Eine nostalgische Badewanne mit geschwungenen Messingfüßen steht einigermaßen unvermittelt im Berliner Schuh- und Fashion-Store Ganzkörperschuh. Sie sorgt für Erstaunen und Witz, Gesprächsstoff und Sympathie. Auch das alte Sofa und die bunt gestrichene Kommode mit den aufgezogenen Schubladen verfolgen ein Ziel: „So fällt es den Kunden leicht, auf die Ware zuzugehen“, erläutert Inhaberin Kerstin Fricke. „Möbel mit Macken und Patina erzählen Geschichten. Zu Dingen, die man aus der Schulzeit kennt, baut man schnell wieder Emotionen auf“, meint Andreas Gröbel. Mit seinem Unternehmen „Zur schönen Linde“ kauft er altes, ausrangiertes Turngerät auf und arbeitet es zu Gebrauchs- und Präsentationsmöbeln um, u.a. für den Retail.
Echt oder Kopie?
Aus der anhaltenden Nachfrage nach barocken Kommoden und verschlissenen Chaiselongues, nostalgischen Blümchentapeten und rostigen Industrielampen ist freilich längst ein Industriezweig entstanden, der jedes erdenkliche „Unikat“ mit den gewünschten Gebrauchsspuren in Asien kostengünstig vom Band laufen lässt. Hier lässt sich sogar ein kleiner Glaubenskrieg ausmachen.
Vielen Filialisten und Storeplanern reicht der optische Reiz. Hingegen setzen Unternehmen, die in ihren Markenwerten eine Verpflichtung an Originalität und Qualität formulieren, auch im Retail-Design aufs original gealterte „Lieblingsstück“ und das Charisma einer echten Historie.
So zum Beispiel das Taschen- und Modelabel Liebeskind Berlin. Ein Erkennungsmerkmal der Liebeskind-Taschen sind hochwertige Lederqualitäten, die durch Benutzung „naturveredelt“ und immer schöner in der Optik werden. Diesen Anspruch überträgt Architektin Jessica Klatten auf die Stores der Marke. Die Räume der Läden bilden, wo möglich, eine „shabby“ Kulisse, indem etwa alte Fliesenwände, Stuck oder Deckengewölbe von Restauratoren freigelegt und möglichst „roh“ belassen werden.
Ohne Hype und Hysterie
Für die Zukunft rät Rosie Hutner, Geschäftsführerin von Area Management, die Flohmarkt- Devotionalien sparsamer und gezielter einzusetzen: „Koffer über Koffer, Bücher über Bücher, zu allem noch der alte Orientteppich, Omas Bügeleisen und die alte Küchenwaage – es gab einfach zu viele überladene Ansätze.“ Inzwischen weisen selbst die Begrifflichkeiten um den Look wie Vintage, Shabby und Antique Chic, Oldschool und Used-Look arge „Abnutzungserscheinungen“ auf.
Doch das Grundgefühl des Menschen, sich zu Altem hingezogen zu fühlen, bleibt. Die Verklärung vergangener Lebensabschnitte, die nun mal in der Natur des Menschen liegt, sei identitätsstiftend und könne gezielt am POS genutzt werden, rät Visual Merchandising-Fachfrau Alexandra Chrobak. „Sich der Details, Materialien, Produkte und Gerüche aus der Vergangenheit und Kindheit zu erinnern, verschafft Klarheit über die eigene Persönlichkeit. Ich erkenne darin ein interessantes Tool, um die eigene Story herauszuarbeiten und dann, als Einzelhändler, im Store mit der entsprechenden Dekoration zum Ausdruck zu bringen.“
Von Hysterie und Hype entledigt, ließe sich das Thema als ein Stilmittel von vielen auch zukünftig dort zum Einsatz bringen, wo wohnliche Atmosphäre gewünscht wird, meint auch Jessica Klatten und verweist auf das entspanntere Verhältnis unserer Nachbarn zu „Gelebtem“: „Die Engländer, Belgier und Franzosen pflegen diesen Stil bewusst seit vielen Generationen.“