Unsere Innenstädte sind Hitzeinseln. Das war gerade im vergangenen Sommer über viele Wochen spürbar. Die Anzahl der sogenannten Hitzetage mit Temperaturen über 30 Grad Celsius hat sich laut dem Deutschen Wetterdienst seit 1990 mehr als verdoppelt. Am 9. Juli 2023 etwa wurden in Deutschland Tageshöchsttemperaturen von bis zu 38 Grad gemessen –eher kein Wetter für einen Shopping-Bummel; denn auch wenn die Stadtzentren sich an vielen Stellen wandeln, sind sie doch maßgeblich geprägt von versiegelten Bodenflächen, Betonfronten und Glasfassaden.
Schattenspendende Bäume gibt es kaum, Grünflächen nur im Ausnahmefall. Versiegelte Böden plus Beton plus Glas minus Grün – diese Konstellation sorgt zwangsläufig dafür, dass die Hitze sich staut – und der Einzelhandel ist mittendrin.
Transformation anstoßen
Längst gibt es Initiativen und Maßnahmenkataloge inklusive Hitzeschutzplan des Bundesgesundheitsministeriums. Speziell für den Retail hat der Handelsverband Deutschland ein Weiterbildungsprojekt namens HDE-Adapt ins Leben gerufen mit dem Ziel, eine klimabezogene Resilienz im Handel zu entwickeln. Klar ist aber: Die unumgängliche Anpassung an die veränderten Klimaziele erfordert einen umfassenden Transformationsprozess über einen langen Zeitraum – wenn sie effektiv und nachhaltig sein soll. Dazu gehört beispielsweise die Entsiegelung der Böden, die Anpflanzung von Bäumen und Grünflächen, die Begrünung von Dächern und Fassaden oder das Aufstellen von Trinkbrunnen überall im öffentlichen Raum; ebenso wie die Öffnung konsumfreier Räume für das Publikum zur Abkühlung oder zum Schutz vor Starkregen, aber auch die Schaffung von urbanen Frischluftschneisen und hellen Straßenbelägen. Diese können gegenüber dunklem Asphalt eine bis zu neun Grad kühlere Oberfläche haben.
Aufs Dach steigen
Das Gros dieser Maßnahmen bezieht sich zwar auf die Gesamtheit des öffentlichen Raums und liegt in der Hand der Städte und Gemeinden; doch auch jede einzelne Handelsimmobilie braucht ihre individuelle Hitzeresistenz – und trägt damit letztendlich zu einem besseren Mikroklima in der City bei.
Zu erreichen ist das, darüber sind Fachleute sich einig, durch mehr Grün und Solarenergie. „Um eine gute Aufenthaltsqualität in den hoch verdichteten Stadtzentren zu gewährleisten, sollte man vor allem die Dächer zugänglich machen und begrünen sowie eine vertikale Begrünung der Fassaden, begrünte Eingangsbereiche und eine solarenergetische Sanierung der Gebäude durchführen“, empfiehlt Sandra Wagner-Endres vom Deutschen Institut für Urbanistik, Berlin .„Wo Grün ist, herrscht gleich ein ganzanderes Klima“, sagt der Architekt Caspar Schmitz-Morkramer, Gründer und Geschäftsführer des Kölner Architekturbüros Caspar. „Laut Forschenden der niederländischen Universität Wageningen kann die Kühlleistung eines einzelnen Baumes, je nach Größe und Art, 20 bis 30 kW betragen, unter ihrem Blätterdach ist es bis zu drei Grad kühler als unter einem Sonnenschirm.“
Wenn man die Stadtzentren aus der Vogelperspektive betrachtet, „wird klar, dass wir auf der sogenannten fünften Fassade, sprich: dem Dach, das größte Potenzial zur Begrünung haben“. Bei einer klimaangepassten Gestaltung der Dächer komme es insbesondere auf drei Komponenten an, so Schmitz-Morkramer:1. Grün zur Feuchtigkeitsretention und-abgabe, 2. Energiegewinnung durch Photovoltaik und 3. die Nutzung der begrünten Dachfläche als Dachterrasse, denn dann „kann das Dach Attraktivität und Bindung zum Publikum herstellen“. Diese Maßnahmen wirkten sich nicht nur auf das Mikroklima und die Kundenbindung positiv aus, sondern „senken durch den Wasser-rückhalt auch Abwassergebühren und durch Photovoltaik Energiekosten“, sagt Schmitz-Morkramer.
Vom Süden lernen
In Städten und Gemeinden mit neuen Bauordnungen sind Photovoltaik sowie Dach- und Fassaden-Begrünung bereits Pflicht. So etwa in München, wo der Architekt Michael Biedermann vom Architekturbüro Biedermann und Partnerhäufig tätig ist. Viele seiner Einzelhandelskunden haben Begrünungskonzepten gegenüber aufgrund der Pflegekosten zwar Berührungsängste, doch „Fassadenbegrünung ist die effektivste Maßnahme, um der Hitzeentwicklung entgegenzuwirken“, weiß Biedermann.
Zudem empfiehlt er, wo immer es geht, auf technische Installationen zu verzichten. „Fensteröffnen und quer lüften zu können, ist besser und nachhaltiger als Kühlanlagen zu installieren“, so Biedermann. Großflächige Verglasungen dagegen „haben aufgrund der Verspiegelung, des Kälte- oder Hitzeeintrags und der Pflegeintensität nur Nachteile“. Könnte sich die Handelsarchitektur bei Neubauten nicht an südeuropäischen Vorbildern orientieren? „Natürlich wäre das sinnvoll“, sagt Michael Biedermann. Dann hätten unsere Geschäfte kleinere Fenster, Schattenspendende Vordächer, kühle Patios mit Bäumen und dazwischen baumbestandene Plätze – all das, was Reisen im Süden angenehm macht.
„Wir müssen alle Dächer begrünen“
Prof. Ulrike Mansfeld, Dekanin der Fakultät für Architektur, Bauen und Umwelt an der Hochschule Bremen, über den Transformationsprozess der Innenstädte und die dafür erforderliche Qualifizierung von Fassaden, Dächern und Bodenflächen.
Prof. Ulrike Mansfeld, Dekanin der Fakultät für Architektur, Bauen und Umwelt an der Hochschule Bremen
Wie können wir unsere Innenstädte den sich wandelnden Klimaverhältnissen anpassen?
Das ist eine Aufgabe, die man interdisziplinär angehen muss und an der alle Stakeholder vor Ort mitarbeiten müssen. Auf dem Campus der Hochschule Bremen haben wir das getan: Wir haben gemeinsam mit den Behörden aus Mitteln des BMU ein Fahrradmodellquartier mit entsiegelten Flächen, retentionsstarken Dächern, Elektroladeinfrastruktur und einem Fahrradverleihsystem geschaffen. Kristallisationspunkt ist das vollrezyklierbare Fahrrad-Repaircafé, das auch als Energiespeicher fungiert.
Handelsimmobilien haben oft großflächige Glasfassaden– wie zeitgemäß sind diese?
Diese Fassaden sind über lange Strecken geschlossen und häufig mit Folien verklebt. Das Glas ist aufwendig zu pflegen, schallhart, bei Sonne extrem hell und bei Regen schmutzig: eine Oberfläche, die gerne Makel hat. Es gilt, unsere Fassaden zum öffentlichen Raum hin zu öffnen und zu qualifizieren, wärmetechnisch und durch Begrünung. Pflanzen sorgen für Schatten und Sonnenschutz und tragen zu einem guten Mikroklima bei.
Worauf kommt es bei der Begrünung von Dächern an?
Sofern Dächer das statisch tragen, sind begrünte Retentionsdächer zu empfehlen, die Regenwasser aufnehmen und speichern und durch Verdunstung freigeben, ohne die Kanalisation bei Starkregen zu belasten. Ähnliches gilt für Bodenflächen. Sie sollten entsiegelt werden, damit das Regenwasser in Zisternen aufgefangen und in Trockenphasen zur Bewässerung der Bäume genutzt werden kann. Es geht darum, mit dem unregelmäßig zur Verfügung stehenden Wasser eine gleichmäßige Be- und Entwässerung zu erlangen.