Seit 2010 präsentiert sich die in die Hügellandschaft der Grafschaft Somerset eingebettete südenglische Stadt Bath – aufgrund ihres historischen Stadtbilds in das Unesco-Weltkulturerbe aufgenommen – mit einem neuen Stadteingang. An die Stelle eines „brutalistischen“ Shopping- Centers aus den 1970er-Jahren, das über Jahrzehnte den Weg vom Bahnhof in die Stadt verstellte, ist ein kleinteiliges Einkaufsquartier getreten, das die Besucher über eine abwechslungsreiche Folge von Straßen und Plätzen in die City führt.

In Zukunft, so beschreiben Stadtforscher den neuen Trend, werden die Grenzen zwischen kleinteiligem Handel, Shopping-Centern und Online-Handel immer durchlässiger. Die Perspektive des innerstädtischen Handels ist heute ungewiss. Und dies liegt nicht allein an der immer noch zunehmenden Zahl der vom filialisierten Handel geprägten innerstädtischen Shopping-Center, die den traditionellen inhabergeführten Einzelhandel und das klassische Warenhaus abgelöst haben, sondern vor allem auch an der zunehmenden Konkurrenz im virtuellen Raum.

In dieser Situation sind gesamträumliche Strategien gefragt, wie der stationäre innerstädtische Handel in der Stadtmitte zukünftig zu organisieren ist. Die Zukunft der Center ist schicksalhaft mit der Zukunft der Zentren verbunden. Denn wer heute „in die Stadt“ geht, tut das immer weniger, um seine Grundbedürfnisse zu befriedigen. Einkaufen zu gehen ist nur noch Teil eines Aufenthalts, der sich zunehmend mit Freizeitaktivitäten verbindet. Wer den urbanen Lebensstil pflegt, will Einkaufen mit Entspannung, sozialem Leben und Kultur verbinden. Diesen Wunsch können die geschlossenen Shopping-Center konventionellen Zuschnitts nicht befriedigen. Nur wenn Kommerz und Urbanität zusammentreffen, wo die großen Handelsformate auf die Kultur des Ortes eingehen, werden sie ihre Anziehungskraft und ökonomische Überlegenheit halten können.

Einer Erhebung von Bouwfonds Investment Management zufolge sind in Deutschland 303 Einkaufszentren mit insgesamt 7,2 Mio. qm optimierungsbedürftig. Im Zuge der anstehenden Erneuerungsmaßnahmen bietet sich die Chance einer Reurbanisierung dieser Shopping-Center: als offene Center – außen vernetzt mit dem innerstädtischen Wegenetz,  innen geprägt von Straßen, Plätzen und Passagen, in einer Verbindung von neuen Handelsstrategien mit urbanen Qualitäten und einer lebendigen Funktionsmischung.

Lebendige Funktionsmischung

Neue Trends in den USA, inzwischen auch in den europäischen Nachbarländern, weisen bereits in diese Richtung. In Großbritannien hatten sich Shopping-Center im letzten Drittel des 20. Jahrhunderts zum Promotor des großflächigen Handels entwickelt. Dabei nahmen sie lange Zeit nur geringe Rücksicht auf historisch gewachsene Wege und Lauflagen. Dem städtischen Kontext wendeten sie mehr oder weniger den Rücken zu.

Das Musterbeispiel einer autogerechten „In-Door-City“ war das alte Arndale-Center in Manchester, das durch einen Terroranschlag der IRA zerstört wurde. Heute gilt der Wiederaufbau als Symbol für den Neustart der britischen Innenstädte als urbane Mitte der Gesellschaft. Von 1999 an wird in Großbritannien die staatlich propagierte „Urban Renaissance“ zur Richtschnur für die Einzelhandels- und Immobilienwirtschaft. Prototypisch sind zu Beginn des 21. Jahrhunderts die Stadt-Center in Bath, Bristol und Liverpool. Das ambitionierte Programm wird „Retail led Regeneration“ genannt und zielt auf die lebendige Mischung aus hochwertigem Shopping, guten Restaurants, Cafés, lokal geprägter „Nightlife-Economy“, Arbeitsplätzen für die „kreative Klasse“, lebendiger Kulturszene und Wohnen.

Obwohl die britischen Städte im Vergleich mit deutschen Städten über weit weniger Personal und Mittel verfügen, sind sie im Management komplex angelegter Stadtentwicklungsprojekte ausgesprochen erfolgreich. Sie erwerben frühzeitig relevante Grundstücke und Immobilien kostengünstig und bringen diese als Kapital qualitätssichernd in ein Projekt ein. Bath, Bristol und Liverpool verzichten auf einen maximalen Veräußerungsgewinn und verpachten stattdessen Grund und Boden für 200 Jahre. Die Städte verfügen über das Recht, zügig Enteignungsverfahren durchzusetzen. Aber sie beherrschen auch die Regeln des zivilgesellschaftlichen Dialogs und suchen den Konsens mit allen Beteiligten. Aus einer starken Position heraus suchen die Städte kongeniale Investmentpartner für den Schritt vom Shopping-Center zum Shopping-Quartier. Auf diese Weise funktioniert South Gate in Bath auf der einen Seite als kompakte Handelsplattform. Auf der anderen Seite überzeugt das Quartier mit einer offenen Platzmitte, Wegen, Gassen, einer Passage und 99 Wohnungen in den Obergeschossen im ortstypischen Bild der Sandsteinarchitektur als ein normales Stück Stadt.

Fotos: Etienne C.L. van Sloun (1), Urban Index Institut (2)

Weitere Informationen: www.ui-institut.de und www.pesch-partner.de  

Stadt-Center: 10 Erfolgsindikatoren

  • Projektkultur: Ein Masterplan für die Mitte der Stadt als Roadmap für den Projektentwickler.
  • Projektfigur: Die Öffnung der großen Handelsplattform zur Stadt. Sie dockt an den aktuellen Megatrend „Renaissance der Mitte“ an.
  • Projektstruktur: Center-Know-how und Städtebau sind die Komponenten der Projektentwicklung für eine urbane Mitte.
  • Standort: Vielfalt der Nutzungen, städtische Dichte und Stadtraumqualität formen einen neuen „Anker“ an zentralem Ort.
  • Mobilität: Lage und Frequenz bieten optimale Bedingungen als Knotenpunkt.
  • Center-Management: Bündelung in einer „Dachmarke“.
  • Stadt-Management: Die Stadt pflegt die merkantile Mitte als Ganzes und stößt Synergieeffekte mit der Zivilgesellschaft und den Marktakteuren an.
  • Center-Architektur: Ortsbezug, Maßstab, Funktionsmischung und das reiche Repertoire der Handelsarchitektur codieren die Baugestalt.
  • Center-Profil: Die individuellen Baukörper fügen sich in der Collage zum Profil einer eigenständigen Standortmarke.
  • Agenda: Urbanität, Lebensqualität und nachhaltige Entwicklung sind die wertstabilen Eckpunkte einer „Retail led Regeneration“ der Stadtmitte.

Stadt-Center

Die Shopping-Mall ist, ausgehend von den USA, eine erfolgreiche Betriebsform. In den kleinteiligen europäischen Zentren werden die Gebäudevolumen und die In-sich-Geschlossenheit der Mall jedoch manchmal als Problem wahrgenommen und oft von öffentlichen Diskussionen über die städtebauliche Integration begleitet. Das Buch beschäftigt sich mit einem relativ neuen Handelsformat, dem offenen innerstädtischen Shopping-Center, das als Weiterentwicklung der Shopping-Mall, aber auch als Wiederentdeckung klassischer urbaner Bauformen verstanden werden kann. Die Autoren dokumentieren und analysieren 12 Fallbeispiele aus Großbritannien, den Niederlanden und Deutschland und ziehen das Fazit: Offene Shopping-Center, genannt Stadt-Center, sind in der Lage, Immobilienentwicklung mit Ansprüchen an urbane Stadträume zu verbinden.

Herausgeber: Wolfgang Christ, Franz Pesch

Verlag: Rohn Verlag, Detmold 2013

Format: 272 Seiten, farbig, Hardcover

ISBN: 978-3-939468-76-3

Preis: 49,00 Euro