„Heute ist Influencer-Marketing mit dem stationären Handel bereits enger verknüpft als man glauben mag“, meint Ann-Katrin Schmitz, Dozentin an der Frankfurter Hochschule für Medien, Kommunikation und Wirtschaft. Ein Grund: Zwei von drei deutschen Einzelhändlern verkaufen ihre Produkte bereits sowohl stationär als auch online, wie eine Umfrage des Digitalverbands Bitkom unter 504 Händlern belegt. Schon 29 Prozent seines Umsatzes erzielte der stationäre Handel im vergangenen Jahr – mit deutlichem Aufschwung seit Beginn der Pandemie – online.
Marke erschnuppern
Das stärkste Wachstum weisen Händler auf, die sich sowohl auf den Online-Handel als auch auf den Betrieb stationärer Geschäfte stützen, hat die Marken-Agentur TMS festgestellt: „Der stationäre Handel steht zwar aktuell unter besonderem Druck, ist aber längst nicht verloren.“ Das läge zum einen daran, dass der Mensch grundsätzlich nicht gern die sprichwörtliche Katze im Sack kauft, und zum anderen daran, dass das Einkaufen eine höchst soziale Angelegenheit ist. Ein Kauferlebnis sollte die Marke und ihre Produkte mit etwas Angenehmem verknüpfen und optimalerweise sogar mit einer Belohnung assoziieren.
Als anschauliches Beispiel dafür führt TMS die Seifenmarke Lush an, die eben nicht allein auf Onlineshops, sondern vor allem auf Stores und die ganzheitliche Erlebbarkeit der Produkte als multisensorisches Erlebnis setzt. Lush pflegt dazu eine besondere Form des Influencer-Marketings, um die drei wichtigen Basisfaktoren der Marke wie Menschenrechte, Umwelt- und Tierschutz zu vermitteln. Interviews oder kleine Dokumentationen sollen dabei Interesse bei den Kundinnen und Kunden für das Label wecken. Lush betont, dass Influencer:innen freiwillig, sprich ohne Bezahlung, dafür werben, die Marke im Shop zu erschnuppern. Denn erst bei einem persönlichen Besuch in einem der Stores könne eine umfassende Auseinandersetzung mit Produkten und Marke erfolgen.
Der stationäre Handel, der unter der Pandemie stark gelitten hat, muss heute nicht mehr unbedingt auf einen eigenen Onlineshop zurückgreifen, um seine Produkte erfolgreich zu vermarkten, weiß Heike Liebermann, Chefin der gleichnamigen Influencer-Marketing-Agentur. Man könne sich etwa die Shopfunktion von Instagram oder Facebook erfolgreich zu eigen machen. Das bedeute aber auch, dass die Präsenz der erfolgreich Meinungsmachenden über die gängigen Social-Media-Kanäle Instagram, Facebook, Youtube und Co. hinaus zunehmen wird. Immerhin 63 Prozent der Konsumierenden vertrauten der Werbebotschaft solcher Influencer und Influencerinnen mehr als der reinen Botschaft einer Marke, behauptet Liebermann.
Live-Stream-Shopping lockt
Diese Tatsache macht sich auch die Parfümeriekette Douglas zunutze. Mit der Aktion „Douglas Live“ will man dort Produkte und Marken launchen und den Wandel vom Retailer zum Digitalunternehmen mit stationären Stores vollziehen. Influencer und VIPs sollen das Shopping als Beauty-Expert:innen beflügeln: Dazu tragen die Beauty-Routinen von Victoria’s-Secret-Angels oder Kora-Organics-Gründerin Miranda Kerr bei, der perfekte glowy Make-up-Look des renommierten Make-up-Artists Norman Pohl oder Wissenswertes rund um die Produktlinie von Hautpflege-Expertin Dr. Barbara Sturm. Zu den Gästen der Beauty Schools gehören außerdem Influencer aus dem weitgespannten Douglas Netzwerk wie Karo Kauer oder Maxim Giacomo.
Ergänzt wird Douglas Live jeweils durch Live-Stream-Beratungen aus einer Filiale. Dort führt eine Douglas-Store-Mitarbeiterin nach Ladenschluss durch den leeren Store und leitet via Douglas Live die Beauty-Fans bei ihrem Einkauf an. Livestream-Teilnehmende können via Chat-Funktion direkt mit einer Mitarbeiterin interagieren und sie beispielsweise bitten, eine Lippenstift- Nuance auf ihren Lippen zu zeigen, um sich zwischen mehreren Farben entscheiden zu können. In einem solchen Live-Stream-Shopping sieht denn auch Lasse Krüger, Chief Marketing Officer der Agentur Social Media One einen künftigen Trend, dem weitere Händler auf den sozialen Medien folgen dürften. „Die Marken werden solche Instrumente zunehmend nutzen, um so ihre Produkte anprobieren zu lassen und zu verkaufen“, glaubt Krüger.
Virtueller Flohmarkt
Auch Buchhändler, egal ob große Kette oder kleiner Laden um die Ecke, setzen verstärkt auf Lesungen via Instagram Live. „Händler werden um Instagram nicht mehr herumkommen und bieten daher Geschäftsmodelle an, die darauf setzen“, glaubt auch Alessandro De Pasquale, Mitgründer und Chief Technology Officer von Intermate Media. Dazu gehört etwa der Mode- und Wohn-Accessoire-Händler Liv aus Hamburg, der zwar mit seinen Stores 100 Prozent seines Umsatzes erwirtschaftet, also über keinen Onlineshop verfügt, aber dennoch die Vorteile der digitalen Welt für sich nutzen möchte.
Bei Liv heißt das „Insta Sale“, was funktioniert wie ein virtueller Flohmarkt: Gekauft wird wie auf Instagram gesehen. Dafür trommelt das kleine Unternehmen mit speziellen Posts und Stories auf seiner Instagram-Seite – bzw. lässt für sich trommeln. Die nächste Stufe des Influencer-Marketings kann man heute schon in Japan beobachten: Mittels Projektion der virtuellen, aber überaus real aussehenden Influencerin Imma hat die Möbelkette Ikea ihre Harajuku-Filiale in Tokio gefüllt. 250.000 Menschen folgen ihr auf Instagram – ein enormes Kundschaftspotenzial. Sie alle schauen zu, wie Imma in einer Ikea-Wohnung staubsaugt, am Telefon quatscht, am Schreibtisch arbeitet oder auf der Couch faulenzt und en passant die Vorzüge der Ikea-Utensilien präsentiert.