Offenbar hat niemand dem australischen Warenhaus-Riesen Myer gesagt, dass es vielleicht besser wäre, in Zeiten des E-Commerce und der Konsolidierung von stationären Filialnetzen auf die Investitionsbremse zu treten. Das Warenhausunternehmen plant, bis 2015 15 neue Häuser in Städten um 250.000 Einwohner zu eröffnen, und es plant zusätzlich noch die Eröffnung weiterer Themen-Häuser. Aber nicht nur das. Im April dieses Jahres hat Myer sein legendäres Warenhaus in Melbourne nach Totalumbau in einem spektakulären neuen Design wiedereröffnet.
Bei laufendem Betrieb wurden einige Abteilungen geschlossen und gleichzeitig andere dafür neu eröffnet, denn der Verkauf und der Umsatz sollten unbedingt weiter gehen. Die Kosten für den Umbau, die mit 300 Mio. Australischer Dollar (rd. 220 Mio. Euro) beziffert werden, wurden dadurch generiert, dass man das Warenhaus vorher an ein Investoren-Konsortium verkauft hatte.
Im Zuge des Umbaus wurden zwei bisher separate Gebäudeblöcke zu einem zusammengeschlossen. Das Design des Umbaus bezog seine Inspirationen von nichts Geringerem als den internationalen Weltklasse-Warenhäusern. Das Ergebnis ist ein modernes Warenhaus mit neun lichtdurchfluteten Ebenen, einem zentralen Atrium und vielen begehrten Luxusmarken im Angebot.
Entwickelt und umgesetzt wurde das neue Design von dem in Melbourne ansässigen Unternehmen NH Architecture. Bereits die neue Außenansicht erregt Aufsehen. Hier fällt der Blick sofort auf das goldene Dach mit kristallin anmutender Glasfacetten-Struktur. Hinter dieser Dach-Architektur befindet sich im Obergeschoss ein neuer Veranstaltungsbereich. Die Architektur besteht aus goldfarbenen Metallrahmen und Glas und hat die Aufgabe, einen spektakulären Rahmen für bewusst inszenierte Ausblicke auf die City von Melbourne zu bieten.
Art-déco-Aufzüge
Das ausgesprochen moderne neue Design hat traditionelle und historische Elemente des alten Warenhauses integriert. So wurde die historische Fassade erhalten und restauriert. Ebenso wie die in Melbourne sehr bekannte Mural Hall, ein Festsaal, der aus den 1950er-Jahren stammt und mit Wandgemälden geschmückt ist. Auch die Aufzüge aus der Zeit des Art déco mit ihren Marmoreinfassungen und ihren Metall-Dekorationen wurden restauriert. Erhalten blieb auch das hundert Jahre alte Rohrpostsystem an den Kassen. Auf einigen Etagen wurden Leuchtkästen installiert, in denen historische Fotos des alten Warenhauses ausgestellt sind. Das alte Warenhaus erstreckte sich über zwei Straßenblöcke und insgesamt 100.000 qm. Die ältesten Gebäudeteile stammen aus dem Jahre 1911. Während der folgenden 100 Jahre waren immer wieder neue Gebäudeteile integriert worden.
Vor dem Umbau wurde im Unternehmen Myer eine Projektgruppe aufgestellt, die genau herausfinden sollte, wie der typische Myer-Kunde aus Melbourne beschaffen ist und dann detailliert definieren sollte, welche Anforderungen das neue Kaufhaus zu erfüllen hätte. Bei der Planung arbeitete das Design-Team von Myer eng mit den jeweiligen Abteilungsleitern des Warenhauses zusammen, um immer den Praxisbezug zu wahren. Während dieser sechsmonatigen Planungsphase wurde genau bestimmt, wo welches Produkt platziert werden sollte, und für jede Abteilung wurden detaillierte Design-Guidelines ausgearbeitet.
Um den Freiraum für das neue große Atrium zu schaffen, wurden über die Etagen hinweg insgesamt 7.500 qm Boden entfernt. Das Atrium zieht sich über sieben Etagen und hat die Hauptaufgabe, die Kunden in alle insgesamt neun Ebenen des Warenhauses zu locken, also das Gebäude zu erschließen. Das rechteckige Atrium wird von einem großen Oberlicht überspannt und lässt das Tageslicht bis ins Erdgeschoss einfließen. Dort, im Erdgeschoss, befindet sich in der Mitte des Atriums eine dramatische Verkaufsinszenierung, welche die teuersten und feinsten Düfte der Welt feilbietet. „Wir standen ziemlich im Kreuzfeuer, als wir sagten, wir wollen für das Atrium so viel Verkaufsfläche ‚opfern’“, sagt Bernie Brooks, CEO von Myer. „Auch mir war klar, dass dies ein Risiko war, vor allem, weil wir sowieso beschlossen hatten, im Zuge der Renovierung die Verkaufsfläche insgesamt zu verkleinern. Aber wir wollten einen Wow-Faktor.“
Beratungs-Salon
Auch die anderen Details des neuen Store Designs können sich sehen lassen. Edle Materialien wurden in der Architektur, aber auch in den Ladenmöbeln und den Umkleiden verarbeitet: Marmor in Weiß-, Grau- und
Schwarz-Schattierungen, Hölzer in unterschiedlichen Tönungen, Bambus, Porzellan, Chrom, Glas und Spiegel. An den Wänden wurden Tapeten und Stoffbespannungen verarbeitet, die der Warenpräsentation einen weichen, warmen Hintergrund verleihen.
Ganz besonders wird das neue Store Design von Myer Melbourne durch die kühne Deckenkonstruktion geprägt. Die prismenartige, geometrische Struktur wird auch hier aufgenommen mit steigenden und fallenden Linien und spitzen Winkeln, die dynamisch aufeinandertreffen – gebaut aus einer Holzlamellen-Struktur, in die Neonröhren für die Beleuchtung integriert sind. Kombiniert ist diese Grundbeleuchtung mit Spots, die sich der Warenpräsentation variabel anpassen können.
Einzelne Schlüsselsortimente aber sind nicht dem Gebot der Variabilität in der Präsentation unterworfen. Für sie wurden spezielle Verkaufsumgebungen geschaffen, zum Beispiel für den Bereich der Luxusmarken in der Damenmode mit Namen wie Givenchy oder Balmain. In diesem Bereich gibt es ein Personal-Shopping-„Büro“. Dort kann man feste Beratungstermine ausmachen und sich mit dem Berater in einem separaten Salon treffen.
Für das neue Store Design von Myer Melbourne wurden insgesamt 260 neue Typen von Laden- und Präsentationsmöbeln kreiert. Praktisch jede Ebene und jede Abteilung bekam ein spezielles System. In der Konsequenz hat Myer damit ein vollständig neues und exklusives Warenpräsentations-Programm.
Im gesamten Haus finden sich individuelle Gestaltungen, zum Beispiel ein DJ-Wohnwagen in der Young-Fashion-Abteilung im Basement. Zu den individuellen Gestaltungen zählt auch „Bernie the Bunyip“ in der Kinderbuchabteilung. Bernie the Bunyip ist eine in Australien bekannte Fantasie-Figur, halb Kaninchen, halb Hund. In der Kinderbuchabteilung steht ein riesengroßer, interaktiver Lese-Bunyip, auf den sich die Kinder zum Lesen setzen können.
Während der dreijährigen Renovierungsarbeiten sank der Jahresumsatz von Myer Melbourne auf 220 Mio. Australischer Dollar. Das renovierte Haus hat nun eine Umsatzvorgabe von mindestens 300 Mio. Australischer Dollar Jahresumsatz. Dies soll vorrangig durch eine Erhöhung der Flächenproduktivität pro Quadratmeter um 30 Prozent erreicht werden. Aus diesem Grunde wurde die von Brooks erwähnte Reduzierung der Verkaufsfläche um 20 Prozent vorgenommen. Bernie Brooks kann denn auch berichten, dass seit die Renovierungsarbeiten abgeschlossen sind, der Umsatz von Woche zu Woche steige. Doch ist diese gute Meldung eingebettet in ein rückläufiges, verhaltenes Konsum- und Handelsklima in Australien, das Brooks Sorge bereitet.
Brooks glaubt aber fest an die Zukunft des physischen Handelsgeschäfts, auch wenn Myer sich natürlich im Online-Geschäft engagiert. Angesprochen auf die 15 geplanten Neueröffnungen, sagt Brooks: „In einigen Gebieten von Australien sind wir bisher noch schwach vertreten. Gute Standorte versprechen auch heute noch ein lukratives und profitables stationäres Geschäft.“
Viel Potenzial – kein Kapital
Bernie Brooks, CEO des australischen Warenhausunternehmens Myer, berichtet von der aufwendigen Renovierung des Hauses in Melbourne – und warum sie sich gelohnt hat.
Warum haben Sie die umfassende Renovierung in einem Schub gemacht?
Zunächst einmal: Das Myer-Warenhaus in Melbourne ist sowohl für unser Unternehmen als auch für die Stadt bedeutend. Aber es wurde in den 1930er-Jahren das letzte Mal richtig renoviert. Das Problem war, dass das Warenhaus zwar enormes Potenzial hatte, aber kein Kapital für die Renovierung da war. Der Verkauf war deshalb notwendig. Wir haben das Haus aus zwei Gründen in einem Schub renoviert: erstens, weil wir der Meinung waren, dass eine Renovierung, die länger als drei Jahre gedauert hätte, den langsamen Tod bedeutet hätte. Und zweitens gab es in dem alten Gebäude so viel Asbest, dass wir die umfangreichste Asbest-Entsorgung in der Geschichte Australiens durchziehen mussten.
Woher haben Sie Ihre Design-Ideen bezogen?
Wir sind um die Welt gereist, haben Design- und Innovations-Ideen gesammelt und haben uns von allem inspirieren lassen, von dem wir das Gefühl hatten, das würde in das Warenhaus in Melbourne passen. Ich würde sagen, 75 Prozent des neuen Store Designs entstammt Vorlagen aus den besten Warenhäusern der Welt, die wir gesehen haben, und die restlichen 25 Prozent sind eigene Ideen. Unsere Kosmetikabteilung beruht auf Einflüssen aus Seoul, Tokio und Singapur. Unser Personal-Shopping-Ansatz beruht auf dem, was wir in Warenhäusern wie Neiman Marcus gesehen haben. Und was die Gesamtwirkung angeht, haben wir uns an Häusern wie Selfridges und den Galéries Lafayette orientiert.
Warum ist das Warenhaus in Melbourne so wichtig für Myer?
Obwohl das Haus historisch gesehen nicht das erste Warenhaus von Myer ist, ist es aber seit 1911 das Flaggschiff des Unternehmens. Heute steht Myer Melbourne für 10 Prozent des Unternehmens-Umsatzes und für 10 bis 15 Prozent des Gewinns. Es ist das Haus, an das jeder als Erstes denkt, wenn er Myer hört. Wir haben hier im Schnitt 500.000 Besucher pro Woche. Über die Wiedereröffnung wurde im Fernsehen landesweit 30 Minuten live berichtet, in der Gegend um Melbourne sogar eine Stunde lang. Wir sind auch eine Shopping-Destination für internationale Celebrities. Vor kurzem hat uns zum Beispiel Katy Perry besucht, ebenso wie Brian Ferry.