Die Luxuskaufhäuser dieser Welt sind sich in vielen Fällen berechenbar ähnlich geworden. In der Regel gibt es im Kaufhaus eine Wegeführung, sodass der Kunde auf einem festgelegten Rundkurs die marmorverkleideten Räume durchschreitet, über die eine unüberschaubare Zahl an Concession-Stores verteilt ist. Den Concessions wird in einem gewissen Rahmen die Möglichkeit gegeben, ihre eigene Ladenatmosphäre zu gestalten, sodass die meisten versuchen, ihre Präsentationsflächen noch heller, strahlender und luxuriöser erscheinen zu lassen als die ihrer Nachbarn. Das Ergebnis ist, dass die Identität eines Warenhauses manchmal verlorengeht und alle Geschäfte mehr oder weniger gleich aussehen. Doch es gibt neue Entwicklungen, die sich diesem Status quo verweigern.
Eine davon ist Harvey Nichols in Birmingham. Die aus London stammende Luxus-Warenkette Harvey Nichols betreibt seit 10 Jahren eine Filiale in der zweitgrößten britischen Stadt. Obwohl das Haus in Birmingham eine gute Adresse war, blieb es doch hinter der wesentlich größeren und architektonisch auffälligeren Selfridges-Filiale, die ungefähr zur gleichen Zeit eröffnet wurde, zurück. Doch seit August hat sich die Lage geändert. Harvey Nichols hatte sich entschieden, seinen Ableger in Birmingham so zu modernisieren, dass die Kundschaft mehr Gründe hat vorbeizuschauen. Anlass für diese Entscheidung war wohl auch die Ankündigung, dass im September 2015 eine Filiale von John Lewis eröffnen würde, die erste des neuen Mitbewerbers in Birmingham. Hinzu kommt, dass die Stadt selbst so etwas wie eine Renaissance erlebt, was nicht zuletzt darin zum Ausdruck kommt, dass die Grand Central-Mall ausgebaut wird, die sich unmittelbar über dem Hauptbahnhof New Street, ganz in der Nähe des Standortes von Harvey Nichols befindet.
Somit hatte man bei Harvey Nichols allen Grund, den Einsatz zu erhöhen. Richard Vickery, Leiter der modernisierten Filiale, erklärt es so: „Ich glaube, dass Birmingham zurzeit gewaltig an Popularität gewinnt. Wir erleben wieder einmal äußerst spannende Veränderungen in der Stadt, so ähnlich wie in der Zeit vor zwölf, dreizehn Jahren, als das Bullring Shopping Centre und Selfridges eröffneten.“ Durch die Übernahme eines ehemaligen Sortierzentrums der Post, das sich nebenan befand, wurde die Verkaufsfläche von Harvey Nichols verdoppelt. Die Designberater Virgile + Partners erhielten den Zuschlag für das Projekt und wurden mit der Aufgabe betraut, „einfach etwas anders zu machen“.
Keine Wegeführung
Schon beim Betreten der Filiale wird klar, dass Designchef Carlos Virgile und sein Team ganze Arbeit geleistet haben. Sie haben einen Store gestaltet, in dem von der Wegeführung und den Concessions, die in anderen Geschäften üblich sind, nichts mehr zu erkennen ist. Wenn der Kunde vom Einkaufszentrum aus durch den Haupteingang das Geschäft betritt, gelangt er in eine glamouröse Welt. Der erste Eindruck ist von hellen Lichtern geprägt. Die Kundschaft durchschreitet ein rechteckiges Portal, das mit über 2.500 LED ausgestattet ist und in etwa das Gefühl vermittelt, man befände sich auf einer Hollywood-Gala.
Allerdings bedienen die Veränderungen in keiner Weise einen Retro-Stil, wie sich beim Weitergehen sofort herausstellt. Group Stores Director Paul Finucane erklärt: „Es geht nur um den Kunden, alles ist kundenzentriert. Auch unser neuer Concierge-Service gehört zu einem Plan, den wir überall in der Unternehmensgruppe umsetzen möchten.“ Dieser Service ist in Birmingham in Form einer sehr großen horizontalen Bildschirmwand umgesetzt, über die Produktbilder flimmern und vor der drei skulpturartige Sockel aus dunklem Metall stehen. Oben auf jedem Sockel ist ein kleiner Bildschirm angebracht, über den die Kunden auf das Gesamtangebot von Harvey Nichols zugreifen können. Dies erzeugt eine Atmosphäre, als befände man sich in einem Luxushotel. Das entspricht der Idee von Virgile: Anstatt sich aus dem Repertoire des Einzelhandels zu bedienen, sollten Elemente aus der Hotel- und Gastronomiebranche ins Spiel gebracht werden.
Damit geht es nun zum wichtigsten Erlebnis: dem Geschäft selbst. Auf den ersten Blick scheint hier so etwas wie ein glamouröses, topmodisches Chaos zu herrschen. Während die meisten Kaufhäuser ihre Kunden über mehrere Ebenen und eine festgelegte Wegführung an der angebotenen Ware entlanglotsen, verzichtet Harvey Nichols in Birmingham auf solche Nettigkeiten. Stattdessen vermitteln die Anordnung und ein Großteil der Ausstattung einen organischen Eindruck.
Property Director Barry Tallintire erläutert, dass die gesamte Ladenausstattung maßangefertigt ist. Das scheint nicht gerade das sparsamste Vorgehen bei der Gestaltung eines Verkaufsraums zu sein, aber im Luxussegment gelten andere Regeln. Virgile argumentiert, die Kunden sollten die Möglichkeit haben, ihren Weg durch das Geschäft selbst zu entdecken, anstatt gezwungen zu sein, „endlose Rundgänge“ über die Verkaufsfläche zu absolvieren. Blickt man vom Bereich des „Style Concierge“ kurz hinter dem Eingang in das Ladeninnere, befinden sich Herrenbekleidung sowie eine Bar mit Restaurant auf der linken Seite, Schönheitspflegeprodukte in der Mitte und Damenbekleidung auf der rechten Seite.
Harvey Nichols, Birmingham
Adresse: The Mailbox, 65 Wharfside St, Birmingham
Größe: ca. 4.400 qm
Eröffnung: 31. Juli 2015
Etagen: 1
Design: Virgile + Partners
Verantwortlicher Ladenbauer: Dula-Werke Dustmann & Co. GmbH
Ladenausstattung: Portview
Atmosphäre: Free-flow-Konzept, futuristische Gestaltung
Jeder Bereich wurde unterschiedlich ausgestaltet. Die Atmosphäre im Bar- und Restaurantbereich ist die eines Ortes, an dem sich wohlsituierte Damen zum Essen verabreden: Es gibt dort einen langen Tresen, eine Bar mit Hintergrundbeleuchtung und eine offene Küche, in der die Gäste die Zubereitung ihrer Speisen verfolgen können. Auf einer kleinen, quadratischen Fläche weiter hinten werden Feinkostprodukte von der Art angeboten, die man eher verschenkt als sie sich selbst zu gönnen. Die Herrenabteilung zeichnet sich durch vorwiegend dunkle und metallische Materialien aus. Die Atmosphäre verändert sich abrupt, wenn man die Abteilung mit den Beauty-Produkten betritt. Neben der gewaltigen Marmorfläche, die hier großzügig den Boden bedeckt, ist die Hauptattraktion dieser Abteilung eine futuristische „Beauty Bar“, an der sich die Kundinnen entspannen und verschiedene Kosmetik- und Schönheitsbehandlungen genießen können. Über eine Treppe dahinter erreicht man einen diskreten, nahezu abgeschotteten Bereich, in dem umfangreichere Schönheitsbehandlungen möglich sind. Das Auffälligste in der Beauty-Abteilung sind das strahlend weiße Licht und die weißen Betonwände, deren abgerundete Form an einen Science-Fiction-Film der 1960er-Jahre erinnert.
Dann gibt es noch den Bereich für Damenmode und Accessoires, und wie das gesamte Geschäft lädt auch dieser Bereich zum entspannten Hindurchschlendern und nicht etwa zu einem flotten Vorbeimarschieren ein. Das Highlight ist hierbei wohl die Schuhabteilung: Ein Rahmen aus dunklem Metall mitten auf der Verkaufsfläche bildet die Kulisse für das Warenangebot, während die reflektierende Decke und die rosafarbenen, in Wischtechnik gestalteten Wände dem Schuhkauf eine dekadente Note verleihen.
Das Haus wurde insgesamt komplett umgestaltet, der Verkaufsraum ähnelt weniger dem anderer Luxus-Warenhäuser, die Atmosphäre ist eher die einer Boutique als die einer Sammlung von Concession-Stores, und das Ganze erinnert stark an eine sorgfältig arrangierte Ausstellung.
Fotos (7): Harvey Nichols
Weitere Informationen: www.harveynichols.com