Handelsgastronomie entwickelt sich zum Megatrend im deutschen Handel. Mehr als 9 Mrd. Euro Umsatz werden laut Markterhebung des EHI jährlich mit handelsgastronomischen Angeboten an rund 33.000 Standorten erzielt. Ein Ziel vieler Händler ist es, durch Erlebnisgastronomie mehr Frequenz in die Häuser zu bringen und unrentable Flächen produktiver zu nutzen. Dabei gehen die Händler sehr kundenfokussiert vor – ein Kernergebnis der EHI-Studie, dass durch die Referenten auf dem Kongress bestätigt wurde.
Urs Bischof, Geschäftsführer der zum Karstadt-Konzern gehörenden Le Buffet Restaurant & Café Gesellschaft GmbH, betonte in seinem Vortrag die Wichtigkeit lokaler Konzepte. Dennoch sei es unerlässlich, dass ein Großteil der Prozesse in den Restaurants standardisiert ablaufe. Synergie-Effekte lassen sich bei Filialunternehmen zum Beispiel durch eine Vorbereitungsküche erzielen, in der einzelne Herstellungsprozesse wie Schneiden von Gemüse oder Zubereitung von Suppen oder Saucen für alle gastronomischen Einrichtungen des Händlers zentralisiert werden.
Genau das plant die Engelhorn Gastro GmbH in Mannheim für ihre derzeit 9 gastronomischen Betriebe. Das Unternehmen hat kürzlich in Mannheim eine große Halle gekauft, von der aus künftig alle gastronomischen Einrichtungen in den Mode- und Sporthäusern mit vorbereiteten Lebensmittelprodukten beliefert werden, berichtete Geschäftsführer Tristan Brandt. Das Highlight der Engelhorn-Gastronomie ist seit 2013 das Gourmet-Restaurant Opus V. „Casual fine dining“, auf hohem Niveau entspannt und gut essen, lautet die Strategie des Zwei-Sterne-Restaurants. Alle Engelhorn-Restaurants haben ihre eigene Handschrift, darunter das Fischrestaurant „Le Corange“, das Street Food Restaurant „Dachgarten“, das Bistro, die Vinothek und die Champagner-Bar.
Engpass Personal
Köche sowie Service-Kräfte zu finden und zu halten, stellt für rund zwei Drittel der vom EHI befragten Handelsgastronomen die größte Herausforderung dar. Gleichzeitig ist passendes, motiviertes Personal einer der wichtigsten Erfolgsfaktoren, denn freundliches Service-Personal kann das Geschäft beleben.
Ein wertegetriebenes Management erlaubt es dem Migros-Genossenschafts-Bund, die Herausforderung der Personalsuche erfolgreich meistern zu können. Im Sinne des Schweizer Unternehmers Gottlieb Duttweiler rückt die Migros den Mensch in den Mittelpunkt seines Wirtschaftens. Wertschätzung, Respekt, Vertrauen und Eigenverantwortung sind die zentralen Grundsätze ihrer Personalpolitik. So setzt die Migros auf einen partizipativen Führungsstil und fördert die Entwicklung ihrer Mitarbeiter. „Damit die Mitarbeiter sich entwickeln wollen, brauchen sie auch Themen, an denen sie wachsen können“, sagt Sandro Bedin, Leiter Gastronomie beim Migros-Genossenschafts-Bund. „Wir fangen an, Mitarbeiter in Projekte zu integrieren und sie eng zu begleiten“, so Bedin. Zukünftiges Personal spricht die Migros über soziale Medien mit digitalen Stelleninseraten an, in denen Angestellte ihre beruflichen Tätigkeiten beschreiben und die wichtigsten Fragen der Bewerber bereits vorab beantworten. Ziel des Genossenschaftsverbunds ist es, ein Zugehörigkeitsgefühl zu erzeugen. Mit ihrer Unternehmenskultur gelingt es der Migros, ihre Mitarbeiter an sich zu binden und mit deren Ideen als Unternehmen „wachsen“ zu können.
Selbstbedienung vs. Bedienung
Eine Frage, die sich Händler vor der Einführung eines gastronomischen Konzepts stellen müssen, lautet: Biete ich dem Kunden einen Bedienungsservice oder setze ich auf Selbstbedienung (SB)? Aus Sicht des Gastes punktet die SB mit Geschwindigkeit, freier Auswahl und günstigen Preisen, für die Bedienung sprechen Bequemlichkeit, Beratung und eine höhere Qualität. Tatsächlich sei die SB auch mit Warteschlangen und der Platzsuche verbunden, meint Ralf Hauschild, Geschäftsführer der Porta Gaststätten GmbH. Dafür sparen Konsumenten die Kosten für den Service und können die Portionsgrößen der Gerichte stärker beeinflussen.
Für Betreiber bedeuten SB-Konzepte zwar einen geringeren Personalaufwand, jedoch müssen sie in aller Regel mehr in die technische Ausstattung investieren. Zudem sei es schwieriger, Zusatzkäufe zu generieren, erklärt Hauschild. Leichter sei dies bei Bedienungskonzepten, bei denen außerdem die Warenpräsentation weniger aufwändig ist. Porta setzt mittlerweile auf einen „Semiservice“ mit Pager, mit dem die Kunden nach der Auswahl an z. B. Frontcooking-Stationen zahlt und sein Gericht vom „Foodrunner“ serviert bekommt. Dennoch entscheidet sich die Mehrheit der Händler für gastronomische Konzepte in Selbstbedienung. So auch das Möbelhaus Ikea.
Traditionelles neu erfinden
„Es ist schwierig, mit hungrigen Besuchern Geschäfte zu machen“, war sich Ikea-Gründer Ingvar Kamprad sicher. Insgesamt zählt das schwedische Möbelhaus vier gastronomische Konzepte: Das Restaurant, das Bistro, den Supermarkt „Schwedenshop“ und das Mitarbeiterrestaurant. 2017 erzielte die Sparte „Food“ 230,5 Mio. Euro Umsatz in Deutschland. Zum Vergleich: Der Gesamtumsatz in Deutschland lag mit 4,87 Mrd. Euro deutlich höher. Eine strategische Entscheidung: „ Es geht darum, den Verkauf von Einrichtungsgegenständen zu unterstützen und das schwedische Profil außerhalb Skandinaviens zu stärken,“ erklärt Stavroula Ekoutsidou, Country Manager bei Ikea Food Germany. Damit das Food-Angebot attraktiv bleibt, setzt das fast 75 Jahre alte Unternehmen neben den Klassikern auf Food-Trends. „Beliebte Produkte sollten nicht geändert werden“, sagt Ekoutsidou. Stattdessen solle man Traditionelles stets „trendig“ weiterentwickeln. Im Zuge des Trends von fleischlosen Gerichten hat Ikea Gemüsebällchen eingeführt.
Food ist das neue Selfie
Nicht zu unterschätzen sei ein durchdachter Social Media Auftritt, weshalb Le Buffet seine Strategie änderte und seine sozialen Netzwerke neu aufbaute. „Food ist das neue Selfie“, erklärt Bischof, verweist allerdings auch darauf, dass das Kerngeschäft stets der Fokus sein sollte: „Eine schlechte Strategie digital umzusetzen, hilft nicht.“ Die servierten Speisen können bei der richtigen Präsentation den Auftritt in sozialen Netzwerken zusätzlich stärken. „Das Essen sollte so arrangiert sein, dass Kunden es auf Instagram posten wollen“, sagt Jonathan Doughty, Global Head of Foodservice, ECE Projektmanagement GmbH & Co. KG. Der Gastronomie-Experte betont, dass das passende Ambiente in der Gastronomie die Frequenz und Verweildauer erhöht.
Supermarkt und Gastronomie wachsen zusammen
Vor allem im Lebensmittelhandel ist beobachten, wie Supermarkt und gastronomische Angebote wachsen zusammen. „Wir betreiben in unseren SB-Warenhäusern Gastronomie mit angeschlossenem Supermarkt“, sagte Markus Nippold, Leiter Gastronomie und Produktentwicklung bei Globus SB-Warenhaus. Bei den neuen bzw. renovierten Häusern in Koblenz, Rüsselsheim und Güdingen setzt Globus auf eine Mischung aus SB und Frontcooking. Geschnittenes Obst und Gemüse, Blattsalate, Pasta und Pizza werden aus dem Restaurant in einer SB-Kühltheke nach vorne in den Markt hinein verkauft.
Fazit
Alle Referenten des Kongresses bescheinigten der Handelsgastronomie glänzende Zukunftsperspektiven. Sie schafft Wohlfühlatmosphäre für den Kunden und eignet sich als Differenzierungsstrategie gegenüber Discount- und Online-Angeboten. Jörg Dornseifer, Geschäftsführer der Unternehmensgruppe Friedhelm Dornseifer brachte es auf den Punkt. „Handel wird zukünftig nicht mehr ohne Gastronomie auskommen.“
Der EHI Handelsgastronomie Kongress 2019 findet am 4. und 5. Juli statt, voraussichtlich erneut in Düsseldorf.
Fotos (8): EHI/Axel Schulten
Weitere Informationen: redaktion@ehi.org und www.handelsgastronomie.de