Das linke Seine-Ufer in Paris, die Rive Gauche, war lange Zeit Treffpunkt der Schriftsteller und Künstler und immer auch ein Ort, an dem einige der bekanntesten Luxusmarken zu finden waren. Hierher kamen Persönlichkeiten wie Jean Paul Sartre, Gertrude Stein oder Ernest Hemingway, um über die Themen der Zeit zu diskutieren. Daher gab es in diesem Bereich, der sich größtenteils entlang des Boulevard Saint-Germain erstreckt, auch etliche Buchläden und Cafés, in denen Buchliebhaber und diskutierfreudige Intellektuelle ihren Café au Lait tranken. Allerdings beschreibt dieses Bild die Lage, wie sie im 20. Jahrhundert war, denn die Buchhändler leiden seit Jahren unter einem Geschäftsrückgang, da im digitalen Zeitalter der Absatz sinkt.
Vor diesem Hintergrund verwandelte das Designer-Label Sonia Rykiel seinen Flagshipstore am Boulevard Saint-Germain in einen Hybrid aus Buch- und Modegeschäft, in dem sowohl die neuesten Kollektionen der Marke als auch massenhaft Bücher Platz finden. Seit April ist das zweistöckige Geschäft ein Concept Store – und genau genommen auch eine Bibliothek. Alle Wände und ein Großteil des Mittelraums wurden mit Büchern ausgestattet, insgesamt rund 50.000 Bände. Das Ergebnis ist ein Laden, in dem natürlich auch Kleidung und Accessoires von Sonia Rykiel ausgestellt sind, doch den Gesamteindruck bestimmen die Bücher. Im Erdgeschoss wurden wie in einer Buchhandlung rundum Regale aufgestellt, die vom Boden bis zur Decke mit Büchern gefüllt sind. Das Besondere: Die Bücher können ausgeliehen, aber nicht gekauft werden.
Bücher als Kulisse
Für die Innengestaltung zeichnet Julie de Libran verantwortlich, Creative Director bei Sonia Rykiel, in Zusammenarbeit mit dem Art Director und Verleger Thomas Lenthal und dem Künstler André Saraïva. Die Bücher wurden von Sonia Rykiel gekauft und fungieren als Kulisse für die Kleidung und Accessoires, die hauptsächlich in Nischen, die aus den Regalwänden ausgespart sind sowie an im Verkaufsraum gruppierten Mannequins präsentiert werden. Die Figuren stehen überwiegend auf Sockeln platziert in den Gängen des Geschäfts.
Geht man die Treppe ins Obergeschoss hinauf, so trifft man immer noch auf zahlreiche literarische Anspielungen, doch hier herrscht eine etwas andere Atmosphäre. Der Grund dafür ist der rote Hochglanzlack, der von den Wänden strahlt und der ersten Etage eher den Eindruck eines Museums für moderne Kunst verleiht als den eines Modegeschäfts oder eines Buchladens. Am offensichtlichsten wird dies an den Warenständern auf roten Podesten, die einzelne Handtaschen zur Schau stellen. Sie vermitteln den Eindruck, als befände man sich in einer der Kunsthallen nördlich der Seine. Somit wirken die Modeartikel auf dieser Ebene eher wie Ausstellungsstücke in einer Galerie. Die Decke besteht aus schwarzem Stahl und Glas, wodurch so viel Tageslicht wie möglich in das Innere gelangen kann und dadurch der auffallende Teppich besonders zur Geltung kommt. Er ist in Dunkelblau gehalten mit einem Muster aus Stiften, Büchern und leicht geöffneten roten Lippen. Das Tageslicht setzt auch die roten Wände und die versilberte Balustrade in Szene, hinter der die geometrische Anordnung der Einrichtung im Erdgeschoss gut zu erkennen ist.
„Erotische Werke“
Auf dieser Ebene befinden sich die Umkleidekabinen, die mit „erotischen Werken“ ausgestattet sind, damit die Kundinnen „Augenblicke der Selbstfindung“ erleben können, wie ein Unternehmenssprecher es ausdrückt. Beim Storedesign wurde der Geschäftsinnenraum strukturell nicht verändert, die bestehende Ausstattung wurde lediglich überdeckt. Laut offizieller Darstellung der Modemarke handelt es sich um ein Pop-up-Konzept, was aber nicht bedeutet, dass der Laden bereits wieder geschlossen wurde. Dieser wurde im März eröffnet und soll wenigstens ein Jahr lang so bestehen bleiben.
Außerdem dient er als Vorlage für zwei weitere Stores, einen in London und einen in Tokio, die ebenfalls beide das Erscheinungsbild einer Mischung aus Bibliothek und Modegeschäft haben sollen. Vielleicht ist es ein Zeichen des raschen Wandels in allen Bereichen des Einzelhandels, dass Bücher mittlerweile als Wanddekoration in einem Modegeschäft dienen und nicht als Produkte, die ihrer selbst wegen gelesen werden. Auf jeden Fall handelt es sich hierbei um eine der auffälligeren Ladeneinrichtungen dieses Jahres – und derzeit gibt es nur wenige, denen es in gleicher Weise gelingt, etwas völlig anderes zu schaffen. Ob die Intellektuellen, die einst die Rive Gauche bevölkerten, dies für gut halten würden, ist eine andere Frage.
Fotos (3): Sonia Rykiel
Weitere Informationen: www.soniarykiel.com