„Ich stehe auf alles, was nicht so klassisch und traditionell im Shopping-Center-Bereich ist.“ Kemal Düzel ist eigentlich kein Eventmanager, aber ein Center-Manager, der über den Tellerrand blickt – und augenscheinlich öfter auch drunter her. Denn das Gerber in Stuttgart, das Düzel seit Anfang Januar managt, schlägt vollkommen neue Pfade ein, nachdem der Mischkomplex aus Wohnen, Retail und Dienstleistung im vergangenen Herbst von der IPH übernommen wurde. Die Mall hat sich zur dynamischen Einzelhandels- und Event-Plattform gewandelt, deren Content sich aus Pop-up- und individuellen Läden sowie Services und Veranstaltungen der besonderen Art speist, darunter eine Instagram-Ausstellung, ein Trickfilm-Festival, Design-, Vintage- und Girls-Markets oder ab November einmal monatlich ein Happening der lokalen Theatertruppe „Lokstoff“, die sich auf das Bespielen öffentlicher Räume spezialisiert hat. In der „Kindersuite“, ein „Klub“ als Ergänzung zu Kita und Krippe, kann der Nachwuchs stundenweise geparkt werden, pädagogische Betreuung und gesunde Ernährung inklusive. Mitte September wurde das „Gerbervielfest“ gefeiert.
Analog zu den neuen Inhalten erhielten Werbung, Web-Auftritt und Kommunikationskonzept einen frischen neuen Ton und eine topmoderne Bildsprache, wie man sie bei einem Shopping-Center noch nicht gesehen hat. Dazu gehört, dass sich das Gerber nun mit dem Beinamen „Modernes Stadtkaufhaus“ schmückt. Um die verschiedenen Facetten aus Marketing- und Eventmanagement, Design- und Mietermix zu stemmen und zu einem schlüssigen Gesamtpaket zu bündeln, kooperiert Düzel mit verschiedenen Partnern wie der Agentur Strichpunkt fürs Branding und Hannes Steim für die Pop-up-Formate. Steim war es, der vor rund zwei Jahren die temporäre Pop-up-Mall Fluxus in den Stuttgarter Calwer Passagen, einer ausrangierten 70er-Jahre-Einkaufspassage, gründete.
Frischer Content
Auf innovative Player und traditionelle Einzelhändler scheint das neue Konzept gleichermaßen Sogwirkung auszuüben. Unter den neuen Mietern sind individuelle Konzepte wie der schwäbische Naturkosmetik-Anbieter Talea, American Heritage mit original amerikanischen Produkten oder auch der etablierte Stuttgarter Kindermodehändler Korbmeyer.
Die Umwälzungen im Konsumverhalten führen zu neuen Nutzungskonzepten mit veränderten, flexibleren Mietkonstellationen und -konditionen. Auch Sonae Sierra geht mit verschiedenen für unterschiedliche Bedarfe quasi maßgeschneiderten „Flash-Store-Modulen“ neue Wege der Flächenvermarktung. Denn im Einzelhandel stehen die Zeichen nun mal nicht auf unendliches Wachstum, wie IPH Transact beschreibt: „Mietwachstum im Handel ist durch E-Commerce und anhaltende Flächenexpansion vielerorts nicht mehr realistisch. An schwächeren Standorten muss mittel- und langfristig sogar mit teils erheblichen Mietreduzierungen gerechnet werden.“ Zugleich gilt Deutschland für internationale Retailer immer noch als attraktivster Expansionsstandort weltweit, wie eine CBRE-Studie kürzlich veröffentlichte.
Jahrzehntelang bewährte Center-Konzepte haben ihren Rückhalt bei Besuchern und Kunden verloren. Bester Indikator ist die Mode als Schlüsselbranche mit 30-50 Prozent Anteil an den meisten Center-Flächen. Onlinehandel und Pricing-Konzepte wie TK Maxx und Primark machen es vielen Modemarken schwer, sodass weitere Filialschließungen und Flächenreduzierungen zu erwarten sind. Und dass dieser Schwund von den aus verschiedenen Ländern hereinexpandierenden neuen Fashion-Retailern wie etwa Reserved kompensiert werden könnte, sei dahingestellt, denn die Ursachen gründen tiefer. Die Mode hat ihren Stellenwert im Produkt-Ranking vieler Konsumenten eingebüßt, andere Produktthemen besitzen nun höhere Relevanz.
Neuer Input
Der Bruch der Mode-Monokultur macht den Blick frei auf neuen Input: Im neustrukturierten Kölner DuMont-Carré hat sich ein dänisches Stoffgeschäft namens Stoff + Stil eingemietet – auf einer Fläche von 1.400 qm. In drei Berliner Centern ist der innerstädtische Kleinflächen-Baumarkt mit „Der Heimwerker“ längst erprobte Realität. Würth zieht mit Werkbank und Akkuschrauber als Pop-up bei Breuninger ein. Der Mann wird von Grill und Gaming als Genießer und neue Zielgruppe entdeckt. Das Forum Steglitz in Berlin veranstaltet gemeinsam mit Bezirksamt, Sozialwerk, Seniorenpflegeheim und einem Aikido-Verein eine konzertierte Aktion mit dem Titel „Fit ins Alter“. Und immer freitags, wenn die Bauern vom Wochenmarkt ihre Stände im Center aufbauen, mutiert die Centerfläche zu einem Marktplatz nicht nur im übertragenen Sinne. Zwischen Event und Retail, zwischen Gastro und Handel, zwischen Langzeit- und Kurzfrist-Formaten verschwimmt allmählich die Abgrenzung.
Volatil wird auch die Grenze zwischen Onlinern, klassischen Retailern und Outlets, wenn der Online-Wäscherei-Service ZipJet einen temporären und Mister Spex einen festen Pilot-Store im Alexa eröffnen, Zalando im Kölner DuMont Carré einen „Outlet-Store“ betreibt und in Solingen ein ausgedientes 80er-Jahre-Center zum Outlet-Gebäude umgebaut wird. Und ob die üppige Fläche, die Amazon im Berliner Kudamm Karré angemietet hat, für immer Versandzentrum bleibt oder irgendwann, wenn es opportun erscheint, vielleicht auch einen Retail-Aspekt integriert, ist auch ungewiss. Amazon wär’s zuzutrauen.
Fotos (2): Das Gerber / IPH Centermanagement
Weitere Informationen: redaktion@ehi.org
Statement: Risiko runter!
„Für die Wahl des richtigen Standorts gibt es eigentlich genau zwei Methoden: Zum einen die sehr saubere Standort-Analyse, die selten in der erforderlichen Tiefe möglich ist. Und zum anderen das Try-and-Error-Prinzip, das logischerweise zu Korrekturen führen kann. Wir beobachten im Markt, vor allem auch bei einigen expansionsfreudigen Unternehmen aus dem Ausland, deutlich mehr Try-and-Error-Ansätze als gut geplante, funktionierende Expansionen. Zur Risiko-Verringerung befürworten und empfehlen wir ganz klar, einem festen Mietverhältnis für einige Monate einen Pop-up-Store vorschalten zu können. Shopping-Center können diese Option bieten.“