Ikea möbelt Supermarkt auf

Wurst, Käse und Köttbullar, Brot, Butter und ein Billy-Regal: Eine rd. 20-minütige Fährfahrt von der 7,5-Mio.-Einwohner-Metropole Hongkong entfernt, gibt es all das jetzt unter einem Dach. In Discovery Bay auf Lantau Island, einer kleinen Insel im südchinesischen Meer, experimentiert Ikea mit einem neuen Handelsformat, einer Kombination aus Möbelhaus und LEH, einer Mini-Ikea-Filiale im Supermarkt.

Überschaubares Vor-Ort- Sortiment trifft digitale Erweiterung
Foto: Dairy Farm

Das Kleinflächenkonzept „Ikea Close to you“ ist eine Art Shop-in-Shop-System im Lebensmittelhandel, und sein Name ist Programm: Der Möbelhausbetreiber rückt näher ran an seine Kundinnen und Kunden – weg von der grünen Wiese, dem Gewerbegebiet an der Autobahnausfahrt, mitten rein in die Lebenswelt und -wirklichkeit der Verbraucher:innen vor Ort. Der Shortcut zu den Kunden.

Hej, Hongkong!

Close to you: Ikea, erstmals eingebettet in einen Market Place.
Foto: Dairy Farm

Für seine weltweit erste „Ikea Close to you“-Filiale hat Ikea einen recht exotischen Standort gewählt: ein Wohngebiet auf einem kleinen Eiland, rd. 12 km vor der Küste der chinesischen Sonderverwaltungszone Hongkong gelegen. Die Discovery Bay genannte Siedlung auf Lantau Island erinnert an eine überdimensionierte Ferienclub-Anlage. Sie ist bekannt für ihre internationale, kosmopolitische Bevölkerung, darunter etliche Expatriates aus dem Westen.

Der Ikea-Shop-in-Shop ist optisch klar abgegrenzt vom restlichen Markt, das Look & Feel sowie das Corporate Design sind typisch Ikea – vom hellgrauen Fußbodenbelag bis hin zur Deckenbeleuchtung, vom Mobiliar bis hin zu den Filialmitarbeitenden im blau-gelb gestreiften Einheitsdress. Auf einer Fläche von überschaubaren 280 qm finden Konsumentinnen und Konsumenten ein kuratiertes, exakt auf die Zielgruppe zugeschnittenes Sortiment: rd. 110 Möbel und Einrichtungsgegenstände sowie rd. 120 schwedische Lebensmittelspezialitäten, darunter Kottbüllar-Fleischbällchen, Tiefkühllachs sowie Soßen, Gewürze und Süßigkeiten.

Instore- und Omnichannel-Technologie

Bereits von Weitem sichtbar, weisen grellweiße Leuchtbuchstaben den Weg in die „Ikea Food“-Ecke. Um den Insulanern das gesamte Ikea-Produktportfolio anbieten zu können, setzt das Unternehmen auf smarte Instore-Technologien und Omnichannel-Elemente, also die intelligente Vernetzung von On- und Offline-Vertriebskanal.

Eine Ikea-Food-Ecke ist Teil des Angebots.
Foto: Silvia Flier

Teil dieser Digitalisierungsoffensive sind unter anderem Schließfächer zur Selbstabholung, die flexible Pick-up-Zeiten und einen kostenlosen Versand ermöglichen. Darüber hinaus gibt es einen 2 m hohen, interaktiven Bildschirm mit 50 Einrichtungsinspirationen, „Digital Experience for Furnishing Inspiration“ genannt, sowie einen „Swedish Cooking Interactive Screen“ mit kostenlosen Kochrezepten.

Line-Extension

Eingebettet ist der Tiny Store à la Ikea in einen insgesamt 1.615 qm großen Supermarkt des LEH-Filialisten „Market Place“. Für Hongkonger Verhältnisse, wo Platz ein rares und teures Gut ist, entspricht das durchaus dem, was hierzulande ein SB-Warenhaus beziehungsweise Hypermarkt ist. Market Place ist eine Highend-Lebensmittelkette im Premiumsegment. Das Sortiment in Discovery Bay ist angepasst an Menschen mit westlichen Konsumgewohnheiten und zeichnet sich durch etliche Bioprodukte sowie eine Vielzahl veganer, gluten-, zucker- und zusatzstofffreier Lebensmittel aus. Highlights sind eine Nuss- und Kerne-Bar mit mehr als 40 verschiedenen Sorten sowie eine „Dog-Treat-Bar“ mit diversen Hunde-Leckerlis, jeweils zur müllvermeidenden Selbstabfüllung.

Market Place gehört zum panasiatischen Handelskonzern Dairy Farm International (DFI Retail Group), der auch die rd. 20 Ikea-Einrichtungshäuser in Hongkong, Macau, Taiwan und Indonesien als Franchisenehmer betreibt. Weitere DFI-Vertriebslinien sind u. a. Convenience-Stores der Marke 7-Eleven, die Supermarktkette Wellcome sowie der Drogerie-Filialist Mannings.

Da Dairy Farm beide Vertriebsschienen betreibt – sowohl Ikea als auch Market Place – hat das Unternehmen größtmögliche Flexibilität sowie die Möglichkeit, mit beiden Konzepten zu spielen und diese testweise zu kombinieren. Das Unternehmen will damit nach eigener Aussage „das Beste aus beiden Branchen verbinden und ein Lifestyle-One-Stop-Shopping ermöglichen“. Die Ikea-Fläche wird stark frequentiert, das Konzept kommt gut an – und könnte Schule machen.

Ikea sagt Hello auf Schwedisch.
Foto: Silvia Flier

Ikea goes Pop-up

Denn die asiatische Strategie passt perfekt zu Ikeas derzeitiger internationaler Experimentierlust. Der schwedische Möbelhausbetreiber erprobt inzwischen weltweit verschiedene Store- Konzepte und Handelsformate, darunter auch Kleinflächen-Filialen in 1a-Innenstadtlagen sowie zeitlich befristete Pop-up-Stores. Zuletzt machte Ikea Deutschland mit zwei Pop-up-Stores in Wolfsburg und Ravensburg von sich reden.

Trendsetter war gewissermaßen auch hier Hongkong: Bereits im Frühjahr 2021 hatte Ikea unter Dairy-Farm-Regie im Hongkonger Stadtteil Causeway Bay einen Mini-Laden auf Zeit eröffnet. Causeway Bay ist eines der teuersten und meistfrequentierten Einkaufsviertel der Welt. Ikeas strategisches Ziel ist es, die Menschen dort abzuholen, wo sie wohnen, arbeiten und leben und so die bestehende Kundschaft besser zu erreichen, neue, urbane Käuferschichten zu gewinnen, die Markenbindung zu festigen und das Image zu schärfen.

Hongkong eignet sich für solche Experimente besonders gut, insbesondere auf Mikro-Flächen: Die Stadt ist nach wie vor die führende Einzelhandelsmetropole Asiens mit den höchsten Ladenmieten und den teuersten Einkaufsstraßen der Welt.