Hat einer keine? Menschen ohne Jeans im Kleiderschrank dürften heute schwer zu finden sein. Früher mal für den Arbeitseinsatz gemacht, ist die Hose heute bei so gut wie allen Altersstufen und Anlässen salonfähig. Ein universelles Kleidungsstück mit einem wesentlichen Merkmal: Jeans sind fast immer blau und unterscheiden sich oft erst auf den zweiten Blick. Jeff Kindleysides von der Londoner Storedesign-Agentur Checkland Kindleysides meint: „Oberflächlich betrachtet gehören Jeans von der Idee her zu den ganz einfachen Produkten, alltagstauglich und omnipräsent. In Wirklichkeit jedoch sind sie im Verkauf eines der herausforderndsten Kleidungsstücke.“
Rückblick
Ein kleiner Rückblick veranschaulicht einen rigorosen Imagewandel: „USShop“, „Surplus“, „Route 66“ oder „Western Store“, so oder ähnlich hießen Jeansläden im letzten Jahrtausend. Allerdings ging Cowboys und Goldgräbern als Testimonials mit der Zeit die Luft aus. Design und Modernität gewannen an Boden, die Store-Stories wandelten sich. Die Marke G-Star prägte mit dem inzwischen populären Namenszusatz „Raw“ eine Denim-Generation, die authentische, pure, unverstellte Materialqualitäten und -optiken zum Gestaltungsgrundsatz erhebt. Mit Industrie-Charme, Vintage- und Heritage-Looks und besonderer Detailverliebtheit visualisieren die Denim-Labels ihre Marken-Storys im Retail. Im Großen und Ganzen unterliegen ihre Flagships und Markenstores ansonsten denselben Regeln wie andere Fashion-Stores, seit der Denim unter der Flagge der Mode segelt – sollte man zumindest meinen. Doch die Lage stellt sich etwas diffiziler dar.
Neuralgische Punkte
Mit dem Wechsel ins modische Genre steigerte sich der Kult um die ideale Passform, den perfekten Fit, ins Unüberschaubare. „Der Sitz der Jeans ist elementar und definiert sich durch Beinlänge, Weite, Schnittform, Taillen- oder Hüfthöhe. Dazu viele verschiedene Waschungen, Farbtöne, Texturen, Stitchings und Details“, erläutert Jeff Kindleysides. Wo früher ein Modelltyp „Levi’s 501“ einen ganzen Markt anführte, bietet heute ein einzelner Hersteller wie G-Star allein über 30 Styles jeweils für Frauen und Männer, die in jeweils 27 verschiedenen Größen verfügbar sind, alle mehr oder weniger Blau und mit zwei Beinen wohlgemerkt. Zusätzlich bieten immer mehr Fashion-Marken immer ausführlichere Denim-Programme an, der Markt wuchert zum blauen Dschungel.
Licht ins Dickicht zu bringen, Masse und Modellvielfalt zu kanalisieren, für den Kunden begreifbar zu strukturieren und inklusive Größenlager auf der Fläche unterzubringen, ist demzufolge die spezifische Aufgabe, die mit der emotionalen Gestaltung des POS in Einklang gebracht werden muss.

Denham entschied sich für die Schneiderschere aus dem Logo als individuelles Präsentationsdetail. (Foto: Denham)
Gut geschultes Personal ist im Denim-Verkauf unverzichtbar, das bestätigen die Marken durchweg. Dennoch zählt mehr denn je im Storekonzept die klar erkennbare Ordnung. „Die Zielgruppe ist wesentlich selbstständiger und selbstbewusster geworden. Schnelle, transparente und organisierte Verkaufsprozesse am POS sind wichtig, damit der Kunde sich eigenständig orientieren und organisieren kann“, sagt Joana Kück, Brand Manager Retail bei Tom Tailor.
„Unser Design transportiert eine klare Botschaft zum Kunden, nämlich: Hier gibt es die passende Jeans. Das Suchen hat ein Ende“, erklärt Jörg Pieper von Moysig Retail Design. „Für uns als Retail-Designer bedeutet das: Ordnung schaffen in der Rückwand und im Mittelraum, sodass der Kunde schnell alles findet.“ Moysig zeichnet verantwortlich für die Filialen des Multibrand-Jeanshändlers Leo’s mit gut 50 Filialen.
„Wichtig ist, dass die Passformen offen präsentiert werden und der Kunde den genauen Fit ausgebreitet vor sich sieht. So kann er auf den ersten Blick die Unterschiede zwischen den verschiedenen Modellen erkennen,“ sagt Gültac Ünal, Retail Managerin bei der türkischen Jeans-Marke Mavi. Die liegende Präsentation der einzelnen Modelltypen und Waschungen erfolgt zumeist auf großen Tischen oder Theken in angenehmer Höhe. Immer häufiger wird das um aufgehängte Musterhosen ergänzt, die dem Kunden über das eigenständige „Blättern“ den Zugang zur Ware erschließen. Viele Marken gehen dazu über, ihre Modellvielfalt zusätzlich an freistehenden, rundum ansehbaren Figuren bzw. 3-D-Legs möglichst lebensnah und auf einen Blick erfassbar zu machen.
Renaissance der Jeans-Wand
Das Rückwand-Regal scheint sich zu rehabilitieren. Früher Rückgrat jedes Jeans-Shops, war es lange Zeit als Stimmungskiller im Storedesign stigmatisiert. Man versuchte, die uniformen Regalwände möglichst in den Hintergrund zu verstecken, wenn nicht ganz aus dem Verkaufsraum zu verbannen. Nun mehren sich die Versuche, die Notwendigkeit des raumhohen Jeans-Lagers umzudeuten in ein Tool der Wertsteigerung, das dem Kunden die Jeans-Kompetenz und den unmittelbaren Zugriff auf die Ware auf den ersten Blick signalisiert.
„Es ist in der Tat schon seit einiger Zeit der Trend zu erkennen zum Storeroom-Design in Form von einfacher Stapelpräsentation in raumhohen Rückwänden mit Leitern und entsprechenden Stilmitteln am POS “, so Jörg Pieper von Moysig. „Aktuell wird an der Entwicklung intelligenter Regalsysteme gearbeitet, die über eine elektronische Erkennung dem Kunden auf einem Display die Information geben, welche Größen, Passformen und Farben vorrätig sind.“
Mit dem Fit der Jeans eng verknüpft, rückt auch der Fitting-Room, der Anprobebereich, weiter in den Fokus. Geräumige Umkleidekabinen mit Spiegeln, die den Rundumblick auf die Passform der Jeans am Körper gewährleisten, sollten selbstverständlich sein, gehören aber nach wie vor zu den Seltenheiten. „Generell in der Mode und besonders im Denim-Retail ist die Anprobe meiner Meinung nach der am meisten vernachlässigte Teil einer Shopping-Experience“, meint Pieter Kool, Director of 3-D-Design bei G-Star. „Sie wird als notwendiges Übel im Laden behandelt, hat aber eigentlich das Zeug dazu, in Szene gesetzt richtig Spaß zu bringen“, so seine Überlegung, die das Unternehmen bewog, die Umkleidezonen für die Frauen extrem großzügig und stimmungsvoll privat „wie bei einer Dress-up-Party am Samstagabend“ einzurichten.
Innovative Marketingkonzepte
Zu den besonders attraktiven Denim-basierten Stores gehören die beiden viel besprochenen und preisgekrönten Berliner Läden 14 oz. und Haus Cumberland. Inhaber Karl-Heinz Müller, auch Gründer der Denim-Messe Bread&Butter und als „großer Denim-Entrepreneur“ (Pieter Kool) anerkannt, widmete nun ein Höfe-Areal an der Münzstraße in Berlin-Mitte dem blauen Stoff: The Blue Yard, so der Name, verfolgt das Ziel, besonders interessanten Denim-Labels eine Plattform zu geben und der „Gleichmacherei der Einkaufsviertel entgegenzuwirken“. Die Labels Denham und Nudie Jeans haben hier bereits ganz besondere Store-Formate eröffnet, die Ansiedelung weiterer Denim-Konzepte sowie ein Café sind in Planung.

Im Repair Shop von Nudie Jeans, hier in Stockholm, werden alte Jeans wieder aufgearbeitet. (Foto: Nudie Jeans)
Innovative Marketingkonzepte, schlüssige Image-Kampagnen und beeindruckende Retail-Szenerien stammen oft von internationalen Denim Brands. Sie sind es auch, die in letzter Zeit die Definition von Einzelhandel dehnen und um eine lebendige Dienstleistungs-Dimension bereichern. Beispiele: Ein Made-to-order-Service erlaubt den Kunden in einigen Levi’s-Flagshipstores, sich ihr Denim-Styling nach ihren Vorstellungen quasi maßschneidern zu lassen. Ein temporäres Nählabor hatte auch G-Star in einigen Läden weltweit zeitweilig eingerichtet mit dem Ziel, die handwerkliche Komponente einer qualitativ hochwertigen Jeans stärker ins Bewusstsein zu rücken. Einige Stores von Nudie Jeans aus Schweden beherbergen einen Repair Shop, in dem kaputt gegangene Jeans geflickt und hoffnungslose Fälle gegen eine neue Hose mit Preisnachlass getauscht werden.
Sind solche Aktivitäten als bloße Marketinginstrumente zu bewerten oder echte Services? Jason Denham, Chef der gleichnamigen Marke, meint: „Wir bieten in unseren Stores vom Barista servierten italienischen Kaffee an und beschäftigen geschulte Denim-Techniker und Schneider. Denn wir glauben, dass die Service-Betreuung nach einem Kauf genauso wichtig ist wie davor.“
Fotos(4): Denham (1), Jack & Jones (1), Moysig (1), Nudie Jeans (1)
Der persönliche Fit zählt
Die britische Design-Agentur Checkland Kindleysides entwickelt Storekonzepte für Fashion-Marken und große internationale Denim Brands wie Levi’s, Wrangler und andere. Joe Keating, stellvertretender Design Director der Agentur, gibt Auskunft.
Was muss ein Jeans-Store dem Konsumenten bieten?
Die Jeans ist einer der stressigsten Einkaufs-Artikel, besonders für Frauen. Einen Style zu finden, der passt und der Figur schmeichelt, ist total schwierig. Die Herausforderung für Store- Planer wie uns ist, Inspiration und gleichzeitig Klarheit im Laden zu gewährleisten und zugleich auch noch die Kompetenz zu kommunizieren, die ein riesiges Sortiment ausstrahlt.
Was hat sich hier im Vergleich zu früher verändert?
Früher war es wichtig, den coolsten Style einer Marke zu bekommen. Heute geht es mehr darum, den individuell besten Fit zu finden, also um die Frage, was eine Marke dir persönlich anzubieten hat.
Wie wichtig sind Zusatz-Services für die Denim-Branche?
Customization und Tailoring sind Schlüsseltrends in allen Bereichen des Retails. In Zeiten finanzieller Sparsamkeit behalten die Menschen ihre Kleidungsstücke wieder länger. Dinge zu bewahren und zu reparieren ist in. Ein individueller Repair-Service macht aus einem Massenartikel ein individuelles, wertvolles Stück. Und er bedient die Community eines Stores oder einer Marke und stellt den Dialog her.