Das Visual Merchandising reagiert in besonders sensiblem Maße auf neue ästhetische und technische Trends, muss diese integrieren, widerspiegeln und bedienen. Und hier spielt auch das Internet heute eine große Rolle. David Bosshart vom Gottlieb Duttweiler Institut stellt fest, dass oftmals die virtuelle Welt der „Treiber“ für neue Entwicklungen ist. Das kann Meinrad Feuchter vom Schweizer Warenhaus-
unternehmen Loeb nur bestätigen. Er vertritt die Ansicht, dass nur das Handelsunternehmen erfolgreich sein kann, das es schafft, seine neuen virtuellen „Freunde“ mit gezieltem Customer Relationship Management auch in die reale Welt der Fußgängerzonen und Shoppingmalls zu locken. Das Visual Merchandising hat dann die durchaus dankbare Aufgabe, diese neuen Freunde mit visuellen „Geschenken“ zu empfangen und willkommen zu heißen. Eine wirkungsvolle Methode sind Live-Perfomances. Eine andere Möglichkeit sind Cross-Promotions, also Kooperationen unterschiedlicher Partner. Das muss keinesfalls immer die Industrie sein. Spektakuläre Ergebnisse lassen sich durch die Zusammenarbeit mit Theatern oder Museen erzielen. Kultureinrichtungen sind zu Kooperationen bereit, weil sie im Handel ein Publikum neugierig machen können, das sonst nie ein Museum oder Theater betritt. Der Händler bekommt zum Beispiel Exponate zur Verfügung gestellt und kann durch solche Inszenierungen viel Aufmerksamkeit erzielen und sich selbst „kulturell aufwerten“.
Zwischen dem Warenhaus Loeb in Bern und dem Historischen Museum Bern gab es 2010 eine solche Kooperation anlässlich der Ausstellung „James Cook und die Entdeckung der Südsee“. Loeb gestaltete eine interessante Schaufensterfront zu dem Thema und dazu Events. So gab es für die Kunden eine Verkostung, für die Speisen der damaligen Seefahrer nachgekocht wurden; es gab Sauerkraut, Erbsensuppe und Schiffspudding, angeblich nach Originalrezepten. Bilder der Schaufenster und Aktionen sowie zahlreicher weiterer Events stellt Loeb auf seine Website (www.loeb.ch). Auch Karstadt in Frankfurt am Main dekorierte seine Schaufenster mit Exponaten der Ausstellung „Bunte Götter“ des Frankfurter Museums Liebieghaus.
Modulare Systeme
Ein weiterer Trend der Zeit ist die Globalisierung. Wie wirkt sich diese auf das Visual Merchandising aus? Eine Antwort lautet: Global denken, regional handeln und lokal leben. Zu beobachten ist neben den vielen großen Filialisten auch eine regionale Ausprägung der Handelslandschaft mit „Local Heroes“ wie zum Beispiel Engelhorn in Mannheim. Ein weiteres Beispiel ist der Textilit Klingenthal in Ostwestfalen. Dieser hat in seiner Filiale in Herford mit Trendwerk ein tatsächlich sehr trendiges, modernes und geschmacklich fein differenziertes Konzept eröffnet. Das verraten schon die Abteilungsnamen wie „Chaotic City“, „In the Wood“ oder „Deep in the Orient“. Jede Stilrichtung wurde sorgfältig inszeniert von der Warenpräsentation über die Dekoration bis hin zur Gestaltung der Umkleidekabinen. Diese Detailverliebtheit gibt dem Kunden das sichere Gefühl, dass sich die Provinz nicht „provinziell“ versteht, sondern als Teil einer sich immer schneller vernetzenden Welt. Was bedeutet dies für das Visual Merchandising? Antwort: Die Verknüpfung zwischen visuellem Marketing und Ladenbau wird noch intensiver. Vom Ladenbau wird erwartet, eine perfekte „Bühnenausstattung“ zu kreieren, die vom visuellen Marketing ständig mit neuen Inhalten und Inszenierungen „bespielt“ wird. Eine wichtige Rolle dabei übernehmen modulare Ladenbausysteme, die sich mit wenig Aufwand immer wieder leicht umbauen und mit denen sich verschiedene Themen darstellen lassen. Vorgemacht haben dies die Automobilhersteller, die auf einer Plattform verschiedene Modelle entwickeln, die der Kunde sich auch optisch aus einem Baukastensystem gefühlt sehr individuell zusammensetzen kann.
Für die Innenarchitektur bedeutet dies das Kreieren intelligenter Basissysteme mit hoher Variabilität, ferner Boden- und Deckenlösungen, die schnelle Veränderungen ohne große Umbaumaßnahmen möglich machen sowie ein Beleuchtungssystem, das bühnenreife Inszenierungen ermöglicht. Volkmar Krieg von M&V aus Heinsberg, Lieferant von Displays und Ladenbauelementen, gibt zu bedenken, dass für die Investition der Preis nicht das alleinige Kriterium sein kann. Besonders wichtig ist heute, dass ein Lieferant Full Service anbieten kann. Das fängt an bei einer Entwicklungsabteilung, die individuelle Wünsche umsetzen kann. Das beinhaltet auch die Fertigung von Musterstücken und die gemeinsame Optimierung mit dem Auftraggeber. Ein weiteres Kriterium ist eine Logistik, die Lagerhaltung und Distribution umfasst und die in der Lage ist, zum Beispiel Displays in einem bestimmten Zeitkorridor in großen Mengen zu verteilen. Wichtig ist auch ein guter Montage-Service, der europaweit agieren kann. Zusammengefasst also: Produktqualität – Lieferqualität – Servicequalität.
Die europaweit aktive United Display Organization U.D.O. hat 2010 eingehend die Frage nach den Renovierungszyklen im Handel untersucht. Grundsätzlich ist klar, dass die Veränderungs-Rhythmen kürzer werden. Je „jünger“, also modischer ein Konzept ist, desto früher muss es neu angepasst werden, das bedeutet eine Erneuerung nach 1-1,5 Jahren. Marken-Konzepte können je nach Marke auch bis zu 5 Jahre funktionieren. Längerfristig angelegte Konzepte erfordern im Allgemeinen auch höhere Qualitätsstandards und damit höhere Investitionen. Auch der Standort und das Wettbewerbsumfeld haben Einfluss auf den Renovierungszyklus. Top-Standorte wie Metropolen, aber auch Lagen in wichtigen Regionalzentren erfordern kürzere Änderungszyklen.
Kürzere Zyklen
Als allgemeine Richtschnur für alle Händler gilt: Spätestens nach 3 Jahren sollte das Ladenkonzept auf seine Aktualität hin überprüft werden. Die Präsentationskonzepte erfordern natürlich eine permanente saisonale Anpassung. Wichtig sind auch der Eingangsbereich und die Haupt-Schaufenster. Diese Bereiche sollten sich dem Kunden alle 2-3 Wochen neu präsentieren.
Ein Trend im Einzelhandel ist das „Mastige“. Das Wort setzt sich zusammen aus mass (Masse) und Prestige und meint die Massenherstellung prestigeträchtiger Kollektionen von Top-Designern, die bei Filialisten für einen kurzen Zeitraum angeboten werden. Das funktioniert nur, wenn die gesamte Inszenierung dieses Versprechen einlöst. Hierzu leisten auch Displayfiguren, als wichtiger Teil des Visual Merchandising, einen entscheidenden Beitrag. Ein immer wichtigerer Trend bei Displayfiguren sind die „grünen“ Figuren. Das meint nicht die Farbe, sondern eine umweltschonende Fertigung. Die Fertigung der Figuren geschieht aus einem biologischen Harz aus nachwachsenden Rohstoffen mit einer deutlich besseren Öko-Bilanz. Die Figurenhersteller begrüßen es, wenn größere Handelsunternehmen mit ihnen Figuren zusammen individuell entwickeln.
Welche Orientierungslinien lassen sich aus all dem für das Visual Merchandising ableiten? Zunächst einmal steht der „hybride Kunde“ mit seinen multiplen Interessen und Wünschen im Mittelpunkt. Dem müssen die Präsentation im Laden und im Schaufenster Rechnung tragen. Dies erfordert weniger Aktionismus und dafür detaillierte, anspruchsvolle Konzepte. Einkaufswelten werden zu Lebensräumen. In diesen muss der Kunde sich wiederfinden, sich wohlfühlen und sich gerne länger aufhalten. Die Visual-Merchandising-Konzepte sollten stärker die Fantasie des Kunden ansprechen und die Sehnsucht des von allgegenwärtiger Transparenz umgebenen Menschen nach Geheimnissen erfüllen. Dazu gehört auf Seiten der Gestalter auf allen Entscheidungsebenen mehr Mut, auch der Mut zur Polarisierung.
Fotos: Walter Knapp (1)
Kontakt
Ralf Kürsten
Präsident U.D.O., United Display Organization, Zürich, und Autor des Buches „Deco Artist“, erschienen im Universitätsverlag Passau
E-Mail: kuersten_merchandising@web.de