Das Jahr 2006 markiert ein nicht wiederholbares Ereignis. Hunderttausende ausländische Besucher der Fußball-Weltmeisterschaft bescherten dem deutschen Einzelhandel, quer über nahezu alle Branchen und Warengruppen, ganz besondere Feiertage für die Umsatzbilanzen. Die anstehende Europameisterschaft im Nachbarland Polen und in der Ukraine dagegen ist für den Handel eher grauer Alltag. Laut dem „HandelsKix“, dem monatlich vom Handelsverband Deutschland (HDE) erhobenen Konjunkturindex für die Branche, glaubt nur rund jeder zehnte Händler an eine Umsatzsteigerung durch die EM. Knapp 17 Prozent befürchten sogar, dass sie durch die EM mit Umsatzeinbußen rechnen müssen. „Die Erwartungen sind sehr gebremst“, kommentiert Stefan Genth, Hauptgeschäftsführer des HDE.
Für zusätzliche Bremskräfte könnten die Bombenanschläge der radikalen Opposition und die Timoschenko-Affäre in der Ukraine sorgen. Sie lenken den Blick vieler Fans auf die politische Situation, trüben den reinen Fußball-Genuss und damit die Konsumlust. UEFA-Vermarktungspartner wie Intersport und UEFA-Sponsoren wie Adidas mussten sich schon im Vorfeld unter den ersten Shitstorms in den Internet-Foren wegducken. „Sponsoring ist Image-Transfer, und wenn rund um das Fußballfest Probleme auftauchen, belastet das die Sponsoren“, erklärt Oliver Kaiser, Präsident des Faspo, des Fachverbands Sponsoring.
Hoffen auf Euphorie
Trotz insgesamt gedämpfter Erwartungen hofft auch der deutsche Einzelhandel auf einen ungestörten Turnierverlauf – und auf ein erfolgreiches Abschneiden der eigenen Mannschaft. Denn nur dann lassen sich hierzulande viele Fan-Artikel und Fußballschuhe, aber auch Fernsehgeräte und Beamer, Bier und Grillgut verkaufen.
Für die nötige Animation am Point of Sale hat der Handel gesorgt. Die Verbundgruppe Electronic Partner zum Beispiel richtet ihren aktuellen Prospekt unter dem Slogan „Mit EP: am Ball bleiben“ ganz auf das Fußball-Event aus. Angeschlossene Händler können sich über die Zentrale mit umfangreichen Marketing-Paketen versorgen – von Plakaten über Fensteraufkleber bis hin zu Spielplänen und Pocket-Planern. Darüber hinaus werden Aktionen gefahren, etwa ein EM-Tipp-Spiel über die EP-Homepage und ein „Finger-Football-Cup“ über Facebook.
„Die Europameisterschaft gibt dem Fachhandel einen wichtigen Impuls, um Kunden neue Highlights wie TV-Geräte vorzuführen“, erklärt Dr. Jörg Ehmer, Sprecher des Vorstandes von Electronic Partner. „Um Stadionatmosphäre ins Wohnzimmer zu bringen, sind nicht nur großformatige TV-Geräte gefragt – immer mehr Verbraucher wollen auch perfekten Sound zum perfekten Bild und interessieren sich zudem für die Möglichkeiten der Heim-Vernetzung“, ergänzt Benedict Kober, Vorstandssprecher der Verbundgruppe Euronics. Zu ihren Umsatzerwartungen allerdings möchten beide Gruppen keine Angaben machen.
Fan-Artikel im Fokus
Zweiter wesentlicher EM-Profiteur im deutschen Einzelhandel könnte die Sportartikel-Branche werden. Nach drei üppigen Jahren musste der Sporteinzelhandel im Jahr 2011 ein Umsatzminus von 4 Prozent schreiben. Das Ifo-Institut begründet diese Entwicklung mit witterungsbedingten Faktoren, aber auch mit „fehlenden sportlichen Großereignissen“. Das Segment Teamsport stürzte in 2011 sogar um über 10 Prozent ab – ein Indiz dafür, dass die Frauenfußball-Weltmeisterschaft, die im vergangenen Jahr in Deutschland stattfand, keine relevante Umsatzwirkung entfaltete.
Von der EM 2012 dagegen verspricht sich die Branche viel. „Wir haben bisher nur positive Erfahrungen in Bezug auf solche sportlichen Großveranstaltungen“, berichtet Carsten Schürg, Marketingleiter beim zur Otto Group gehörenden Filialisten Sport Scheck (siehe Interview). „Selbst wenn eine EM oder WM im Ausland gespielt wird, steigert das unseren Umsatz im Segment Fußball/Teamsport im Eventjahr um bis zu 30 Prozent“, ergänzt Klaus Jost, Vorstand Intersport Deutschland und Präsident der Intersport International Corp. in Bern.
Altbewährte POS-Aktionen
Dabei stehen Fan-Artikel wie Trikots, Shirts, Schals, Caps und Schminke im Mittelpunkt. Bei Galeria Kaufhof zum Beispiel werden schon seit Dezember 2011 das DFB-Heimspiel-Trikot und der EM-Spielball bundesweit angeboten. Bemerkenswerte Besonderheit: Ab Juni werden in rund 40 Galeria-Filialen sogenannte Fokus-Punkte speziell für weibliche Fußballfans eingerichtet. Dort werden auf Frauen zugeschnittene Fan-Fashion und Fanartikel präsentiert.
Ansonsten wenig Neues: Am POS dominieren die üblichen Industrie-Displays von Adidas & Co., die Händler fahren darüber hinaus ihre schon in der Vergangenheit bewährten Marketing-Aktionen. Galeria Kaufhof etwa bittet die Kunden in ausgewählten Filialen zu Tischkicker-Turnieren, Schussgeschwindigkeitsmessungen und Torwandschießen. Die Verbundgruppe Sport 2000 hat, wie schon zur WM 2010, in Kooperation mit dem Magazin „11 Freunde“ einen knapp 200 Seiten starken EM-Planer aufgelegt, den angeschlossene Händler ihren Kunden überreichen können. Sport Scheck als Multichannel-Händler veranstaltet unter anderem ein Tipp-Spiel, an dem die Kunden konventionell im Laden, auf der Homepage oder über Facebook teilnehmen können.
Intersport mit Lizenz
Traditionell in großem Maßstab lässt sich Intersport auf Events wie die EM ein. Die Gruppe ist wieder „Official Sports Shop“ der EM, basierend auf einem gemeinsamen Vertrag mit der UEFA und mit Adidas. Da mit werden die Intersport-Geschäfte zu exklusiven Verkaufsstellen für lizenzierte Produkte. Außerdem können ausgewählte Intersport-Händler in den Stadien und Fan-Bereichen spezielle Shops betreiben.
Insgesamt richten europaweit rund 800 Intersport-Geschäfte spezielle EM- Verkaufsflächen ein, für die die Zentrale UEFA-lizenzierte Ausstattungen und Werbemittel bereitstellt. Wie zu erwarten verrät die Intersport-Gruppe nicht, welche Lizenzgebühren für das gesamte Vermarktungspaket an die UEFA zu zahlen sind. Aber, so Vorstand Klaus Jost: „Wir können gut verhandeln, denn welche andere Sport-Handelskette kann der UEFA eine vergleichbare europaweite Abdeckung und Distribution bieten?“
In die Rechnung ist allerdings ein ungestörter Ablauf des Turniers eingepreist. Zwar enthalten die meist langfristigen Verträge mit der UEFA Ausstiegsklauseln bei Dopingskandalen, nicht aber bei politischen Unruhen, bei Menschenrechtsverletzungen oder bei Korruption. Regelungen für Shitstorms, in denen das Internet-Publikum solche Zustände im Austragungsland beklagt und sogar zum Sponsoren-Boykott aufruft, sind im Vertrag nicht vorgesehen.
Foto: www.dekowoerner.de
Auf allen Kanälen
Carsten Schürg, Marketingleiter bei Sport Scheck, sieht dem Großereignis Fußball-EM erwartungsvoll entgegen.
Wie schlägt sich eine Fußball-EM in den Umsätzen nieder?
Wir haben bisher nur positive Erfahrungen in Bezug auf solche sportlichen Großveranstaltungen. Aus wirtschaftlicher Sicht waren bei den vergangenen Fußball-Weltmeisterschaften und Europameisterschaften natürlich besonders die Absatzsteigerungen von Trikotverkäufen, aber auch die Zusatzumsätze im Teamsport-Bereich erfreulich. Genau beziffern lässt sich dies jedoch nicht.
Was sagt der Vergleich mit Events in anderen Sportarten?
Großveranstaltungen wie die Olympischen Spiele oder zum Beispiel die Handball-WM in Deutschland haben unseren Umsatz kaum beeinflusst.
Welche Marketing-Maßnahmen ziehen besonders?
Der richtige Mix ist definitiv entscheidend. Bei allen unseren Aktivitäten spielt der Multichannel-Gedanke eine zentrale Rolle. Wir wollen Emotionen und Leidenschaft in Katalogen, in Postwurfsendungen, im Onlineshop, im Laden, auf dem Smartphone, auf Facebook und Youtube transportieren.