„Der Lebensmittelhandel muss in Zielgruppen denken, und dabei müssen wir auch lernen, dass wir mit einem gehobenen Ausstattungsniveau und hochwertigen Angeboten nicht mehr alle Kunden glücklich machen. Jeder, der zu uns kommt, wird freundlich bedient, aber über unsere Einrichtung und die Präsentation sagen wir deutlich, welche Käuferschicht wir erreichen wollen. Es kann durchaus sein, dass unser Marktauftritt manche Kunden abschreckt, dafür gewinnen wir möglicherweise andere, die uns langfristig lieber sind.“ So bringt Rewe-Einzelhändler Marcus Nüsken seine Marketing- und Vertriebsstrategie auf den Punkt. Zusammen mit seinem Bruder Karsten führt er das Familienunternehmen mit inzwischen sieben Supermärkten in Kamen, Soest und Dortmund.
Wie erfolgreich eine hochwertige Zielgruppenansprache bei Nüsken aufgeht, zeigt das Beispiel des Flaggschiffs, dem 2.300 qm großen Markt in Soest. Früher war das ein Regiebetrieb der Rewe Dortmund, noch unter der Marke „Michael Brücken“ geführt. „Ein Markt ohne besondere Höhepunkte“, erinnert sich Marcus Nüsken. Heute, gut drei Jahre nach der Neueröffnung, bringt der Markt den doppelten Umsatz, der Umsatz bei Fleisch ist sogar verdreifacht worden – dies alles bei unveränderter Struktur des Einzugsgebietes. Solche Reserven können durch adäquates Zielgruppenmarketing mobilisiert werden.
Der Lebensmittelhandel muss in Zielgruppen denken.
Marcus NüskenDas besondere Ambiente eines solchen Marktes gibt es nicht zum Nulltarif. Einrichtung und Ausstattung folgen dem „Nüsken-Wohlfühl-Konzept“, bei dem alle Details so durchdacht sind, dass sie die Kunden beim Einkaufen unterstützen. Das schlägt sich in Personal-, Betriebs- und Raumkosten sowie Ausstattungs- und Service-Aufwand nieder – was dann unter dem Strich zu etwas höheren Preisen führt. Die Kunden akzeptieren dies, denn eine angemessene Kalkulation ist nach Nüskens Erfahrung auch eine Frage der Kommunikation: „Wer seine besondere Leistung plausibel rüberbringt und emotionale Ansprüche weckt, erreicht auch Zustimmung in Preisfragen.“
Konsequentes Zielgruppenmarketing praktiziert der Edeka-Filialist Zurheide ebenfalls seit vielen Jahren. Zu Hause ist das Familienunternehmen im Ruhrgebiet, seit 2009 führt es darüber hinaus in Düsseldorf auf rund 7.000 qm Deutschlands größten „Supermarkt“, der nicht nur seiner Größe wegen zur Pilgerstätte für Handelsexperten geworden ist. Alle Frischecenter Zurheide haben große Verkaufsflächen. Sortiment, Präsentation und Kundenansprache sind immer auf den jeweiligen Standort abgestimmt, wobei der Bogen von „edel“ bis „Discountaffin“ gespannt ist.
Der größte der drei Oberhausener Zurheide- Märkte mit fast 4.000 qm Fläche ist von Discountern regelrecht eingekeilt, nahezu 20 sind es im Umkreis von 4 Kilometern. Die Kaufkraft am Ort ist unterdurchschnittlich, das Publikum typisch Discounter-affin. Marco Zurheide erläutert die Situation: „Wir haben viele gute Kunden, aber die kaufen gerne preiswert. Darauf gehen wir ein und gestalten unser Sortiment entsprechend. Die ganz teuren Produkte führen wir hier nicht, dennoch wirkt das Sortiment hochwertig und keineswegs billig. Wenn ein Kunde besondere Wünsche hat, besorgen wir ihm die Ware spätestens bis zum nächsten Tag aus unserer Düsseldorfer Filiale.“
Was Esskultur angeht, hat Zurheide die Oberhausener Verbraucher regelrecht missioniert. „Als wir hier Käse und später Fisch in großer Auswahl in die Bedienungstheken gebracht haben, hat man in der Branche den Kopf geschüttelt“, erinnert sich Zurheide. „Fisch gab es hier nur freitags in Form von Seelachs oder Pangasius, und Käse war außer Gouda und Streichkäse weitgehend unbekannt.“ Heute hat der Markt einen anteiligen Käse-Umsatz von 4 Prozent, der Durchschnitt bei Edeka liegt bei 1,3 Prozent. Der Fisch verkauft sich nun auch an anderen Wochentagen gut. Nach Zurheides Erfahrung dauert es etwa zwei Jahre, bis die Kunden von Bedienungstheken mit hochwertiger frischer Ware überzeugt sind. Die Kunden werden dann immer anspruchsvoller, je besser sie die Produkte kennenlernen. „Dieses Ziel kann man nicht mit 400-Euro-Aushilfskräften an der Theke erreichen“, betont Zurheide. Ausgebildetes Personal gehört hier zum Konzept.
Mission in Esskultur
Können Verbraucher also tatsächlich mit Geduld von qualitativ besseren Lebensmitteln überzeugt werden? Silvia Talmon, Inhaberin der Agentur The Store Designers, sieht das „Ende der Geiz-ist-geil-Ära“ zumindest punktuell langsam kommen. Der Trend zu Höherwertigem beeinflusst sogar die Sortimente der Discounter. Dort findet man jetzt „Exklusivmarken“ in den Regalen, in chic gestalteter Verpackung und zu deutlich höheren Preisen als die vergleichbaren Produkte aus den Normalsortimenten. Das ist die gleiche Angebotsstrategie wie die der Supermarktkonzerne: preiswerte Eigenmarken wie „Ja“ oder „Gut & Günstig“ auf der einen Seite und Exklusivmarken in Designerverpackung auf der anderen Seite. Eine enger fokussierte Zielgruppenansprache machen Fachgeschäfte. Wer in den Feinkost- oder in den Bioladen geht, der sucht dieses Spezialsortiment und kein Schnäppchen. Diese Formate beteiligen sich nur in Ausnahmefällen an Preis-Aktionen. Sobald solche Spezialsortimente allerdings in die Supermärkte aufgenommen werden, unterliegen sie auch dem dort üblichen Preiskampf.
Silvia Talmon empfiehlt deshalb, als Differenzierungsstrategie stärker als bisher auf das Dienstleistungsangebot zu setzen, zum Beispiel vermittelt über digitale Instore-Medien. Einzelne Händler testen E-Commerce mit Online-Bestellungen über das Internet, wobei die Ware abgeholt oder geliefert werden kann. Auch wenn ein solcher Service ein paar Euro kostet, die persönliche „Nutzenschwelle“ lässt sich ausrechnen, zum Beispiel angesichts von Faktoren wie Verkehrs-Stress, Zeitaufwand und Energieverbrauch.
Solche Dienstleistungen können auch eine Alternative bei fehlenden Nahversorgern sein. Dass ein kleiner Nahversorger in einem Wohngebiet wieder eine realistische Zukunft haben kann, glaubt Claus Wester von der Dortmunder Niederlassung von JosDeVries The Retail Company nicht. Auch wenn der Begriff Nachbarschaftsladen diese Assoziation weckt – die Nachbarschaft eines reinen Wohngebietes ist für die Betreiber solcher Läden uninteressant. Auch für die kleinen Formate werden hochfrequente Lagen bevorzugt wie Innenstädte, große Bahnhöfe oder Flughäfen. Diese Läden sind kleine Supermärkte, in der Größe von etwa 100 qm, mit einem kleinen, schnelldrehenden Sortiment mit hohem Frischeanteil und einer umfangreichen Auswahl vorbereiteter Speisen. Alles dreht sich um den kurzfristigen Bedarf, „was der moderne Konsument eben in den nächsten paar Stunden braucht“, so Claus Wester.
Fotos: Frank Alexander Rümmele (1), Reinhard Rosendahl (1)
Edeka Tschöpe – Zurück zum Kunden
Im rheinischen Leverkusen-Schlebusch hat Edeka Tschöpe ein neues Frische-Center eröffnet. Der Markt ist integriert in eine neue Wohnbebauung mit 41 Wohneinheiten und erfüllt damit eine echte Nachbarschaftsladen-Funktion.
Dafür ist der Markt mit 1.700 qm nicht klein. Er teilt sich den Eingang mit einer Sparkassenfiliale und einer Bäckerei. Das für Konzept und Realisierung des neuen Marktes verantwortliche Ladenbauunternehmen Schweitzer mit seinem Designbüro Interstore hat, um die optische Attraktivität von außen zu steigern, den gesamten Frischebereich in den vorderen Teil des Marktes gelegt. So schließen sich an die Obst- und Gemüseabteilung gleich die Theken für Fleisch, Wurst und Käse an. Diese haben eine großzügige Verglasung, die Kunden sollen „wie an Schaufenstern daran vorbeischlendern“ können. Für den Markt wurde ein eigenes Grafikkonzept entwickelt mit Texten an den Rückwänden. Die Schrift wirkt wie eine lockere Handschrift und sieht wie an die Wand geschrieben aus. Ein fein abgestuftes Farbkonzept in Rot und Oliv ist ein weiteres Gestaltungselement.
Foto: Schweitzer Ladenbau