Drei Etagen des Flagshipstores von Selfridges in London wurden in diesem Frühjahr nach einem speziellen Konzept gestaltet, das komplett auf geschlechtsspezifische Zuschreibungen verzichtet. Im Rahmen der Kampagne arbeitete das Unternehmen mit der Designerin Faye Toogood zusammen. Selfridges beschreibt die Initiative als „ein Experiment, um einen Diskurs über Geschlechterrollen in Mode und Einzelhandel in Gang zu bringen“.
Toogood erschuf aus Metallstreben und Maschendraht ein lineares Storedesign. Display-Figuren wurden sowohl aus den Schaufenstern als auch von der Fläche entfernt. Online präsentierten männliche und weibliche Modelle Herrenmode, Damenmode und Unisex-Kleidung. Von den Mode-, Beauty- und Lifestyle-Produkten in den jeweiligen Bereichen wurden sämtliche Markenkennzeichnungen entfernt. Kleidung und Accessoires von über 40 Marken wurden in schlichten Kleidersäcken und braunen Schachteln ausgestellt, um die Ware zu „demokratisieren“ und ihr sämtliche Hinweise auf die geschlechtsspezifische Zielgruppe zu nehmen.
Unisex-Mode
„Im 21. Jahrhundert sind wir uns zunehmend bewusst, dass wir eine Zweiteilung der Geschlechterrollen nicht brauchen und dass die Art und Weise, wie wir uns als Individuen präsentieren möchten, nicht durch die künstliche Spaltung eingeschränkt werden darf, die von der Gesellschaft im Allgemeinen und dem Handel im Besonderen vorgegeben wird“, so das Statement von Faye Toogood. „Indem wir die Marken, die Geschlechterunterschiede und die Werbemittel entfernen, geben wir der Kleidung die Möglichkeit, für sich selbst zu sprechen.“
Selfridges erklärt, dass der Produktmix für „Agender“ auf einer „echten Unisex-Ausstattung“ beruhte, die Grundlage jeder Garderobe sein könne. Dazu zählten Streetwear- ebenso wie Avantgarde-Stücke und Haute-Couture-Kollektionen – von Ann Demeulemeester bis zu Yohji Yamamoto, nicht zu vergessen Rad Hourani, der auf der Modenschau „Paris Haute Couture“ eine Unisex-Kollektion präsentierte. Im März und April arbeitete Selfridges mit Mitwirkenden daran, das Projekt im Laden und im Onlineshop lebendig werden zu lassen – durch Design, Musik, Film und Fotografie, unter Mitwirkung von Designern, Fotografen, Redakteuren, Grafik-Gestaltern und Stylisten.
„Durch ‚Agender‘ haben wir den Kontext des Einkaufens im Geschäft und im Onlineshop verändert, durch die Entfernung geschlechtsspezifischer Merkmale geben wir unseren Kunden die Freiheit, ihre Entscheidungen rein auf Grundlage ihres persönlichen Geschmacks zu treffen“, erklärt Linda Hewson, Creative Director bei Selfridges den Hintergrund dieser Initiative. „Für uns bedeutet ‚Agender‘ nicht, einen Trend für unsere Zwecke zu nutzen, sondern wir knüpfen an eine geistige Haltung an, wir erkennen einen kulturellen Wandel, der sich gerade jetzt zeigt, und wir reagieren darauf.“ Hewson erklärt, dass das Projekt als Prüfstein für weitere Experimente rund um Geschlechtervorstellungen dienen soll, „damit der Einzelhandel die Art, wie wir Kleidung kaufen, weiterentwickeln kann.“
Um diese geschlechtsneutrale Haltung auszudrücken, hat Selfridges zusammen mit Faye Toogood eine Umgebung gestaltet, die ebenfalls keinerlei geschlechtsspezifische Hinweise enthält und absichtlich schlicht und einfach gehalten ist. Im ersten Stock kamen Materialien wie vulkanisiertes Gummi und Latex in Rosa- und Pinktönen zum Einsatz – dort fanden sich auch abstrakte Skulpturen. Mit Hilfe von Kreppband wurden Texte gestaltet und Logos ersetzt, und sämtliche Produkte wurden mit denselben Etiketten gekennzeichnet.
Aus Rosshaar, Stahl und Beton entstand eine Etage höher eine dunklere Umgebung, wenngleich beide Bereiche mit denselben Metallrahmen und Leuchtstoffröhren ausgestattet waren. Im zweiten Stock präsentierte ein Popup-Store der Schuhmarke Underground Produkte in Regalen aus schwarzen Metallstangen. „Die Materialien Beton, Rosshaar und Gummi wirken ursprünglich und roh“, erläutert Toogood. „Es geht darum, dass der oberflächliche Firnis der Markenpräsentation abgestreift werden soll, um etwas Natürliches freizulegen, das darunter verborgen ist.“
Keine Display-Figuren
Im Rahmen der Kampagne wurden zum ersten Mal in der Geschichte der Kaufhauskette sämtliche Schaufensterfiguren entfernt. Stattdessen wurden nicht eindeutig geschlechtsspezifische Kleidungsstücke auf neue Weise präsentiert: über Bänder drapiert, an Stangen aufgestapelt oder von Möbelstücken herabhängend. Zu den bisherigen Einzelhandelsprojekten von Faye Toogood zählen die Londoner Boutique Hostem, die mit ihrem Design an einen Nachtclub erinnern soll sowie das Modegeschäft Mahani in Dubai, das rohen Beton mit farbenfrohen Stoffen verbindet.
Selfridges ist für seine Kampagnen und seine Werbung bekannt und beschreibt „Agender“ als ein Mode-Experiment zur Erforschung dessen, was maskulin, feminin oder „von beidem ein bisschen“ ist. Selfridges nimmt Abstand von der traditionellen Zweiteilung der Geschlechterrollen in Gesellschaft und Mode. Dabei nimmt das Unternehmen seine Kunden mit auf eine Reise, auf der sie frei und unbelastet durch Stereotype auswählen können, was sie kaufen und was sie tragen möchten.
Während die „geschlechtsfreie“ Einstellung zu Mode und Styling zunehmend die Mitte der Gesellschaft erreicht, möchte Selfridges mit „Agender“ nach eigenen Angaben ausprobieren, wie sich diese Kauferfahrung weiterentwickeln und verbessern lässt. Dieser tiefgreifende Wandel zeigt sich in eigens kreierten und kuratierten Kollektionen sowie durch ein beginnendes Umdenken in Bezug auf die Einkaufsumgebung im Laden und im Onlineshop, wo Kleidung nicht mehr den vorgegebenen geschlechtsspezifischen Wertvorstellungen unterworfen wird, damit Mode eine authentische Selbstdarstellung ermöglicht. Neben der Filiale in der Oxford Street ist geschlechtsneutrales Einkaufen auch auf der Website des Kaufhauskonzerns sowie in den Selfridges-Filialen Manchester und Birmingham möglich.
Fotos (3): Selfridges
Weitere Informationen: www.selfridges.com