Der Buchhandel war die erste Branche, die von der Digitalisierung mit Wucht getroffen wurde; die Auswirkungen führte Klaus Ortner, Geschäftsführer der Thalia Bücher GmbH, kürzlich auf der EHI Retail Design Konferenz 2016 noch einmal vor Augen: 150 Buchhandlungen, zumeist kleine, inhabergeführte Häuser, schließen hierzulande jährlich. Während der Sortimentsbuchhandel in den letzten vier Jahren 4,8 Prozent Umsatzanteile eingebüßt hat, hat der Internethandel rund 15 Prozent zugelegt; der Buchpreis ist seit 2006 um sieben Prozent gestiegen, der Verbraucherpreisindex zeitgleich aber um 20 Prozent, Raum- und Personalkosten sind mit plus 40 bzw. 44 Prozent förmlich explodiert.
Wie der gesamte stationäre Buchhandel war auch Thalia dieser Marktsituation zunächst nicht gewachsen. Unter dem Druck der daraus resultierenden negativen Geschäftsentwicklung war eine Neuausrichtung unausweichlich: 2012 fiel der Startschuss für eine umfassende Restrukturierung, die 2015 erfolgreich abgeschlossen wurde. Nun fokussiert sich Thalia auf die Weiterentwicklung des Geschäftsmodells Richtung Omnichannel.
Hierfür hat Thalia in den vergangenen Jahren die Weichen gestellt. „Wir haben zunächst die Läden betrachtet“, sagt Klaus Ortner, „denn man muss seine Prozesse im Griff haben und sein Basisgeschäft beherrschen.“ Genau das war bei dem Buchfilialisten, der seinen Ursprung in einer kleinen, 1919 in Hamburg gegründeten Buchhandlung hat, aus dem Blick geraten, Randsortimente hatten sich überproportional entwickelt – zu Lasten des Buchs. „Doch das Buch ist unsere Kernkompetenz“, sagt Ortner, „darauf haben wir uns wieder konzentriert- und dann erst geschaut, welche Randsortimente noch dazu passen.“ In einem zweiten Schritt wurden Flächen reduziert und Schließungen vorgenommen, allerdings ohne die Rolle der Flagshipstores anzutasten. Drittens suchte Thalia neue Wege der Zusammenarbeit mit den Verlagen, denn “der Buchhandel kann nur weiter funktionieren, wenn auch die Verlage sich verändern“, etwa durch die Einführung von Category Management und insbesondere bezüglich der digitalen Transformation. „Digitalisierung heißt nämlich nicht nur, E-Books anzubieten“, so Ortner, „sie macht auch eine völlig andere Kommunikation zum Kunden erforderlich.“ Schließlich wurde die Integration aller Kanäle Richtung Cross-Channel vollzogen, und seit 2016 hat die Umwandlung in ein Omnichannel-Unternehmen Fahrt aufgenommen.
Zentrale Rolle für Tolino
Folglich hat das neue Storekonzept, das seit 2015 sukzessive bei Neueröffnungen und Umbauten umgesetzt wird, nicht nur die Aufgabe, „die Emotionalität des Buches herauszuarbeiten“, sondern auch den Omnichannel-Gedanken auf die Flächen zu übertragen: „Möbel, Layout, Look & Feel, Beleuchtung, Marketing – jeden dieser Punkte betrachten wir unter Omnichannel-Gesichtspunkten“, sagt Klaus Ortner. Ein Screen im Eingangsbereich weist auf Lesungen hin, den Bücherregalen und Thementischen werden digitale Displays mit Informationen und Leseempfehlungen zugeordnet, spezielle Beleuchtung gewährleistet die Lesbarkeit der Screens. Lese-Empfehlungen beruhen auf Kunden- und Mitarbeiter-Rezensionen; gesteuert werden die Inhalte jedoch zentralseitig, denn „das Buch lebt von der Aktualität“.
Unmittelbar nach einem aktuellen Ereignis mit passenden Buchempfehlungen und Titeln präsent zu sein, sei schon deshalb unerlässlich, weil der Verbraucher inzwischen erwarte, dass die Fläche so schnell reagiere wie das Netz. Eine zentrale Rolle als Anlaufstelle für sämtliche digitalen Belange spielt in den Filialen der „Tolino“-Stand. Der Erfolg des 2013 in Kooperation mit Weltbild/Hugendubel, Club Bertelsmann und Deutscher Telekom gelaunchten eReaders, dessen Marktanteile laut Ortner inzwischen an Kindle heranreichen, beruhe auf eben dieser Allianz, der Offenheit des Systems und einer konsequenten Marktbearbeitung.
Hinter der erfolgreichen Umsetzung der Neuausrichtung aber stehen – wie Ortner betont – die Menschen, die daran mitwirken. Entscheidend im Prozess der digitalen Transformation sei es, die Mitarbeiter ins Boot zu holen. Dank individueller Schulungen, E-Learning-Angeboten und Training-on-the-Job verstünde heute bereits der Großteil der Mitarbeiter die für ihre Tätigkeit erforderlichen Anwendungen wie beispielsweise die Thalia-Shopping-App oder auch mobile Bezahlverfahren. Online und Stationär – das wird bei Thalia deutlich – befruchten einander: „Es gibt Indikatoren, dass nach Eröffnung einer Filiale das Internet-Geschäft in deren Einzugsgebiet merklich wächst“, sagt Klaus Ortner. „Stationär wird ein immer wichtigeres Marketinginstrument.“
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Weitere Informationen: www.thalia.de