Modernes Storedesign mit feinen Anklängen an den Art-déco-Stil der Zwanzigerjahre: Österreichische Werkstätten auf der Kärntner Straße in Wien, Geschäft für Design im Geist der Wiener Moderne mit Kunsthandwerk, Schmuck, Glas und Porzellan

Modernes Storedesign mit feinen Anklängen an den Art-déco-Stil der Zwanzigerjahre: Österreichische Werkstätten auf der Kärntner Straße in Wien, Geschäft für Design im Geist der Wiener Moderne mit Kunsthandwerk, Schmuck, Glas und Porzellan
Foto: Dioma/Julia Mühlbauer

Im letzten Jahr gab es zwei Neueröffnungen, die unterschiedlicher nicht sein könnten: In Osnabrück hat das Modehaus Lengermann + Trieschmann im März sein neues Sporthaus eröffnet auf 5.200 qm mit einem – das kann man ohne Übertreibung sagen – wahrhaft spektakulären Entertainment-Angebot von der Surfwelle im Untergeschoss bis zum Low-Oxygen-Fitnessstudio im Obergeschoss, wo unter Höhenluftbedingungen trainiert werden kann.

Gut 400 km weiter östlich, in Berlin, hat der Modehändler Andreas Murkudis seine 1.000 qm große Fläche während einer vierwöchigen Schließung behutsam saniert und Ende August wiedereröffnet, ohne Gastronomie, ohne Screens, iPads oder sonstige smarte Features – der Fokus liegt einzig und allein auf den exklusiven Produkten.

Maximaler Purismus hier, Entertainment auf höchstem Niveau dort. Was spricht für das eine, was für das andere Konzept?

Wann ist ein möglichst hoher Unterhaltungsfaktor die richtige Strategie, wann die „unaufgeregte“ Variante, bei der nichts dem Produkt die Show stiehlt? „Beide Ansätze haben ihre Berechtigung“, sagt der Architekt Frank Dittel vom Stuttgarter Architekturbüro DIA Dittel Architekten. Grundsätzlich müsse man in Betracht ziehen, „wie sehr das Konsumentenverhalten sich geändert hat. Einkaufen wie früher springt heute nicht mehr weit genug“.

Point of experience

Ruhiges Storedesign, das Tradition und Markenwerte in den Vordergrund stellt: Schiesser-Store am Kurfürstendamm in Berlin

Ruhiges Storedesign, das Tradition und Markenwerte in den Vordergrund stellt: Schiesser-Store am Kurfürstendamm in Berlin
Foto: Atelier 522

Marco Dionisio, Kopf des auf Visual Merchandising, Interior Design und Trend Research spezialisierten Unternehmens Dioma, Bern, sagt, dass man „auf den Flächen auf jeden Fall Mehrwerte schaffen und erlebbar machen muss, wenn man heute Erfolg haben will.“ Und diese Mehrwerte müssen „innovativer und überraschender sein denn je – gleichzeitig aber zur eigenen Handschrift passen“, so Dionisio. Demnach ist eine spektakuläre Installation wie die Surfwelle von L+T ein perfektes Tool, um im Wettbewerb mit dem Netz zu punkten, denn sie stellt in der Tat „nicht nur ein Marketing-Tool dar, mit dem man im Wettbewerb hervorsticht, sondern bietet auch einen direkten Mehrwert für die Kunden“, so Frank Dittel, „der POS wird dadurch tatsächlich zum Point of Experience“. Gerade im Sportbereich, wo es oft um Bedarfskäufe geht, die zunehmend im Netz getätigt werden, ist der Erlebnisfaktor auf der Fläche essenziell, darauf weist Dittel hin.

Es kommt also auf die Branche bzw. das Produkt an. Entscheidend ist zudem, ob es „um einen Mono- oder Multibrandstore, um eine etablierte oder Newcomer-Marke geht und welcher Kunde angesprochen werden soll“, sagt Jaromin Hecker, Geschäftsführer der Design- und Planungsagentur Heckhaus in München. Wenn ein spektakuläres Konzept „zur Marke, zum Produkt und seiner Geschichte passt, ist ein Paukenschlag auf der Fläche gelungen“, sagt auch Philipp Beck, Geschäftsführer von Atelier 522 in Markdorf, denn „laute Konzepte setzen Statements, erregen Aufmerksamkeit, wecken Neugierde, unterhalten und laden ein, der ungewöhnlichen Inszenierung beizuwohnen.“

Aber auch der Standort spielt eine Rolle. In eher ländlichen Regionen und im Multibrand-Bereich müsse man sich „sicherlich über das Produkt hinaus eine Menge einfallen lassen“, so Jaromin Hecker, „man muss klotzen, um sich interessant zu machen und braucht ganz eigene Tools und Geschichten, um in aller Munde zu sein“.

Auch das Umfeld ist wichtig

Die reduzierte Ästehtik einer Kunstgalerie schafft eine Bühne fürs Produkt: das Männermode-Label Paul Davis am Kurfürstendamm in Berlin

Die reduzierte Ästehtik einer Kunstgalerie schafft eine Bühne fürs Produkt: das Männermode-Label Paul Davis am Kurfürstendamm in Berlin
Foto: Frölichschreiber

Bei einem rein produktfokussierten Konzept dagegen lebt man auch von „Clustern“, so der Architekt Henrik Frölich vom Architekturbüro Frölichschreiber in Berlin. Gemeint ist damit, wenn es in der direkten Umgebung des Stores noch andere Angebote gibt wie „ein bestimmtes Café, Galerien oder weitere Läden, die die betreffende Zielgruppe ansprechen“. Auch Jaromin Hecker glaubt, dass minimalistische Konzepte insbesondere dort greifen, wo sie in eine Community eingebettet sind. Im Übrigen ist es durchaus nicht so, dass das Erlebnis bei puristischen Konzepten automatisch zu kurz kommt. Frank Dittel verweist auf Apple: „Da ist das Produkt selbst das Erlebnis.“

Funktionieren minimalistische stationäre Konzepte also nur bei außergewöhnlichen Produkten und im gehobenen und Luxus-Genre? „Ganz und gar nicht“, meint Marco Dionisio. Auch ein Anbieter mit günstigeren Produkten könne mit einem minimalistischen Auftritt auf der Fläche erfolgreich sein. Beispiele für produktfokussierte Konzepte diesseits der Apple-Liga gibt es viele, „etwa Zara, Anecdote, den H & M-Ableger Arket, den Brillenhersteller Ace & Tate oder Aesop“, nennt Philipp Beck einige Beispiele. Grundsätzlich sei es daher „Zeit, an der Marke zu arbeiten, sprich das, was die Marke erzählt, herauszuarbeiten, um diese Werte im räumlichen Kontext stärker spielen zu können“, rät Jaromin Hecker.

Action auf der Fläche bietet den Kunden Erlebnis: Aktion der Schuhmarke Ecco im Schuh-Multibrandhaus Schuster in München

Action auf der Fläche bietet den Kunden Erlebnis: Aktion der Schuhmarke Ecco im Schuh-Multibrandhaus Schuster in München
Foto: Heckhaus/Peter Neusser

Offenbar geht es nicht um ein Entweder-Oder. „Ich glaube, dass eine Vermischung aus Produkt-Fokussierung und aufmerksamkeitsstarken Aktionen stattfinden wird“, meint Frank Dittel. Letztendlich geht es immer darum, die Schnittstelle, an der Kunde und Produkt aufeinandertreffen, in ein räumlich erlebbares, begeisterndes Konzept zu übersetzen und die exakt auf die jeweilige Zielgruppe abgestimmte individuelle Ansprache zu finden. „Je besser diese ausgearbeitet ist“, so Jaromin Hecker, „desto besser funktioniert der Laden.“

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