Der Event-Auftakt stand im Zeichen der positiven Marktentwicklungen: Mit einem Bruttoumsatz von 11,7 Mrd. Euro mit gastronomischen Angeboten im Jahr 2023 erzielte die Handelsbranche trotz Inflation ein außergewöhnliches Wachstum von 15,9 Prozent im Vergleich zum Vorjahr, erläuterten die Gastgeber und Experten des EHI-Forschungsbereichs Olaf Hohmann und Paulina Ullrich ein Kernergebnis der neu aufgelegten EHI-Studie „Handelsgastronomie in Deutschland 2024“. Ein Grund dafür: Konsument:innen greifen aufgrund des inflationsbedingt hohen Preisniveaus vermehrt auf die günstigeren Angebote des Handels (gegenüber der klassischen Gastronomie) zurück. Sebastian Walter von der GfK sagte in seinem anschließenden Vortrag zu aktuellen Entwicklungen im Außer-Haus-Markt, dass vor allem der Snack-Konsum bei jüngeren Zielgruppen zugenommen hat. Dabei gehe der Trend in Richtung gesunde und nachhaltige Ernährung, ergänzte Tobias Schultheiss von Snackconnection. Hintergründe seien hierfür unter anderem bei den gesellschaftlich immer präsenter werdenden Themen Klimaschutz und Tierwohl zu finden.
International experimentieren derzeit viele Handelsgastronomen mit einer Kombination verschiedener Länderküchen, berichtete Gavin Rothwell von Food Future Insight. Das zeigen Beispiele wie das Restaurant Takumi Taco in New York, welches mexikanische Gerichte inspiriert von ursprünglich japanischen Speisen anbietet. Ein Ziel sei es dabei, Kund:innen immer wieder neue Geschmackserlebnisse zu bieten, da deren Anspruch stets steigt. Der Handel auf der anderen Seite sei „erwachsen“ geworden für gastronomische Angebote, meinte Eat-Happy-Gründer Christian Kraft, der in seinem Vortrag den Weg des Shop-in-Shop-Betreibers zur heute bekannten Marke mit über 500 Mio. Euro Jahresumsatz 2024 und mittlerweile mehr als 6.000 Mitarbeitenden nachzeichnete. Neulingen in der Handelsgastronomie bieten gerade leerstehende Flächen eine Chance, temporär auf sich aufmerksam zu machen. Welche Fallstricke es bei der Umsetzung zu beachten gilt und worin die Besonderheiten der zeitlich befristeten Gastronomieangebote liegen, wusste Simon Horn zu berichten, Gründer des Unternehmens Peoplegoingplaces. Er betreibt u. a. das Gastronomie-Pop-up-Projekt „Neue Kaiser” auf einer ehemaligen Handelsfläche in der Frankfurter Innenstadt.
Blick über den eigenen Tellerrand
Josefine Meinert von Alimentation Couche-Tard gab einen Einblick hinter die Kulissen des Convenience Shop-Betreibers. Das Unternehmen mit Sitz in Kanada hat im Januar das deutsche Tankstellengeschäft von „TotalEnergies” übernommen und arbeitet seitdem an einer flächendeckenden Expansion seiner Marke „Circle K“. Den inzwischen drei im Testbetrieb eröffneten Filialen in Berlin sollen in Kürze weitere folgen. Dabei orientieren sich die Verantwortlichen schrittweise an Zahlen und Erfahrungswerten aus dem Betrieb im für sie gänzlich neuen Markt Deutschland. Bereits seit Jahren in seinem Heimatmarkt etabliert ist das Schweizer Handelsunternehmen Coop, dessen Gastronomie-Leiter Kaspar Wittwer einen Blick auf die bereits abgeschlossene strategische Neuorientierung seines stationären Speisenangebots lieferte. Der genossenschaftlich organisierte Marktbetreiber hat mit Wittwers Berufung sein Gastronomieangebot einem Relaunch unterzogen und dabei auf Revitalisierung, Systeme und Nachhaltigkeit in der Umsetzung gesetzt. Das Ergebnis: Während die Umsätze in der organisierten Handelsgastronomie schweizweit seit Jahren rückläufig sind, ist Coop nach eigenen Angaben das einzige Unternehmen mit steigenden Umsätzen in diesem Segment.
Neu verpackt
Mit der neuen EU-Verpackungsverordnung beleuchtete Simon Meyer, Rechtsanwalt bei KPMG, ein vermeintliches Nischenthema, das aber bald für den gesamten Handel sehr wichtig werden könnte. Was derzeit noch als Richtlinie gilt, wird laut Meyer voraussichtlich noch in diesem Jahr von der EU als verbindliche Verordnung mit weitreichenden Konsequenzen eingeführt. In diesem stores+shops-Artikel geht Meyer näher darauf ein, welche Implikationen dies dann für alle Beteiligten mit sich bringt.
KI – Nutzen und Grenzen
Wie sieht die Handelsgastronomie der Zukunft aus? Dr. Tim Wirtz vom Fraunhofer IAIS informierte darüber, wie sich künstliche Intelligenz entlang der gesamten Wertschöpfungskette der Handelsgastronomie einsetzen lässt. Laut einer aktuellem Gartner-Studie gehen 80 Prozent aller Unternehmen davon aus, bis 2026 generative KI einzusetzen, d. h. KI-Systeme, die Inhalte in Form von Texten, Bildern, Videos etc. erzeugen. Wichtige Voraussetzung dafür seien gepflegte Unternehmensdaten, betonte Wirtz. Fundamental sei auch herauszufinden, an welcher Stelle KI eine Differenzierung ermöglicht. So kann KI u. a. beim Wareneinsatz und der Warenplanung oder der intelligenten Mitarbeiterdisposition unterstützen, bietet aber auch Möglichkeiten zur Personalisierung und hat damit das Potenzial, den Umsatz zu steigern. Wie sich künstliche Intelligenz erfolgreich einsetzen lässt, stellte Heiko Leonards von Bayer Gastronomie unter Beweis. Bayer setzt u. a. auf eine KI-gesteuerte Handels- und Distributionsplattform für überschüssige Lebensmittel, indem es die die Nahrungsmittel über eine Onlinehandelsplattform bezieht und in der eigenen Gastronomie verwertet. Mit einer eigenen KI plant Bayer darüber hinaus u. a. neue Gerichte und Aktionswochen. Ein Learning: Die Qualität der KI hängt davon ab, wie detailliert sie „trainiert“ wird.
Über den Nutzen von Social Media für die Produktpräsentation sprachen Kai Grünewald vom Grillinstitut Grünewald und Oliver Mickler von Unzer. Ziel des Handels sollte es sein, nicht das Produkt in den Mittelpunkt zu stellen, sondern das Kundenbedürfnis. Über Social Media führt der Grillhändler beispielsweise Verlosungen durch. Entscheidend sei es, die Kund:innen individuell anzusprechen und diese Kontaktpunkte – ob online oder offline – miteinander zu verbinden: beispielsweise über eine Unified Commerce-Plattform und mobile Kassen. Das verschafft dem Kunden ein positives Kauferlebnis und dem Händler präzise Verkaufsdaten.
Abgerundet wurde das Handelsgastronomie Forum von Lukas Brandstetter, dessen Vortrag einen der Pain Points des Handels thematisierte: den Fachkräftemangel. Er erklärte, dass die Suche nach Personal kein KI-Tool erfordere. Es gehe darum, die Erwartungen der Bewerbenden zu erfüllen. Die „Candidate Experience“ ähnelt schlussendlich einer Customer Experience, denn auch Bewerbende sind Kund:innen und erwarten ein positives Erlebnis.