minuten nur noch 60 Prozent, würden in diesem Fall 8 von 20 Kunden nicht im prognostizierten Zeitfenster beliefert werden. Welche Kombination aus Intervallbreite und Prognosezuverlässigkeit aus Kundensicht für die größte Zufriedenheit sorgt, wurde im dritten Schritt durch A/B-Tests im Rahmen von Kundenumfragen ermittelt.

Der Startschuss für das Data-Science-Projekt fiel Mitte 2016, es wurde binnen 12 Monaten umgesetzt. Anfang 2017 ging der Anruf-Service bei verspäteter Lieferung live. Seit Mai 2017 erfolgt der automatische SMS-Versand bei pünktlicher Lieferung, sobald die Breite des vorhergesagten Ankunftsintervalls auf eine für den Kunden nützliche Größe gesunken ist. Für den Erfolg eines komplexen Data-Science-Projekts ist laut Cordula Bauer zum einen ein interdisziplinär zusammengesetztes Projektteam entscheidend (siehe Kasten). Ebenso wichtig ist laut Bauer ein iteratives Entwicklungsmodell, das sich schrittweise von Runde zu Runde der optimalen Lösung annähert. Data Science ist, so Bauer, eine Forschungsaufgabe. Ob sich ein definiertes Business-Problem mit den verfügbaren Daten lösen lässt, steht zu Projektbeginn nicht fest. Bauer: „Mit einem Lasten-Pflichten-Heft kommen Sie bei Data Science-Projekten nicht weit.“

Foto: Rewe

Weitere Informationen: redaktion@ehi.org

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