David Rouven Möcker leitet als Partner bei PwC Deutschland den Geschäftsbereich Real Estate Consulting & Transformation. Der Immobilienexperte hat mehr als 15 Jahre Berufserfahrung in der Immobilienberatungs- und Baubranche.
Seit 2009 ist Sven Carstensen Vorstand bei Bulwiengesa. Bereits seit 1995 ist er in der Immobilienwirtschaft tätig. Bei der Bulwiengesa AG arbeitet Sven Carstensen seit 2005. Davor machte er unter anderem Station bei der Wohnungsgenossenschaft Schifffahrt-Hafen Rostock, Bavaria Objekt- und Baubetreuung und Dibag Industriebau.
Das Interview führten Tobias Appelt und David Huth.
Wie ist die Initiative „Wohnen. Stadt. Gewerbe.“ entstanden?
David Rouven Möcker: Bei PwC haben wir zusammen mit der Technischen Hochschule Deggendorf eine Studie zum Thema Wohnraumverdichtung durchgeführt. Wir haben überlegt, wie sich Wohnraum durch die Aufstockung von Wohngebäuden, aber eben auch durch die Aufstockung oder Umnutzung von Nichtwohngebäuden schaffen lässt.
Und das Potenzial war groß?
David Rouven Möcker: Ja. Das errechnete Potenzial hat mich selbst überrascht. Deutschlandweit gäbe es cirka 1,3 Millionen zusätzliche Wohneinheiten durch Umnutzung und Aufstockung von Nichtwohngebäuden. Gemeinsam mit den „Stadtrettern“ und dem Architekturbüro Kinzo haben wir uns die Frage gestellt, wie wir mehr Relevanz in das Thema bekommen. Daraus ist unsere Initiative entstanden.
Neben den von Ihnen genannten Unternehmen haben sich noch weitere Partner eingebracht, die durchaus im Wettbewerb zueinanderstehen.
Sven Carstensen: Wir ergänzen uns vielmehr, als dass wir Konkurrenten sind. Wir sind ein interdisziplinäres Team, das sich das Ziel gesetzt hat, unsere Städte wieder zu neuem Leben zu erwecken und beim Thema Wohnraum ein gesellschaftliches Problem zu lösen.
Schätzungen zufolge fehlen bis 2025 in Deutschland rund eine Million Wohnungen. Ist Ihr Ansatz die Lösung für dieses Problem?
David Rouven Möcker: Um unsere Zahl von einer Million Wohnungen einzuordnen: Dabei handelt es sich um die Aufstockung und Umnutzung von Nichtwohngebäuden. Das größte Potential stammt aus der Aufstockung. Bei der Umnutzung reden wir über 360.000 Einheiten. Und um zur Frage zurückzukommen: Ich weiß nicht, ob es die Wohnungskrise lösen kann, aber ich bin davon überzeugt, dass es ein wichtiger Baustein ist.
Aber es passiert zu wenig?
David Rouven Möcker: Die Umnutzung ist sehr kompliziert, insbesondere langwierige Genehmigungsverfahren stehen solchen Projekten im Weg.
Liegt das auch daran, dass sich nicht jedes Gebäude für die Umnutzung eignet?
David Rouven Möcker: Ich denke, dass das ein ganz kleiner Anteil der Gebäude ist. Dort, wo eine Umnutzung möglich ist, ist es mühsam, das Recht zu schaffen, dies auch umsetzen zu dürfen. Daher müssen wir die Aufmerksamkeit von Politik und Verwaltung für das Thema bekommen.
Herr Carstensen, Sie wollen noch etwas ergänzen?
Sven Carstensen: Persönlich halte ich wenig von diesen großen Zahlen. Aber sie zeigen das theoretische Potenzial. Am Ende steht die Frage: Wie ist das wirtschaftlich zu schaffen? Wir haben sehr oft Umnutzungsszenarien, die in den Kosten ähnlich dem Neubau sind. Nichtsdestotrotz kann es sich in Lagen mit sehr guter Qualität rechnen. Mit Blick auf die Nachhaltigkeit ist es ohnehin sinnvoller, bestehende Gebäudesubstanz zu nutzen.
Wie spielen hier die Genehmigungsverfahren rein?
Sven Carstensen: Ein sehr langer Genehmigungsprozess kostet die Projektentwickler viel Geld. Deswegen muss das Thema Umnutzung – gerade von innerstädtischen, ehemals gewerblich genutzten Gebäuden – viel höher auf die politische Agenda. Die Umnutzung trägt schließlich nicht nur zur Lösung des Wohnungsproblems bei, sondern auch zur Attraktivität der Innenstädte. Entbürokratisierung ist ein Dauerthema.
Wie sehen Sie die Bestrebungen von Politik und Verwaltung?
David Rouven Möcker: Da sehen wir leider zu wenig. Aber ich glaube, dass das Thema auf Bundesebene inzwischen erkannt wurde. Mit Stefan Müller-Schleipen von den Stadtrettern haben Sven Carstensen und ich einen Workshop des Bundesministeriums für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen besucht: Dort ging es ausschließlich um das Thema Umnutzung. Und ich hatte den Eindruck, dass genau hingehört wurde, welche Hürden beseitigt werden müssen.
Die Initiative „Wohnen. Stadt. Gewerbe.“ und „Die Stadtretter“
Die Initiative „Wohnen. Stadt. Gewerbe.“ berät, wie Büro- oder Gewerbeimmobilien weitergenutzt bzw. umgenutzt werden können. Mit ihrer Expertise wollen die Mitglieder die schnelle Schaffung von bezahlbarem Wohnraum, die Belebung der Innenstädte und die Transformation zur nachhaltigen Stadt möglich machen. Zu dem Experten-Netzwerk „Wohnen. Stadt. Gewerbe.“ gehören neben PwC und Bulwiengesa auch Strabag Real Estate, Kinzo, Architekten Venus, ATP Architekten Ingenieure, Derichs u Konertz und Bethge Rechtsanwaltsgesellschaft.
Das Schnittstellenmanagement bei „Wohnen. Stadt. Gewerbe.“ übernimmt die Initiative „Die Stadtretter“. Das Ziel der mehr als 1.300 Mitglieder ist die Stärkung der Innenstädte und die Rettung des Einzelhandels auf kommunaler Ebene. Die Initiative „Die Stadtretter“ ist dabei zentrale Plattform für den Austausch von Kommunen, Immobilienwirtschaft, Unternehmen und Einzelhandel. Mehr Informationen gibt es hier.
Neben dem Bund bedarf es aber vor allem der Länder und Kommunen.
David Rouven Möcker: Das stimmt. Und da stellt sich die Frage, inwiefern das, was auf Bundesebene gewollt ist, tatsächlich umgesetzt wird.
Was wäre denn eine konkrete Forderung für diese Ebenen?
David Rouven Möcker: Wir fordern zum Beispiel eine Koordinierungsstelle „Umnutzung“ in den kommunalen Bauämtern, die speziell dieses Thema vorantreibt. Sowas würde extrem helfen, weil es am Ende natürlich an Personen und an Prozessen liegt, die jetzt für dieses Thema vielleicht noch gar nicht ausgestaltet sind.
Sven Carstensen: Das sehe ich auch so. Zugleich stelle ich aber auch fest, dass von oben einiges versucht wird, wie zum Beispiel die konkreten Initiativen der Bundesregierung (Anm. d. Red.: 2023 hat die Bundesregierung ein Maßnahmenpaket vorgelegt, welches unter anderem den Umbau leer stehender Gewerbeimmobilien zu neuen Wohnungen mit 480 Millionen Euro fördert).
Auch bei Handelsimmobilien stehen große Objekte leer. Eignen sich diese Assetklassen für eine Umnutzung zu Wohnungen?
David Rouven Möcker: Wir glauben, dass Warenhäuser Potential für eine Umnutzung haben. Allerdings wird die Umnutzung hin zu Wohnen nur eingeschränkt möglich sein. Es kommt eher eine Mischnutzung in Frage.
Warum?
Sven Carstensen: Diese Gebäude sind in der Nachnutzung durch die Belichtungsverhältnisse sehr schwierig. Das ist mit großen Umbaumaßnahmen verbunden. Da ist theoretisch zwar alles möglich, aber wirtschaftlich lässt es sich am Ende schwierig realisieren. Wie lässt sich dieses Problem lösen? Sven Carstensen: Wir müssen über aktuelle Standards hinausdenken und uns eine Nutzung überlegen, die mitunter über die herkömmliche Nutzungsmischung hinausgeht. Das ist eine Aufgabe, die wir jetzt mit unserer Initiative „Wohnen. Stadt. Gewerbe.“ gemeinsam angehen.