Upcycling – das neue Vintage | stores+shops

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Im Fashion-Store Ineka in Höhr-Grenzhausen gibt es ein Sammelsurium kreativer Einzelmöbel von der Kirchenbank bis zur Werkbank auf Rädern. (Foto: Der Schlondes)

Upcycling – das neue Vintage

Durch das Aufarbeiten alter Möbel und benutzter Materialien hat sich im Ladenbau ein kreativer Spielraum für Handwerkliches mit höchst individuellen, manchmal künstlerischen Zügen eröffnet. Upcycling ist das neue Shabby.

Ausgefallene Requisiten wie alte Gefängnistüren, ehemalige Flugzeugtrolleys und Kirchenaltare kommen immer häufiger als Wandpaneele, Warentische und Warendisplays auf Verkaufsflächen zum Einsatz. Nach abgeschlagenem Putz und abgeschliffenen Lackschichten, zerschlissenen Sofas, ausgedienten Turngeräten und Tausenden gestapelter Euro-Paletten tendiert der Vintage-Look nun hin zur Aufwertung: Die Europaletten werden zersägt, gefeilt, auf Hochglanz poliert, lackiert und mit Glas, Altmetall und Granitplatten neu zusammengeschraubt, heruntergekommene Schubladenschränke entkernt und mit eingesetzten Glasscheiben zu funktionalen Vitrinen modernisiert. Schwere 40er-Jahre-Schreibtische mutieren mit Beschichtung, Beschlägen und skulpturalem Beiwerk zu kuriosen Kassentresen. Mit Farbe bekleckerte Holzbohlen und rissige Schalbretter verwandeln sich durch Feinschliff in glatte Store-Böden mit Individual-Charakter.

„Eine alte Lkw-Pritsche zu einem Holzboden in einem Laden umgewandelt – das sieht sehr reizvoll aus. So schaffen wir Unikate in der Store-Landschaft“, sagt Janosch Roschewitz von Flat Six aus Hamburg. Der Umbau alter Dinge bildet sich zu einem eigenständigen stilistischen Strang des Vintage-Stils mit extremer Variationsbreite heraus. Durch das Upcycling erreicht das Vintage-Prinzip einen neuen Reifegrad im designaffinen, individuellen Ladenbau.

Altersflecke

Im Bio Mercato in Kempten wurden beispielsweise alle raumprägenden Elemente aus alten Gerüstbohlen von der Firma Bauholz-Design gebaut. „Sehr atmosphärisch und robust“, urteilt Architekt Michael Becker, der den Markt mit den Eigentümern geplant hat. „Wir wollten ein Piazza-Konzept ohne die klassischen Laufwege realisieren. Nachhaltigkeit war uns wichtig – und soziale Anlauf-Komponenten wie eine zentrale Bar. Das Vintage-Holz unterstreicht diese neue und zugleich alte Idee vom Marktplatz. Eventuelle Beschädigungen durch angeeckte Einkaufswagen oder Ähnliches stören überhaupt nicht, sondern passen zum Look. Mit überschaubarem Budget lassen sich so neue Typologien umsetzen.“

Im Eco-Fashion-Store Grünschnabel in Leipzig wurden Reste von Altholz zu einer Patchwork-Wand zusammengebaut. (Foto: Kultobjekt / Daniel Nötzold, www.werbefotografen-dresden.de)

Im Eco-Fashion-Store Grünschnabel in Leipzig wurden Reste von Altholz zu einer Patchwork-Wand zusammengebaut. (Foto: Kultobjekt / Daniel Nötzold, www.werbefotografen-dresden.de)

Besonders empfängliche Branchen für dieses Nischenthema, das zunehmend Breitenwirkung gewinnt, sind Fashion und die Gastronomie. Der Lebensmittelhandel zieht stark nach. Besonders, um regionale und Bio-Produkte vom konventionellen Sortimentsbereich abzuheben, eignen sich Looks mit Gebrauchsspuren und „Altersflecken“. In anderen Branchen gibt es jedoch noch „Luft nach oben“, meint man bei Deko Woerner. „Zum Beispiel könnte der Elektrohandel diesen Stil stärker einsetzen. Durch alte Schallplatten oder Röhrenradios lässt sich ein starker Kontrast zu den modernen Technikprodukten unserer Zeit setzen, und das erregt Aufmerksamkeit. Ähnliches gilt für den Kosmetikbereich.“

Hochkonjunktur haben derzeit Ausstattungen aus ehemaligen Industrieanlagen, Werkstätten, Kontoren, Büros und Produktionshallen. Loft-Fenster und Eisentüren, Tresore, Spinde und Werkbänke werden tiefengereinigt, aufgearbeitet und zu neuem Einsatz gebracht. „Industrial ist im Moment noch ein Selbstläufer, der seinen Peak noch nicht überschritten hat“, meint Janosch Roschewitz. „Bei Einzelthemen zeichnet sich eine Sättigung ab, besonders in den Großstädten, zum Beispiel bei den alten schwarzen Industrielampen, die als Repros im Ladenbau Mainstream geworden sind.“

Begehrte spezielle Design-Klassiker aus der Industrie wie Rowac-Hocker, Strafor-Schränke oder Kurt-Fischer-Leuchten haben sich im Antiquitäten-Umfeld etabliert. Mithilfe solcher oft hochpreisiger Solitärmöbel erhöhen viele Ladenbetreiber den Differenzierungsgrad ihrer Stores, selbst wenn die restliche Einrichtung nicht weiter aus dem Rahmen fällt. „In der Fashion kombinieren wir seit Jahren Flohmarkt, Prada und H&M zu einem individuellen Look. Diesen Stilmix sehen wir jetzt in der breiten Masse und in anderen Branchen“, erläutert Ulla Jahn von func. functional furniture aus Hamburg, spezialisiert auf besondere Möbel-Originale.

Knapper Nachschub

Re-Editionen, Replikate und an schmale Budgets angepasste Kopien, bei denen die Spezialisten und Connaisseure die Nase rümpfen, sind für den Mainstream in größerem Umfang denn je erhältlich. Dennoch verknappt die europa- und weltweit hohe Nachfrage nach den Industrie-Originalen inzwischen deren Nachschub. „Wenn in Tokio eine Shopkette mit Rowac-Möbeln ausgestattet werden soll, schwärmen japanische Möbelscouts in Europa aus und sammeln, was zu kriegen ist. Containerweise wird die Ware dann nach Asien verschifft“, erläutert Ulla Jahn die Lage.

Gewiss ist, dass immer neue Trends zu den bestehenden hinzukommen werden. Der Industrial-Look und die von Jahn favorisierten Midcentury-Klassiker haben sich etabliert, andere Stilrichtungen werden folgen. „Vor wenigen Jahren haben wir über die Memphis-Möbel noch gewitzelt, heute stehen solche Objekte auf jeder Vintage-Messe. Und wer in der Ladengestaltung noch mutiger sein will, lässt sich von der Pop-Art inspirieren – von den grafischen Postern in Knallfarben bis zu den Kunststoffmöbeln von Verner Panton.“

Viele Profis, die den Wert im Original sehen, betreiben permanent Recherche nach neuen Themen. Neben dem vielschichtigen Industrial-Bereich sehr angesagt sind im Moment alte Ladeneinrichtungen. „Viele Einzelhändler suchen nach Schubladenschränken, Regalen, Tischen, Theken und Tresen aus Apotheken und Drogerien, nach Einrichtungen aus urigen Kneipen oder aus Wiener Kaffeehäusern“, sagt Janosch Roschewitz.

Und was nicht auf Anhieb passt, wird passend gemacht. Die neue Riege von Spezialisten stellt das traditionelle Verständnis von Ladenbau auf den Kopf und verweist manchen klassischen Innenarchitekten und Handwerksmeister ein wenig an den Rand des Geschehens. Liebhaber, Antiquitäten-Kenner und -Händler, oft in Personalunion oder in Kooperation mit Schreinern, Restaurateuren und Designern, profilieren sich beim Einzelhandel als Ansprechpartner, Problemlöser und Dienstleister. Manche bieten von der Beschaffung übers Design bis hin zur Umarbeitung der Möbel alles aus einer Hand. Denn: „Das Thema verlangt extremes Design- und Fingerspitzengefühl bei jedem Detail, das ich bei vielen Fremdgewerken und -handwerkern einfach vermisse“, meint Roschewitz. „Ein Beispiel: Alte Holzbohlen mit neuen, blinkenden Torx-Schrauben zu fixieren ist Stilbruch und beeinträchtigt einen Look. Wir nehmen für solche Fälle speziell entzinkte Schrauben. Nicht jeder Handwerker erkennt die Bedeutung kleiner Details wie diesem.“

Fotos (5): Der Schlondes (1), Kultobjekt / Daniel Nötzold, www.werbefotografen-dresden.de (1), Deko Woerner (1), Flat Six (1), Mykita (1)

Weitere Informationen: www.gruenschnabel-shop.de , www.bio-mercato.de

Vintage & Upcycling: Lieferanten & Dienstleister

Bauholz Design, München: Anfertigung von Einzelstücken und Objekteinrichtungen aus gebrauchtem Bauholz und hochwertigem Altholz. www.bauholzdesign.com
Bordbar, Köln: Alte Flugzeugtrolleys und Flug-Transportkisten. www.bordbar.de
Deko Woerner, Leingarten: Deko, Ladenausstattung, Originale und Replika. www.dekowoerner.com
Der Schlondes, Ransbach-Baumbach: Antike Möbel, Einzelstücke, Tischlerei, Ladenbau, Kunstobjekte. www.derschlondes.de
Flat Six, Hamburg: Antikes, Industrielles, Dekoratives; Unikate, Möbel,
Kleinode. Ladenbau & Anfertigung. www.flatsix.hamburg
func. functional furniture, Hamburg: Vintage-Möbel, funktionelles Design,
Store-Konzepte, Ladeneinrichtungen. www.funcfurniture.de
Goldstein & Co, Leipzig: Aufarbeiten alter Originale, Handwerk & Design,
Mobiliar & Innenausbau. www.goldstein-interieur.com
HH Nitsche, Frankfurt: Antike und alte Dekorationen, Verkauf und Verleih,
Originale und Replika, www.hhnitsche.de
Wandel-Antik, Düsseldorf: Antiquitäten, Verkauf & Verleih, Shopgestaltung, Visual Merchandising, Restauration. www.wandel-antik.de

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